„Them: The Scare“ bei Prime Video: Ein Horror-Krimi mit Nachhall

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Szene aus "Them: The Scare"
Foto: Amazon Content Services LLC

Staffel 2 der Horror-Anthologie „Them“ erzählt eine weitere verstörende Geschichte über Rassismus und häusliche Gewalt. Der Krimi schwächelt erst zum Schluss.

„Them“ hat das Zeug zur Horror-Anthologie Nummer Eins. Nachdem Ryan Murphys populäre „American Horror Story“ ihre goldenen Zeiten schon seit vielen Staffeln hinter sich hat, meldet sich diese neue Prime-Video-Serie mit Ansage zu Wort. Zwar ist das von Little Marvin kreierte Format bei weitem nicht so hochkarätig besetzt und läuft noch vergleichsweise unter dem Radar, doch ihr klug komponierter Schrecken hallt auch in der jüngst veröffentlichten zweiten Staffel lange nach. „Them“ entfaltet sich zu einem Gesellschaftsporträt rassistischer Gewalterfahrungen. Die Show glänzt dabei mit packend inszenierten Schreckensbildern, die tief in seelische Abgründe hinabsteigen und so manches Rätsel aufgeben.

Als Black Horror Format, das sich um Erfahrungen afroamerikanischer Menschen dreht, zeichnet „Them“ ein äußerst finsteres Bild der USA. Die erste Staffel mit dem Untertitel „Covenant“ erzählte vom Alltag einer schwarzen Familie, die in den 1950er-Jahren in eine wohlhabende, weiße Vorstadtidylle zieht und dort mit brutalsten Anfeindungen und Verdrängungsversuchen konfrontiert wird. Staffel 2 – „Them: The Scare“ – springt nun mehrere Jahrzehnte in die Zukunft und erzählt eine neue Geschichte mit neuen Figuren. Der offensive Schockfaktor wurde dabei etwas runtergeschraubt. Staffel 1 wurde für ihre reißerischen Gewaltdarstellungen mitunter kontrovers diskutiert. Die Fortsetzung ist da schon etwas zahmer geraten und mixt fröhlich Genre-Versatzstücke durcheinander. An verstörendem Horror mangelt es der Serie dennoch keineswegs.

"Them: The Scare" lässt den Mann mit den roten Haaren sein Unwesen treiben.
Wer ist der Mann mit den roten Haaren? Foto: Amazon Content Services LLC

„Them: The Scare“ erzählt von einer Mordserie in den 90er-Jahren

Im Zentrum steht die LAPD-Ermittlerin Dawn Reeve (Deborah Ayorinde), die im Jahr 1991 ein mysteriöses Verbrechen aufklären will. Eine Pflegemutter wurde mutmaßlich ermordet. Grässlich verrenkt findet man ihre Leiche unter dem Spülbecken. Augen und Mund sind weit aufgerissen, als hätte sie in den letzten Sekunden ihres Lebens den absoluten Terror erlebt. Mit solchen erschreckenden Eindrücken brennt sich „Them: The Scare“ unentwegt ins Gedächtnis. Das Format muss noch nicht einmal die Gewaltakte selbst zeigen oder altmodische Gruseleffekte auffahren. Es genügt der furchteinflößende Anblick der drapierten Opfer.

Nach welchem Muster wählt der Killer seine Opfer aus? Oder ist gar etwas Übersinnliches am Werk? Recht früh sprechen verängstigte Kinder von einem ominösen Mann mit roten Haaren, der draußen vor dem Haus lauern soll. Eine Kamera filmt den Bordstein gegenüber, eine Straßenlaterne erhellt wenige Details. Nur: Gibt es dort wirklich jene Gestalt zu sehen, oder spukt sie nur durch die Vorstellungskraft? Mit ihr erhält diese zweite Staffel eine zentrale Schreckensfigur, nachdem die erste Staffel eine vergleichbare Gestalt aus der Welt der rassistischen Minstrel-Shows und der Praxis des Blackfacings auftreten ließ.

„Them: The Scare“ erzeugt in vielen Szenen ein atmosphärisch dichtes Grauen. Gerade in solchen, in denen die mediale Vermittlung, das Filmen, ins Zentrum rückt. Dann, wenn die Kamera plötzlich auf ihr Eigenleben, auf ihr Enthüllendes aufmerksam macht und sich vom subjektiv vermittelten Erzählen löst. Im einen Moment kann sie ihren Blick auf ein friedliches Familien-Dinner der Hauptfiguren richten, um sich dann von der glückseligen Szene langsam zu entfernen, in ein Zimmer nebenan zu schwenken, durch ein Fenster zu schauen, wo Gruseliges auf die Nichtsahnenden wartet.

