Die einst packende historische Fiktion robbt müde über die Ziellinie und das Publikum darf aufatmen: Nach langer Wartezeit zieht die Serie endlich einen Schlussstrich – ihr Pulver hatte sie bereits längst verschossen. Dementsprechend belanglos gestalten sich die letzten Folgen von „Vikings“.
„Vikings“ ist nicht die erste Serie, die aufgrund ihres initialen Publikumserfolgs und einer großen Fangemeinde mehr Staffeln bekam, als sie jemals gebraucht hätte. Was sich bereits untrüglich in den vergangenen Staffeln angekündigt hat, wird nun in den letzten Folgen peinlich durchexerziert: „Vikings“ hat eigentlich nichts mehr zu erzählen, die großen Helden sind längst abgetreten – und die Serie laviert sich bei Amazon Prime Video durch ihre belanglosen letzten Stunden.
Stark angefangen, stark nachgelassen
Schon in den vergangenen Staffeln hatte sich das Stelldichein aus Plünderexpeditionen, Menschenopfern, Verrat und neuen Flechtfrisuren gebetsmühlenartig wiederholt. Mehr oder weniger memorable Gegenspieler wurden durch die Show rotiert wie beim Royal Rumble. Stellte in der ersten Staffel noch Hollywood-Veteran Gabriel Byrne den verschlagenen Wikinger-Fürsten Jarl Borg großartig dar, hatten seine Nachfolger immer weniger zu bieten. Und auch die großen Helden Ragnar Lothbrok und Lagertha fanden in der Familiensaga in den Söhnen Ragnars kaum würdigen Ersatz. So wirkt auch der letzte große Story-Arc mit dem Bündnis zwischen dem geflohenen Möchtern-Gottkönig Ivar und den Rus-Wikingern überflüssig wie ein Kropf.
Der beschämend unbedrohliche Sadist Oleg, Herrscher der Russen von Kiew, schaffte es indes über viel Bildschirmzeit trotz Drogenexzessen, mittelalterlichem Paragliding und Massenexekutionen nicht, den Publikumsanforderungen an einen soliden Bösewicht gerecht zu werden. Da helfen auch diverse Exempel ausufernder Grausamkeit nicht. Sämtliche geschmacklose Gewaltausbrüche seitens des Fürsten verpuffen – und so stellte sich beim angemessen belanglosen Ende Olegs auch kaum ähnliche Gefühle ein wie beim Tod des diabolischen Ramsay Bolton in „Game of Thrones“. Es zeugt zuvor eher von unfreiwilliger Komik, wenn der beleidigte Oleg seinen Thronfolger mit der Abholzung von dessen Kinderzimmer samt Spielzeug bestraft. Wahrlich grausam, aber nicht im Sinne eines Wikinger-Menschenopfers – sondern eher mit dem Cringe-Faktor von „Battlefield Earth“.
Tatsächlich fällt es nach der langen Pause zwischen den finalen Staffelteilen von „Vikings“ eher schwer, sich an weitestgehend konturlose Charaktere wie die Hexe Ingrid zu erinnern. Wer war das nochmal? Ist eigentlich egal.
Alfred der Große als Actionfigur
Ein besonderer Tiefpunkt ist die Darstellung des Sachsenkönigs Alfred. Während der fanatische Christ und politische Visionär in der Serie „The Last Kingdom“ als kränklich-filigraner Intellektueller dargestellt wird, der trotz seiner religiösen Verbohrtheit in vielen Aspekten seiner Zeit voraus ist, gleicht die Rolle von Alfred dem Großen in „Vikings“ einer deutlich maskulineren Trashfilm-Variante. Die erneute TV-Adaption des historischen Vordenkers der englischen Nation ähnelt den vielen in Leder gekleideten Kriegsherren der Serie so sehr, dass es fast beliebig wirkt. Oder besser gesagt ignorant. Allerdings fegt der in „The Last Kingdom“ zumindest tendenziell wahrheitsgetreuer dargestellte Monarch von Gottesgnaden in „Vikings“ als Abräumer über das Schlachtfeld, hat einen coolen Bart und wirkt so mehr wie die Selbstdarstellung Alfreds in einem mittelalterlichen Tinder-Profil.
Die „Vikings“ haben ausgeplündert – was bleibt?
Nach dem ernüchternden Eindruck der letzten Folgen von „Vikings“ lässt sich eines in aller Klarheit festhalten: Die einst bärenstarke Produktion hätte früher zu einem würdigen Ende finden sollen. So etwas gibt es tatsächlich: Ein hervorragendes Beispiel für ein mitreißendes Original, das den Bogen nicht überspannt ist die deutsche Netflix-Produktion „Dark“: Nach drei Staffeln war schluss – und das ist auch gut so. Eine gut erzählte Geschichte verdient schließlich ein Ende, das nicht erst kommt, wenn das Publikum sich schon schulterzuckend abgewandt hat. Es wird sicherlich viele einstige Fans der „Vikings“ geben, die sich dem müden Nonsens der finalen Folgen nicht bis zum Ende aussetzen werden. Es bleiben die wunderschön abgefilmten Bilder der Serie, die hinsichtlich ihres Produktionsniveaus im Kontext der Streamingdienst-Originale die Messlatte einst höher gelegt hat.
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