„Thor: Love and Thunder“: Die Wiederverzauberung des MCU

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Der neue Marvel-Film „Thor: Love and Thunder“ erzählt mit allerhand Klamauk von der Götterdämmerung, um letztendlich den eigenen Kult pflegen zu können.  

Thors Hammer ist ein eigensinniges Ding. Längst gehorcht es ihm nicht mehr, dieses Insigne, Potenzsymbol. Und mehr noch: Inzwischen dient es einer Frau, Jane Foster, Thors menschlicher Ex-Geliebter, die plötzlich wieder auf der Bildfläche erscheint – mit Superkräften ausgestattet. Für den Macho im bunten Outfit eine Katastrophe. Bleibt ihm nur noch seine eifersüchtige Streitaxt. In einer Szene in „Thor: Love and Thunder“ schwingt er sich auf der Waffe durch die Lüfte – wie eine Hexe auf ihrem Besen. Im Hintergrund singt Enya.

Auf ironisierte Weise knüpfen solche Spielereien mit Männlichkeit, Weiblichkeit und Heldenidealen den roten Faden des neuen Comic-Spektakels. Doch es bleibt nicht dabei, bei den Liebeswirren, Eifersüchteleien und Männlichkeitskrisen. Etwas anderes rumort im vierten Solofilm des Donnergottes, das nun in den Kinos zu sehen ist: das Wundersame, Religiöse, mit dem ein scheinbar durchsäkularisierter Hollywood-Konzern wie Disney nun selbstreflexiv auf der Leinwand zu ringen versucht.

Ein Götterschlächter betritt da die digitale Bühne: Gorr, der grausige, kahle Unhold. Christian Bale („The Dark Knight“) mimt dieses Schreckgespenst – ein Charakterdarsteller von Format. Gorr fällt nach dem Tod seiner Tochter vom Glauben ab, schwört ewige Rache und zieht gegen die Götter zu Felde. Sie, die in seinen Augen nur Tod und Verderben bringen und mit Ignoranz über die Menschen herrschen. Haben die Himmlischen ausgedient und ist es Zeit für die menschliche Autonomie? Thor, frisch erschlankt und durchtrainierter denn je, soll den Plan vereiteln und bekommt Unterstützung von seiner zur Superheldin mutierten Ex-Frau.

Götter verlachen

In seiner Konzeption muss „Thor: Love and Thunder“ nun die Säkularisierungsthese zunächst groß ausstellen, um dann zum Glaube zurückzufinden. Das heißt in der ewig augenzwinkernden Marvel-Welt vor allem: Religion, tradierte Phantasmen der Lächerlichkeit preiszugeben. Taika Waititi ist dafür der adäquate Pausenclown im Arrangieren von Slapstick, Fabelwesen und absurden Puppenfiguren. Nach „Thor: Tag der Entscheidung“ hat Waititi ein weiteres Mal Regie geführt und das Drehbuch mitverfasst, um das MCU-Abenteuer in eine komödiantische Nummernrevue zu verwandeln.

Immerhin schlägt die träge und ermüdende Blödelparade des Vorgängerfilms hier wieder deutlicher in Richtung einer kohärenten Erzählung aus. Gemessen an der Konkurrenz reichen solche Bemühungen für eine der bislang gelungensten Marvel-Episoden überhaupt. Das mag auch daran liegen, dass Waititis Humor zwar ziellos und infantil daherkommt, aber allzu zynische Metawitze rund um das eigene künstlerische Versagen, wie man sie etwa aus den „Deadpool“-Filmen kennt, sparsamer einsetzt.

Nun wird dabei das Göttliche schrittweise gemordet oder verlacht. Doch irgendwann muss das Dezimieren an eine Grenze stoßen, ansonsten wäre Thor selbst dem Tode geweiht. Das ganze Getriebe der Marvel-Filme mit ihren Göttern und gottgleichen Figuren würde sich zerstören, hielte man den Schlächter nicht auf. Und so muss Waititis Film zwangsweise noch einmal den ganzen Zauber, die ganze übersinnliche und potente Autorität seines populären Protagonisten zelebrieren, sein Wiedererstarken in der Rettung des himmlischen Kosmos.

Bekehrung einer Wissenschaftlerin

„Thor: Love and Thunder“ betreibt damit in erster Linie Labung des eigenen Kanons, der zuletzt in Schleifen des Immergleichen oder Aufspaltungen in belanglose Alternativrealitäten ordentlich Zauber eingebüßt hat, sofern er ihn überhaupt je besaß, trotz anhaltender Popularität. Die en masse eingeführten neuen Figuren vergangener Kapitel weichen in diesem Solofilm dem wiedererweckten Altvertrauten der Prä-„Endgame“-Ära. Natürlich soll auch das Publikum wieder oder weiterhin an Thor, das Fabulöse seiner Welt und vor allem das Heroische glauben. Man hätte es ja längst vergessen können zwischen all den unzähligen Konkurrenten, die der Superheldenmarkt bereithält. Als Toröffnerin für seine verführerischen Zwecke installiert „Thor: Love and Thunder“ geschickt das Leinwand-Comeback der Jane Foster. Natalie Portmans Wissenschaftlerin hat ihre bisherigen Ausflüge in die Mythenwelt erforscht, rationalisiert und niedergeschrieben. Kurz: Das Unbegreifbare entzaubert.

