In seinem neuen Kinofilm „Die Rettung der uns bekannten Welt“ befasst sich Til Schweiger erneut mit psychologischen Erkrankungen. Wieder ist das Resultat kaum auszuhalten.
Til Schweiger muss in diesem Film kacken. Es dauert erstaunlich lange, bis es zu der Szene kommt, etwa anderthalb Stunden. Nach seinen Altherrenkomödien „Klassentreffen 1.0“ und „Die Hochzeit“, die sich quer durch alle denkbar abgegriffenen Untenrum-Vorne- und Untenrum-Hinten-Gags blödelten, fährt Schweigers neuester Streich ein wenig zurück. Dafür zelebriert er den großen Pipi-Kacka-Witz jetzt besonders intensiv. Als würde sich alles zu einem großen Crescendo der Furzgeräusche hochschaukeln, damit das Publikum wenigstens dieses eine Mal befreit lachen kann, wo „Die Rettung der uns bekannten Welt“ sonst so traurige, bedrückende Themen verhandelt.
Nun sitzt er da auf dem Klo, der Schweiger, hat sich fast in die Hosen gemacht. Während er auf der Toilette dahinknattert, hat er doch glatt nicht bemerkt, dass – Ups! – seine neue Freundin gerade nebenan in der Wanne duscht. Und jetzt stinkt das doch und er pupst so laut und, Ach, ist das alles peinlich! Dann ist auch noch das Klopapier aus. Damit alles weniger unangenehm wird, bittet Schweiger seine Geliebte, in der Zwischenzeit laut ein Lied zu singen. Zu Marianne Rosenberg verrichtet er nun das große Geschäft. Halt, es geht noch weiter! Nun lacht ihn die Familie aus, doch in Til Schweigers Kosmos ist die peinliche Berührung schnell aus der Welt geräumt: In Zeitlupe und zu freundlicher Beschallung liefert man sich eine Kissenschlacht, dass die Federn nur so fliegen. So doll, dass das Bett zusammenbricht. Schweiger und seine Neue, sie küssen sich das erste Mal.
Ein traumatisches Seherlebnis
Es scheint im ersten Moment kaum möglich, über diesen geistig lähmenden Film rational zu schreiben und zu sprechen. Man muss Til Schweiger gerade hinsichtlich seines Spätwerks lassen: Er schafft es jedes Mal erneut, noch größeres Entsetzen hervorzurufen, einen noch lauter im Kinosaal stöhnen zu lassen. Es gibt Passagen in „Die Rettung der uns bekannten Welt“, da will man am liebsten weinen vor Wut. Und doch verspürt man einen großen Drang, anderen von solchen Einzelmomenten zu berichten, in Worte zu fassen, was man da gesehen hat. Es fallen einem unzählige Beispiele ein.
Die eingangs geschilderte Kackszene ist tatsächlich zentral für das Verständnis des Films. Bei Schweiger muss die Familie wörtlich durch die Scheiße gehen, um sich wieder neu zu finden. Dieses Mal ist die Mutter verstorben, Schweigers Figur Hardy muss sich allein um drei Kinder kümmern und droht zu scheitern. Natürlich, schließlich fehlt eine obligatorische Mutterfigur in diesem Weltbild, um die heilige, traditionelle Kernfamilie wiederherzustellen, die dann zum Schluss neben der Picknickdecke durch die Natur tollen kann, als befände man sich in einer Jochen-Schweizer-Erlebnistour-Werbung. Während also Hardy, ein unsicherer, aber natürlich immer noch verdammt begehrter heißer Feger, mit der Dating-Welt beschäftigt ist, um das Glück wiederzufinden, eröffnet die Tragikomödie einen zweiten Handlungsstrang.
Die Psychiatrie als Wohlfühl-Oase
Hardys Sohn Paul lebt mit einer bipolaren Störung. Nach einem Selbstmordversuch kommt er in eine Jugendpsychiatrie. Spätestens ab diesem Moment ist klar, dass „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ein harter Ritt werden wird. Es sei dahingestellt, dass in Schweigers Formensprache auch eine Klinik so aussieht, als würde man einen Einrichtungskatalog durchblättern, für den Tine Wittler zuvor noch einmal durch alle Räume gegangen ist, ein Brot gebacken und auf der Tischplatte drapiert, ein paar Kräuter aufgestellt und ein paar Kerzen auf dem Fensterbrett zum Wohlfühlen angezündet hat. Fast alle Figuren durchwandeln diese Welt wahlweise in Grau, Braun, Olivgrün oder Dunkelblau. In Strickpullis und einfarbigen Fetzen, übertüncht von den gewohnten Schweiger’schen Filtertönen. Der Herbst steht auf der Leiter und malt die Bilder an.