Dawn Reeve am Tatort in "Them: The Scare"
Dawn Reeve ermittelt in einem grauenerregenden Fall. Foto: Amazon MGM Studios

Gewaltbilder im Fernsehen

Darüber hinaus flackern die Bildschirme an dieser historischen Schnittstelle zwischen Analogem und Digitalem. Bildschirme, die den Geist in andere Realitäten zerren und die Realität vor der Haustür in geformter Weise auf TV-Größe schrumpfen. Gewaltbilder gibt es dort zu sehen. Verbrechen, Blaulicht, Polizeigewalt, Aufruhr – „Them: The Scare“ wirft unter anderem einen Blick darauf, was es heißt, in einer Welt zu leben, in der man von den vermeintlichen Ordnungshütern gegängelt, gequält oder gar ermordet wird und in der die Mehrheitsgesellschaft in einem das Monströse, Andere sehen will.

Die zweite Staffel dieser Anthologie führt dazu einen zweiten Handlungsstrang rund um einen Mann namens Edmund (Luke James) ein, der in skurrilen Tierkostümen Kinder in einem Geschäft bespaßt. Edmund will groß hinaus, doch in seinen Aufstiegsplänen als Schauspieler stößt er auf Abweisung. Ein Aufstieg bleibt ihm verwehrt. „Them“ zeigt dieses Scheitern als Driften in den Wahnsinn. Edmund testet, wie er ausgerechnet in der aufoktroyierten Rolle eines Schreckgespensts sein Gegenüber überzeugen kann. Das heißt: Es terrorisieren, in einen Zustand höchster Angst versetzen. Mit psychopathisch anmutendem Gebaren, irrem Grinsen, grotesker Schminke – und damit ist nur ein Ausschnitt erzählt. Welche Erfahrungen Edmund prägen und wie sein Werdegang mit dem Rest des Serienplots zusammenhängt, enthüllen die acht Episoden Stück für Stück.

Edmund in "Them: The Scare"
Edmund verfällt dem Wahnsinn. Foto: Amazon MGM Studios

Wahnsinn und Ermittlung: „Them: The Scare“ verfolgt zwei Erzählstränge

Schlussendlich lässt „Them: The Scare“ seine zwei parallele Erzählstränge kollidieren. Die Wahnsinnsgeschichte hier, der Krimi, die Ermittlungsarbeiten dort. Beide eint ein kritischer Blick auf soziale Strukturen. Die Figur der Dawn erscheint dabei ebenfalls als zerrissene Gestalt. Dawn ist schwarz und dennoch beruflich Teil der Strukturen, in denen sie dauerhaft mit Übergriffen und rassistischer Diskriminierung konfrontiert ist. Von anderen Schwarzen wird sie mitunter angefeindet, als Verräterin markiert und im Privaten werden verheerende Enthüllungen auf sie warten. Die Serie wirft damit einen doppelten und ambivalenten Blick auf erfolgte und verhinderte Aufstiegsgeschichten, die inmitten einer marginalisierenden Gesellschaft auf verschiedene Weisen an ihre Grenzen stoßen. Schade nur, dass „Them“ auf der Zielgeraden so konfuse, schwächelnd erzählte Züge annimmt.

Im Grunde reichen sich damit beide Staffeln des Formats die Hände. Schon die erste krankte ein wenig an ihrer finalen Unentschlossenheit und Selbstverirrung in dem Mix aus realistischem Horror, übernatürlichen Elementen und Mitteln der Fantastik, die bis zum Schluss versuchen, einen Mittelweg zwischen allem zu bewahren. In Wirklichkeit haben sie Mühe, all die losen Fäden am Ende überzeugend zusammenzuführen. Zumal nun die zweite Staffel „The Scare“ insofern enttäuscht, als sie ihr komplexes sozialkritisches Gewebe der ersten Folge in den letzten Episoden deutlich auf einen häuslichen Konflikt verengt. In ihm werden zuvorderst innerfamiliäre Abgründe und Vergehen ausgehandelt, die in früheren biographischen Stadien wühlen und drohen, die Gegenwart aus den Augen zu verlieren.

Szene aus "Them: The Scare"
Albträume bei Nacht Foto: Amazon Content Services LLC.

Überraschungen für Kenner der ersten Staffel

Noch umständlicher und wirrer wird dies, wenn „The Scare“ beginnt, Verbindungen zur Vorgängerstaffel aufzubauen. Neue Zuschauer werden damit wahrscheinlich ohnehin wenig anfangen können und auch für Eingeweihte erscheinen solche Referenzen etwas überflüssig herbeigeschrieben. Sie hindern eine so stark beginnende Staffel ein wenig daran, vollends auf eigenen Beinen zu stehen.

Wobei ihre Verbindung auf der anderen Seite nicht gänzlich leer bleibt. Insofern hinterlässt „The Scare“ einen zwiespältigen Eindruck. Sie birgt durchaus etwas Bitteres, Beißendes, diese finale Pointe, die noch einmal Jahrzehnte, zeitliche Distanzen zusammenfallen lässt und in dieser US-amerikanischen Geschichte zuvorderst rassistisch verursachte Traumata vorfindet, die unentwegt weitergegeben werden, unterschwellig brodeln, ausgegraben werden und Erfahrungswelten zyklisch miteinander in Beziehung setzt.

Alle acht Episoden von „Them: The Scare“ sind seit dem 25. April 2024 auf Deutsch und Englisch bei Amazon Prime Video auf Abruf verfügbar.

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