Superhelden haben ihren Reiz verloren: „Spider-Man: No Way Home“

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Tom Holland als Spider-Man ©2021 CTMG. All Rights Reserved. MARVEL and all related character names: © & ™ 2021 MARVEL
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Der neue Marvel-Film „Spider-Man: No Way Home” ist reines Algorithmen-Kino. Sein Nostalgie-Wahn kämpft derweil spürbar um den verlorenen Glanz der Superhelden.

+++Der Artikel enthält leichte Spoiler zur Handlung des Films.+++

Im neuen „Spider-Man“ passiert Erstaunliches: Er beschwört für einen begrenzten Zeitraum eine Beinahe-Utopie. Was wäre, wenn die Welt plötzlich gar nicht mehr gerettet werden muss, sondern Frieden einkehrt? Wenn die Bösen plötzlich die Guten werden? Gekämpft wird jetzt offenbar eher hinter den Kulissen. Währenddessen zeugt nämlich auch dieses Comic-Spektakel von einer erzählerischen Verstimmung, die in einem erheblichen Teil gegenwärtiger Heldengeschichten zu vernehmen ist, zuletzt bei „Eternals“.

Von der Bürde einer ewigen Variation, Abspaltung, Kombination und verzweigten Zukunftskonstruktion, während man zugleich von der Vergangenheit beatmet wird, vom bereits Etablierten, Ikonischen und Nostalgischen. „No Way Home“ hat diesen Konflikt erkannt und thematisiert ihn mit dem eigenen Produktionsprozess so offen, wie es auch die Serie „WandaVision“ mit berechnendem Kalkül getan hat. Der Exorzismus an sich selbst beginnt mit einer Geisterbeschwörung.

Spider-Man lädt zum Klassentreffen

Die Retro-Geister, die auftauchen und die Fans allein mit ihrer bloßen Präsenz in Ekstase versetzen sollen, stammen aus dem eigenen Studiosystem. Ein Zauber von Dr. Strange (Benedict Cumberbatch) geht schief, nun hat sich das Multiversum aufgetan, aus dem die ganzen Bösewichte und Spider-Men der vorherigen Filme herbeiströmen. Der aktuelle Spider-Man (Tom Holland) muss diese Gespenster bannen, alles soll wieder an seinen alten Platz zurück. „Spider-Man: No Way Home“ ist damit zunächst das perfekte Marketing-Produkt, der perfekte Blockbuster. Für jeden ist etwas dabei, jede Generation kann ihre Helden und Schurken noch einmal erleben, gebündelt in einem Film. Wie ein Klassentreffen, bei dem man auch den unliebsamen Gästen gute Miene macht.

Ein Zitat, eine Anspielung, ein Meta-Gag reiht sich an den nächsten. Wie eine Liste, die man abhakt. Ein Sammelsurium an naheliegenden Versatzstücken. Mit einfallslosen Witzchen, absurden Wendungen. Die Bilder sind unästhetisch, abgegriffen, zeugen von Genre-Übersättigung, ausgenommen die kurzen Ausflüge in Dr. Strange’s verrückte Paralleldimension. Doch damit sollte man den Film nicht einfach abstrafen, „No Way Home“ birgt grundlegendere Probleme.

Alle Zeichen auf Versöhnung

Überraschend scheint nämlich, dass Jon Watt’s Film nicht nur seinen eigene Plot, sondern auch das essenzielle Superhelden-Narrativ einer zu bekämpfenden Bedrohung kurzzeitig aushebelt. Es gibt in „No Way Home“ kaum mehr eine Handlung. Auch das kennt man spätestens seit „Eternals“, wobei sich diese Entwicklung bereits mit „Deadpool“, „Guardians of the Galaxy 2“ oder auch „Thor 3“ abgezeichnete, die sich als reiner Selbstreferenzen-Klamauk präsentierten. Der Klamauk in „Spider-Man“ weicht dem Versöhnungskitsch. Heilung ist ein großes Stichwort.

