In „Wochenendrebellen“ sucht ein autistischer Junge einen neuen Lieblingsverein: gut für den deutschen Fußball, schlecht für das deutsche Kino.
Vor den Mühlen des populären deutschen Films ist kein Thema sicher. Alles kann in belanglose, aalglatte Gefälligkeit verwandelt werden. „Wochenendrebellen“ ist Kino, das sich eines Stoffes annimmt, mit dem man zu Promo-Zwecken bestens durch Talkshows ziehen und sich profilieren kann. Im Kinosaal selbst gibt man sich jedoch maximal zahnlos, kunstverdrossen und ist eifrig darum bemüht, bloß nicht anzuecken und jede einzelne Hürde für das Publikum aus dem Weg zu räumen.
Konfliktscheu ist dieser Film, naiv und berechenbar produktförmig obendrein. Ja, man will überspitzt sagen: „Wochenendrebellen“ ist ein weiteres Werk, das im Grunde genommen Kino als eine Erfahrung von Spannungen und Fremdheit, als Ort der geäußerten und empfangenen Kritik regelrecht verabscheut. Nur traut er sich unter seiner betulichen Oberflächlichkeit nicht, dieser Abscheu freien Lauf zu lassen. Es geht in erster Linie darum, niemanden zu verschrecken, alle an die Hand zu nehmen und seelisch zu streicheln. Eine echte Konfrontation kann so nicht stattfinden, allen gut gemeinten Ansätzen zum Trotz.
„Wochenendrebellen“ adaptiert eine wahre Geschichte
Marc Rothemund hat die Regie bei dieser Tragikomödie übernommen. „Wochenendrebellen“ basiert auf einer wahren Geschichte, niedergeschrieben in „Wir Wochenendrebellen“ von Mirco und Jason von Juterczenka. Dieser Stoff rührt am Innersten, dem sich eine Gesellschaft stellen muss: Wie geht man mit dem um, das eine Mehrheit als anders, abweichend wahrnimmt, stigmatisiert und ausgrenzt? Der kleine Jason (Cecilio Andresen) ist Autist. Mit Mühe und Not versuchen seine Eltern Mirco (Florian David Fitz) und Fatime (Aylin Tezel), seinen besonderen Bedürfnissen und Regeln im Alltag gerecht zu werden. In der Schule wird Jason derweil gemobbt. Seine Mitschüler machen sich einen Spaß daraus, den Jungen zu provozieren. Nun soll er auf eine Förderschule abgeschoben werden, weil die Lehrkräfte überfordert sind.
In der Tat findet „Wochenendrebellen“ einige geeignete und gelungene inszenatorische Kniffe, um Jasons Weltsicht mit plötzlicher Lautstärke, überdrehten Geräuschen, sprunghaften Schnitten erfahrbar werden zu lassen. Als „Krieg im Kopf“ bezeichnet der Junge seine permanent widerstreitenden Gedankenströme, in die sich der Film jedoch nur dann und wann hineinwagt. Denn was in „Wochenendrebellen“ als interessante Sozialstudie über einen gesamtgesellschaftlichen Konflikt beginnt, genügt sich schnell in aufgesetzten Emotionalisierungen und hanebüchenen Lösungsstrategien.
Lebensweisheiten im Fußballstadion
Die wahre Geschichte gibt vor, dass es um König Fußball gehen soll. Umso leichter für die Filmbranche, ein markttaugliches Produkt zu kreieren! Schließlich kann man so einmal die ganze Bandbreite an Bedürfnissen abdecken: vom seichten Gefühlskino bis zur schroffen Welt des Fußballs. Mirco und Jason schließen einen Deal: Der Sohn will sich nicht mehr provozieren lassen, sein Vater zieht dafür mit ihm von einem Stadion zum nächsten, um einen Lieblingsverein für Jason zu finden. Und so reist der Film von Verein zu Verein, überall taucht man in mitreißende Stadion-Atmosphären ein. Die DFL unterstützt diesen Film, wie der Verleih im Vorfeld verlauten ließ. Kritische Töne braucht man also nicht zu erwarten. Mit dem Sportbetrieb per se will sich „Wochenendrebellen“ eh nicht ernsthaft beschäftigen. Er formt allein die Kulisse für einen Bildreigen, der ganz gut die Ticketverkäufe in den Stadien ankurbeln könnte.
