„The Substance“ verwandelt Schönheits- und Jugendwahn in ein Schlachtfeld. Mittendrin: Demi Moore in einer ihrer denkwürdigsten Rollen.
Vom Glanz der vergangenen Tage ist ein Fantasiebild in einer Schneekugel geblieben. Der Goldregen flittert und flattert darin umher und schwirrt via Großaufnahme über die ganze Leinwand. Wenig später fliegt das Teil an die Wand, auf das Poster des einstigen Idealkörpers. Krachen, Splitter, der Traum ist geplatzt. Es ist ein zentrales Bild, das die Autorin und Regisseurin Coralie Fargeat („Revenge“) wählt, um ihre Hauptfigur zu erklären. Ein plakatives Bild, sicherlich, aber in diesem Film ist alles plakativ. Dass „The Substance“ kein Film der subtilen Andeutungen und Zwischentöne ist, wird bereits nach wenigen Minuten deutlich. Darum geht es hier auch überhaupt nicht. Coralie Fargeat hat ein bis zwei Thesen, ein zentrales Bild dafür und probiert sich dann lustvoll aus, wie sie daraus das größte Entertainment und Spektakel ziehen kann. Sie haut dem Publikum ihre Kritik am Wetteifern um Jugend und Schönheit mit voller Wucht um die Ohren.
Das erwähnte Bild ist das der gespaltenen Frau. Demi Moore spielt in diesem Film die alternde Hollywood-Diva und Aerobic-Ikone Elisabeth Sparkle, die plötzlich fürchtet, dass sie in der Unterhaltungsindustrie den Platz für die Jugend räumen soll. Eine neue Wunderdroge verspricht ihr nun die Rettung. Einmal injiziert, soll „die Substanz“ ein jüngeres, besseres, schöneres Ich zur Welt bringen. Also spritzt sich Elisabeth den giftgrünen Schlonz in die Adern, woraufhin ihr jüngeres Ebenbild (Margaret Qualley) aus ihrem Rücken bricht. Allein an dieser Geburtssequenz, die mit zuckenden Gliedmaßen, Kotze, flackernden, grellen Stroboskop-Effekten, mit berstender Haut, allerlei Kunstblut und grausigen Nahaufnahmen inszeniert ist – die Wunde am Rücken muss vernäht werden – wird deutlich, worum es „The Substance“ eigentlich geht. Es ist das Spiel mit dem Affekt, ein brutales Körpertheater vor der Kamera.
„The Substance“ ist sensationeller Körperhorror
Es bringt also wenig, sich zuvorderst an der inhaltlichen Zeichenebene dieses Films abarbeiten zu wollen und seine beeindruckenden praktischen Effekte als Extra zu sehen, weil diese Effekte der gesamte Film sind. Die schnell durchschaute Kritik, die die Regisseurin formuliert, soll weniger intellektuell reflektiert als körperlich erfahren werden. „The Substance“ ist durch und durch phänomenologisch erdacht. Er spielt mit dem unmittelbar Wahrnehmbaren, mit aufreizenden, abstoßenden, artifiziellen, affizierenden Oberflächen, Eindrücken und Erscheinungen, die mit dem eigenen Leib in Dialog treten sollen.
Fargeat inszeniert Körperhorror am laufenden Band, untermalt mit lauten, basslastig dröhnenden Klängen. Höchst performativ und aggressiv in manchen Momenten, albern und abgedreht in anderen. Phantomschmerz, Ekel, Übelkeit, Erschütterung provozieren viele Bilder, die mit Spritzen und Wunden beginnen und sich später über ausgeschiedene Hühnerkeulen, ausgerissene Zähne und Fingernägel, lebendige Verwesung und ein völlig hemmungsloses Blutgematsche im Finale erstrecken. Natürlich hat das ganz viel mit individuellen Schmerz- und Ekelgrenzen zu tun. Das macht „The Substance“ so schwierig für eine Kritik. Aber unabhängig davon, ob man sich nun am liebsten übergeben oder angewidert die Augen im Kinosessel verschließen will: Hier besitzt eine Regisseurin eine gnadenlos, eine radikale Vision, die vielleicht naiv und eng konstruiert ist, aber ihre filmischen Mittel inbrünstig ausreizt.
Trash im besten Sinne
„The Substance“ ist Trash im besten und positiven Sinne. Man muss mit dieser Zuschreibung immer vorsichtig sein, weil sie in der Regel nur Abweichungen von Konventionen markiert und voreilige Herabwürdigungen vornimmt. Auf Fargeats Film trifft sie jedoch bestens zu, weil sie genau die Voraussetzung mitbringt, gar nicht allzu klug, manchmal sogar recht banal gestrickt zu erscheinen, aber dann mit so einer ansteckenden Freude Überzeichnungen findet und sich so ungebremst und sensationslüstern an einem puren Exzess, der puren Verausgabung und Verschwendung (von Ressourcen, Lebensmitteln, filmischen Tricks, von Zeit, von Körpern) versucht, wie man es heutzutage kaum noch in derartiger Größenordnung im Kino erleben kann. Und unter allen Geschmacklosigkeiten lauern dennoch gewisse Wahrheiten.