Das monströse und mutierte Böse soll wieder human werden, auch wenn es sich dagegen sträubt. Die Freiheitsstatue als Symbol für eine zweite Chance für alle, wie es im Film sinngemäß heißt, wird zum finalen Kampfschauplatz. Der Traum vom gesellschaftlichen Zusammenwachsen scheint allgegenwärtig. Hollywood leckt amerikanische und globale Wunden und überzieht sie mit Binsen.

Mehr Böses wagen!

Etwas Zusammenarbeit hier, ein paar Nebenschauplätze da: Übrig bleiben doch wieder nur drei weiße, junge, biologisch und/oder technisch modifizierte Cyborgs vor dem amerikanischen Mythos, die sich als die Guten wähnen und zuvorderst die Logik ihrer Filmwelt retten sollen. Den afroamerikanischen Spider-Man hat man ausgesperrt. Die Studiopolitik will es so. Ein ironischer Gag soll reichen.

Mit der geplanten Bannung der Schurken verschwindet indes auch der letzte Rest an interessantem Diskurs dieser Superhelden-Geschichten. Das Störende, Entlarvende ihrer finsteren Pläne wird nicht mehr verhandelt, sondern getilgt. „No Way Home“ verschnulzt damit (passend zur Vorweihnachtszeit) seine gesellschaftspolitische Momentaufnahme lediglich mit Gefühlsduselei. Alle, Helden und Schurken, haben sie schon einmal Angehörige oder enge Vertraute verloren. Man weiß, wie sich Zweifel und Angst anfühlen. Wenn dieses Geringste zum Versöhnen und Jubeln reicht – es müsste eigentlich bereits Weltfrieden herrschen!

Therapie unter Männern

„No Way Home“ sollte daher eher als Plädoyer für das Diabolische begriffen werden, für den Konflikt. Wird es in die „Heilung“ überführt, sieht man, was dabei herauskommt: ein ewiges Ausdiskutieren und Therapieren junger und nicht mehr ganz so junger Männer, die ihren Familien- und Freundesschmerz dahinlamentieren. Ironischerweise erkennt dieser „Spider-Man“ selbst, wie langweilig er geworden ist. Während er alles daran setzt, alte Erzählweisen zu unterlaufen, arbeitet er insgeheim akribisch daran, klassische Gegenpole und Verhältnisse wiederherzustellen. Insofern ist „No Way Home“ genau so inkonsequent wie „WandaVision“, wo man sich mit geringem Erfolg an einer Dekonstruktion der eigenen Filterblasen-Logik versuchte.

Was ist denn passiert, dass es zu diesem Punkt kommen konnte? Industrie-Wirren. Reboots, Sequels, Neubesetzungen, Querverweise, Crossover – Niemand blickt mehr durch. Wer ist denn nun der „echte“ Spider-Man? Was zeichnet ihn aus? Wie bekommt man all diese doppelten, vergessenen und neu interpretierten Figuren zurück in die Büchse? Bei all dem Wirrwarr bricht ein großer Ordnungsdrang durch. Man präsentiert sich zwar subversiv, originell, selbstreferentiell; in Wirklichkeit ist man der eigenen Unübersichtlichkeit überdrüssig. Einerseits soll nun die Einzelpersönlichkeit wieder emporragen, andererseits führt eine solche Individualisierung zum nächsten Übel. Trifft sie auf ihr alter ego, sieht man ebenfalls nur wiederholte Muster. „No Way Home“ zeigt einen kaum mehr zu lösenden Konflikt, nach all den vorherigen Marvel-Filmen mit den Figuren noch irgendetwas Kluges anzustellen.

Banalitäten unter der Maske

Damit beginnt schließlich der Film: Spider-Man ist als Privatperson enttarnt. Die geheimnisvolle Rollenvielfalt ist in sich zusammengefallen. Peter Parker kämpft darum, kein gläserner Mensch mehr zu sein. Hollywood und offenbar auch die Fans können diesen Wunsch nicht ertragen. „No Way Home“ ist nicht anders als die nervige Meute mit ihren Handykameras, die versucht, etwas von Spider-Man zu fixieren, ihn zu durchleuchten.