In dieser Psychiatrie arbeitet nun gefühlt kaum jemand, sie wird nur von fünf bis sechs Patientinnen und Patienten bewohnt, die sich um den Protagonisten versammeln, darunter auch Schweigers Tochter Emma. Ihr Vater zeigt sie so, wie er anscheinend irgendwo einmal gesehen hat, wie sich Menschen mit Behinderungen benehmen. Sie reden ganz komisch, kindlich. Eine verhält sich wie ein Super-Nerd, eine schlägt sich Eier auf den Kopf, ein anderer hampelt irgendwie über den Flur.
Diese Form des Cripping Up, die Schweiger hier inszeniert, ist in ihrer Unbeholfenheit kaum zu ertragen. Bereits seit „Wo ist Fred?“, „Barfuss“ oder „Honig im Kopf“ ist ohnehin bekannt, dass Behinderungen und Erkrankungen bei ihm immer noch für einen Lacher gut sind. Dieser Film nimmt sich ehrenwert vor, ein Bewusstsein für Marginalisierte zu schaffen, Empathie zu wecken. Sein inklusorisches Verständnis stammt dennoch aus vergangenen Zeiten, was sich auch in der TV-Historienfilm-Optik passend spiegelt.
Inklusion und ihr Scheitern
„Die Rettung der uns bekannten Welt“ setzt zwar alles daran, seine ausgestoßenen Figuren aufzufangen, aber ohne Unterlass als anders, exotisch und vor allem krank und leidend darzustellen, denen ein „schönes“ und „gesundes“, „lebenswertes“ Leben verwehrt wurde. Das scheint im Mittelteil aufzubrechen: Hauptfigur Paul flieht mit einer anderen Patientin und begibt sich auf einen Roadtrip. Gemeinsam wollen sie die Welt heilen, Liebe verbreiten. Das ist immer noch grauenvoll schwülstig und larmoyant inszeniert und geschrieben, aber mutet für Schweiger-Verhältnisse zunächst progressiv an. Die als krank abgestempelten Patienten erobern sich als Bonnie und Clyde die Welt zurück und halten der Mehrheits- und Disziplinargesellschaft den Spiegel vor.
Ihr Regisseur und Autor antwortet mit Tränen und Schmerz! Mit der aufgezwungenen Selbsterkenntnis, dass man doch Hilfe braucht, dass man ohne sie nicht einfach weiterleben kann. Auftritt Til Schweiger, der nach Morgentoilette und Kissenschlacht ja bekanntlich gerade die Familie formiert hat. Ja, ein weiteres Mal ist die heterosexuelle Familie das Allheilmittel. Behinderung akzeptiert man, so fortschrittlich ist Schweigers Film schon, gemeinsam kann man wieder gesunden, um zur Normalität zurückzukehren. Einfach mal Urlaub vom harten Job nehmen, einfach mal raus in die Natur, einander umarmen. Dieser Film kann sich nicht vorstellen, dass Inklusion bedeutet, eine verquere Identitätsvorstellung von Norm und Andersartig zunächst einmal grundlegend zu hinterfragen.
Die Rettung welcher Welt?
Til Schweiger poltert durch dieses neue Werk wie der Elefant im Porzellanladen. Ein Schmuckstück wird neu drapiert, drei andere werden mit dem Hintern aus dem Regal gerissen. Kein Fettnäpfchen wird ausgelassen. Dass homosexuelle Romantik etwas Normales sein könnte, davon vermittelt dieses Drama (wie seine Vorgänger) beispielsweise immer noch keinen Eindruck. Auch dieses Mal kann sich Schweiger nicht verkneifen, schon nach wenigen Minuten den ersten Schwulenwitz auszuteilen. Männerküsse verbannt er in die Psychiatrie. Gleichgeschlechtliche Liebe erhält im Kontext der Inszenierung vor allem die Konnotation einer rebellischen Provokation oder einer Lachnummer.
Man kann das mitunter schwer verkraften, wie dieser Film nach allem tritt, was er sich nicht in seine erzkonservative Weltsicht einverleiben kann, so sehr sie sich auch um Besserung bemüht – und daran scheitert. Es ist letztendlich das wiederkehrende Schmusekino, das sich die Kuscheldecke einer vermeintlichen Ordnung überwirft, unter der man es keine zehn Minuten aushält. Man kann all diese reaktionären Narrative natürlich bereits am Titel ablesen: „Die Rettung der uns bekannten Welt“. Da gibt es im Kinosaal gar keine Überraschung mehr. Rettenswert ist daran nichts.
„Die Rettung der uns bekannten Welt“ läuft seit dem 11. November 2021 in den deutschen Kinos.
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Bildquelle:
- tilschweiger: Warner Bros.