Wie zutreffend die Kritik von „The Substance“ an Körperbildern, Schönheitsnormen und Altersdiskriminierung ist, darüber kann und sollte man sicher streiten. Einen wunden Punkt scheint der Film so oder so getroffen zu haben, liest man sich manche Kritiken durch, die seit der Weltpremiere in Cannes über ihn verfasst wurden. Es mag sich in punkto Repräsentation sicherlich vieles getan haben, gerade in ohnehin älter werdenden Gesellschaften. Ältere Hollywood-Stars oder sonstige Prominenz im fortgeschrittenen Alter etwa als Feigenblatt und Gegenargument herbeizuzitieren, um die Kritik des Films relativieren zu wollen, erscheint jedoch wenig überzeugend. Das Wetteifern um Vorstellungen des Makellosen, des Jugendlichen, Schönen, Attraktiven und damit vermeintlich auch wirtschaftlich Produktiveren herrscht ungebrochen in vielen öffentlichen Bereichen.
Eine Satire über die Jagd nach dem Makellosen
Eine ästhetische Angleichung und Perfektion, egal ob man sie operativ herbeiführt oder via Social-Media-Filter als Maske aufsetzt, sorgt weiterhin für Verzerrungen in der Wahrnehmung, für Minderwertigkeitskomplexe, Selbsthass und Ausgrenzungen von Menschen, die dieser Norm nicht nacheifern wollen oder können. Wenige abweichende Menschen als Vorbilder ändern noch nichts an alten Strukturen. „Germany’s Next Topmodel“ wird schließlich auch nicht fortschrittlich, nur weil in zig Staffeln auch einmal ein Curvy Model oder ein paar ältere Damen teilnehmen dürfen.
Die stetig eskalierende Horrorfantasie des alternden, verwesenden Körpers, die „The Substance“ irgendwann zelebriert, hat auch nichts mit Herablassung gegenüber der Hauptfigur zu tun. Es ist immerhin nicht so, als würde man dort tatsächlich ein realistisches Abbild des Alterns sehen. Es ist so dermaßen übertrieben, so dermaßen ins Monströse gezerrt, dass die Rahmung und augenzwinkernde Bedeutung dessen eigentlich transparent sind. Es ist eine Projektion, ein Konstrukt.
„The Substance“ ist ein Film der verzerrten Wahrnehmung
Die extrem künstlich, steril anmutenden Hochglanzbilder, die die Regisseurin selbst im größten Schmutz inszeniert, sind in ihren Ursprüngen jederzeit klar verortet. Weil besagte Horrorfantasien und Horrorbilder nicht einfach nur das reproduzieren, was sie kritisieren, sondern ihren Ursprung in den ideologischen Denkmustern und ästhetischen Normen verdeutlichen. Sie werden hier ganz wortwörtlich aus dem jeweils anderen heraus geboren. So, wie auch die Schöpfung eines angeblich perfekteren Ichs den übrigen Facetten des Menschen im wahrsten Sinne das Leben aussagt. Es sind eben keine Ideale und Gegenentwürfe, die „The Substance“ zeigt. Stattdessen führt der Film ganz bewusst und eigentlich kinderleicht verständlich von Anfang bis Ende verzerrte Wahrnehmungen vor, unter denen die einen Figuren leiden und über die sich andere Figuren erheben.
Die Kreatur, die Coralie Fargeat am Ende ihrer Horror-Satire in die Katastrophe taumeln lässt, treibt das monströse Zerrbild der gelebten Ideologie im Rampenlicht vor deren Anhänger. Erst kämpft man mit den Selbstbildern, die der Alltag in diskriminierenden und normierenden Strukturen zum puren Schrecken im Kopf werden lässt. Dann konfrontiert man die Diskriminierenden mit dem Ausmaß dessen, was sie angerichtet haben. Mit der monströsen Verkehrung eines Ideals, das hier im symbolischen Duell zweier menschlicher Facetten und Lebensstadien erkämpft werden soll. Und die Tragödie vollendet sich im fragwürdigen Eindruck eines letzten Restes Ruhm in der Selbstzerstörung.
Das ist schwarzhumorig, das ist böse und nicht frei von Schadenfreude. Das fasst niemanden mit Samthandschuhen an. Das riskiert, gehasst zu werden. Aber es ist mit einer solchen Energie und Lust an der Ausschreitung auf die Leinwand projiziert, gepinselt, gespritzt und geschlachtet, auch für den Selbstzweck des Effekts, dass „The Substance“ sicherlich zu den erinnerungswürdigsten Kinoerlebnissen des Jahres gehört.
„The Substance“ läuft seit dem 19. September 2024 in den deutschen Kinos und wird in der Zukunft bei Mubi im Streaming erscheinen.