Dietmar Dath schrieb 2016 in seinem „Superhelden“-Buch unter anderem vom Reiz des Geheimnisvollen. Eine kindliche Comic-Faszination, die im Wissen um das Doppelleben besteht, dass sich unter der tristen Alltagshülle der Heldenfiguren, unter einer Tarnung in Wirklichkeit Besonderes, Mögliches verbirgt.

„No Way Home“ antwortet auf diese Ur-Faszination ernüchternd. Er misst den Menschenhüllen und Alltagsproblemchen mehr bei als dem verborgenen Heldenhaften, Aufregenden. Seine Spider-Men sind demaskiert, gleiche Gefangene in ihrem System, man findet darunter nur Banalitäten. Sie sind zu Tode erklärt. Da gibt es keine Geheimnisse mehr, inzwischen nur noch träge und transparente Individuen, die sich gegenseitig in die Quere kommen. Ihre Kostüme sind nichts mehr als Prothesen, Requisiten, obwohl gerade deren Anonymisierung das Echte und Wahre zum Vorschein bringen sollte. Paradoxerweise hat man erkannt, dass sich jene Individuen dabei in den immer gleichen Versatzstücken und Befindlichkeiten verfangen. Wie oft kann man denn ein Trauma wiederholen, bis es sich selbst seine Tragik raubt?

Echte Konflikte fehlen

All die Comic-Figuren sind in der Hollywood-Maschinerie zu Klonen geworden, das zeigt „No Way Home“. Man kann sie kaum noch auseinanderhalten. Sie haben inzwischen beinahe eine Parallelgesellschaft gebildet, die alles einander annähert und dem Konsens unterstellt. Kein Wunder, dass die Spider-Man-Doppelgänger nun so krampfhaft über ihr Singuläres und Gemeinsames debattieren, lachen und weinen müssen! Ihre Individualität entpuppt sich letztlich nur als weitere Replik in einer Fließbandproduktion. Die große Versöhnung besiegelt das. Tragisch ist an diesem „Spider-Man“ allein, wie das Ensemble aus dem Multiversum von der eigenen Ersetzbarkeit heimgesucht wird.

Dabei ist ein enormer Drang erkennbar, wieder zu einem Faszinosum der Heroen zurückzukehren. Nur bohrt „No Way Home“ dafür an der falschen Stelle. Wenn in seinen Filmfiguren noch erzählerisches Potential steckt, dann schöpft man es nicht auf solche Weise. Ja, das sind auch „welche von uns“, aber sie sind eben noch mehr. Und sie sind das, was sie nicht sind. Das ist der blinde Fleck dieses Films. Sein Drang, seine Figuren auszuerzählen, ihre Widersprüche zu überwinden, macht sie nicht greifbarer, interessanter, sondern immer konturloser. Kostümierung und damit öffentliches Auftreten dürfen ihnen nur reine Bürde sein.

Genau das ist angesagt: Eine echte, rätselhafte Maskerade muss wieder her! Und ein Reset, ein Kahlschlag, daran versucht sich „No Way Home“ wenigstens am Ende. Und es braucht wieder echte, interessant konstruierte Konflikte, anstatt einer zweieinhalbstündigen Plauderei. Greifbare Konflikte, Dilemmata, die sich nicht nur im Kosmischen oder im Technischen lösen lassen. Mit Helden oder Antihelden, die nicht mit sich selbst, sondern in und mit der Gesellschaft agieren. Eventuell ist auch das nur ein Zirkelschluss. Immerhin: Im Abspann kündigt sich ein neuer Gegenspieler an. Nach diesem Film ist vielleicht sogar dessen Jekyll-und-Hyde-Klischee ein Grund zur Freude.

„Spider-Man: No Way Home“ läuft seit dem 15. Dezember 2021 bundesweit in den deutschen Kinos.

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43 Kommentare im Forum
  1. Superhelden hatten noch nie einen Reiz auf mich ausgeübt. Bei dieser enormen Quantität an "Helden" und Filmen darüber, kann ich das sowieso nicht mehr nachvollziehen.
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