Anregend sind ansatzweise kleine Details, die letzte Reflexionen versprechen: Da erspäht man durch die Kinderaugen des kleinen Jason gewisse Eigensinnigkeiten in der großen Inszenierung des Profisports. Bunte Schuhe auf dem Rasen erzählen mehr, als man es im ersten Moment vielleicht für möglich hält. Man studiert die Massendynamik und Euphorie vor Ort. Doch mit jeder Minute, jedem Kilometer, den „Wochenendrebellen“ auf seinem Roadtrip zurücklegt, verengen sich Konflikte und Probleme. Erst schimpft man ein wenig über intolerante Menschen, die Jason mit seinen Ausrastern lediglich für einen verzogenen Bengel halten. Mehr Sensibilität bitte! Das Kinopublikum braucht solche plakativen Belehrungsszenarien. Sofern man es wie Kinder behandeln will, wenn man die großen Probleme auspackt.
„Wochenendrebellen“ nimmt der Mehrheitsgesellschaft die Verantwortung ab
Später geht es nur noch darum, ein paar innerfamiliäre Streitereien, Unachtsamkeiten und Beziehungsprobleme zu lösen. Wie gesellschaftlich mehr Integration gelingen kann, das spielt schon kaum noch eine Rolle. Wenn man zu diesem Thema zurückkehrt, ist es der Betroffene selbst, der sich vor dem Umfeld, seiner Schulklasse, emotional zu entblößen hat, der sich in einem Referat erklären und rechtfertigen, quasi um Vergebung und Verständnis betteln soll, wenn man es drastisch zuspitzen will. Dass mit dieser Einladung zum Perspektivwechsel alles gut sein soll – wenn es nur so einfach wäre!
Schon zuvor werden im Fußballstadion krude Weisheiten vom Durchbeißen transportiert. Bloß nicht Bayern-Fan werden! Man braucht immer etwas Gegenwind im Leben, man bekommt nicht alles geschenkt – solche banalen Lehren werden dem Autisten Jason und dem Publikum verteilt. Also ist es mal wieder der Einzelne, der sich zu behaupten und anzustrengen hat. Ökonomische Hintergründe vor und hinter den Kulissen, auf die man über Fußballpolitik indirekt anspielt, werden in solchen undurchdachten Themenverwischungen selbstverständlich ausgeblendet.
Ein Hoch auf uns!?
„Wochenendrebellen“ reicht mit seinen ausgestellten Phrasen höchstens Konservativen die Hand, die keine unangemessene Gelegenheit auslassen, von so etwas wie einer „Gratismentalität“ zu schwafeln oder an mehr Arbeitsbereitschaft zu appellieren, um sich nicht mit fundamentalen Schieflagen befassen zu müssen. Ein solches Denken verschmilzt mit beschriebener Zwangsoffenbarung und -erklärung bezüglich der eigenen Identität, aus denen Marc Rothemunds Inszenierung ein fragliches Happyend zu stricken wagt. Dass etwa eine gelingende Integration aber zunächst bedeutet, dass sich eine diskriminierende Mehrheit gegenüber dem Marginalisierten öffnen muss und nicht umgekehrt, will man einem von all der einfältigen Gefühlsduselei besoffenen Publikum offenbar nicht zumuten.
Wie auch? „Wochenendrebellen“ will lachen, weinen, trösten und dann beschwingt aus dem Kino entlassen. Jaja, im Fußballstadion, dort werden noch rührende Geschichten geschrieben. Dort werden Familien zusammengeschweißt und bestärkt ins Leben zurückgeschickt, wo sich mit etwas Selbstbewusstsein auf einmal alle Widerstände in Luft auflösen. In dieser Erzählung gelingt das nur, indem man niemandem schlechte Gefühle bereitet. Alle Schuld, alle Last und Verantwortung kann bequem auf fremden Schultern abgeladen werden. Zuletzt, wie gesagt, auf denen der Betroffenen. Um das Eigene muss man sich so keine Sorgen machen. Zum Schluss singt Andreas Bourani „Auf uns“. Lächerlicher, kruder wird es nicht mehr.
„Wochenendrebellen“ läuft seit dem 28. September in den deutschen Kinos.
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