In einer Anspielung auf Christopher Nolans „Interstellar“ erklärt sie die Krümmung der Raumzeit, während ihr persönliches Leid offenbar wird: Jane ist offenbar unheilbar an Krebs erkrankt. Bleibt also nur eine letzte Flucht ins Heldentum, um das Schreckliche mit dem Magischen zu trösten, und so muss Wissenschaft Gefühl und Übersinnliches werden. Die letzte Mission der Kranken besteht in der Missionierung. Nicht umsonst bauscht der Film sie zur größeren Identifikationsfigur als den hypermaskulinen Thor auf. Ihre Verwandlung in eine Superheldin, das Spüren der Magie am eigenen Körper – das sind basale Publikumssehnsüchte, projiziert auf die Leinwand. Alles Rationale muss und wird dafür transzendieren.

Ein attraktives, anrührendes Wunder will sich „Thor: Love and Thunder“ kreieren. Zeiten des Leidens, die der Film unter seiner kunterbunten Klamauk-Oberfläche brodeln lässt, sind bekanntlich am geeignetsten, um das Religiöse wiedererstarken zu lassen. Taika Waititi greift dafür tief in die postsäkulare (Motten)-Trickkiste. Er bringt eine wüste, wenngleich beachtlich schräge Collage aus Metal-Ästhetik, 80er-Jahre-Nostalgie, Barbarenfilm und Fantasy-Trash, Schwarz-Weiß und knalliger Farbintensität, christlicher Symbolik, antiker und nordischer Mythologie auf die Leinwand, untermalt von ABBA, Guns n’ Roses und weiteren. Also: Ein Potpourri aus religiösen Versatzstücken und populärer Kultur, die sich selbst in die Sphäre des Religiösen katapultiert.

Am Ende strahlt sowieso der Held

Waititi verfällt der rein sensationellen Gestaltungsfreude. „Thor: Love and Thunder“ öffnet zwar die großen Fragen, aber hat zu seinem Postsäkularismus-Diskurs wenig zu sagen, das über die eigene Wiedergeburt aus dem Zweck der filmischen Wirkmacht hinausreichen würde. Jürgen Habermas hatte 2001 in seiner Friedenspreisrede auf das Fortbestehen des Religiösen im Säkularen verwiesen. Das bedeutet für postsäkulare Gesellschaften ein Nebeneinander verschiedenster Säkularitäten und (neuer) Formen von Religion. Deren Eigenarten versuchen sich auch die Marvel-Filme immer wieder anzunähern.

„Thor“ zeigt dafür kein geschärftes oder gar kritisches Auge. Er kommt nicht umhin, fundamentale Feindbilder zu kreieren, anstatt Spannungen auszuhalten, das Magisch-Mystische gegen irdische Wissenschaft auszuspielen. Das Andere, Diverse in seinen Gleichzeitigkeiten zu verallgemeinern, zu vereinfachen, auszuschließen, um am Ende sich selbst als Figur und popkulturelle Instanz am hellsten strahlen zu lassen. Seine Versöhnung mit einer anderen Welt geschieht zwischen Einverleibung und Teaser-Show für künftigen Content.

Generation um Generation holt man sich in die Marvel-Religion, auch auf der Leinwand. Geraubte Kinder erleben das Numinose und die erwachsenen Kinder vor der Leinwand mit ihnen. Ein Militarisierungsprogramm für den Nachwuchs im Film gibt es als Belohnung obendrauf, um den Weg gen Zukunft zu ebnen. Und da schimmern sie dann doch wieder durch, die alten, ärgerlichen Marvel-Kamellen, nachdem man sich von der durchaus interessanten Thematik dieses Eintrags und seiner kurzweiligen Alberei womöglich zu voreilig um den Finger wickeln ließ. Taika Waititi ölt die Konzernmaschinerie im Gefühlskitsch. Mit Herzlichkeiten und Liebe, um beim Titel zu bleiben, die schon längst wieder von grummelndem Donner überschattet wurden.

„Thor: Love and Thunder“ läuft ab dem 6. Juli 2022 in den deutschen Kinos.

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Bildquelle:

  • thor-df: The Walt Disney Company Germany
3 Kommentare im Forum
  1. Dass hier ein Marvel-Film mal keine vernichtende Kritik, sondern verhaltenes Lob erhält, ist schon eine Auszeichnung! Trotzdem ist diese Kritik mal wieder ein überhebliches Geschwurbel, gewürzt mit einer Vielzahl unnötiger Fremdworte, die gebildet wirken sollen, dem gebildeten Menschen aber erst recht als überflüssig auffallen. Wer bei einem Superheldenfilm von einem "Postsäkularisierungs-Diskurs" schwafelt und Habermas zitiert, will so einen Film gar nicht genießen. Manchmal kann man auch zuviel denken und sich damit alles kaputt machen.
  2. Hmm, Jane als Thorina... Als ich in den 70ern Marvel Comics las, war sie noch die Sprechstundenhelferin eines gehbehinderten Arztes, der heimlich in sie verliebt war und irgendwann beim Spazierengehen einen Holzstock fand, mit dem er wiederum irgendwann zufällig auf den Boden klopfte, wodurch der Stock zu Mjölnir und er zu Thor wurde. Gute alte Zeit .
  3. Hmmm, gibt es da einen Unterschied zum 'Grundplot' der anderen Marvel-Filme? Die bisherigen Marvel-Filme, die ich gesehen habe, erzählten irgendwie ja immer dieselbe Geschichte: es gibt einen Superhelden und plötzlich taucht von irgendwoher ein Superschurke auf. Zunächst verliert der Superheld gegen den Superschurken, besinnt sich dann aber und kann im Endkampf dann doch den Superschurken besiegen. Die Steigerung ist dann, dass mehrere Superhelden zusammen antreten müssen und dass (unter noch höherem CGI-Einsatz) die Kollateralschäden noch gewaltiger ausfallen.
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