„Late Night with the Devil“: Fernsehen kann purer Horror sein

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Schreiender Moderator in "Late Night with the Devil"
Foto: Capelight Pictures

Spuk durch die Mattscheibe: In „Late Night with the Devil“ eskaliert eine Fernsehübertragung zum raffinierten Medien-Horror.

Die Tricks, mit denen „Late Night with the Devil“ arbeitet, sind auf den ersten Blick verstaubt. Man möchte sie beinahe einfallslos nennen. Ein Mädchen spricht dort mit dämonischer Stimme, ein Mann spuckt schwarzes Ektoplasma, Technik spielt verrückt, Fratzen und Geistererscheinungen flackern in verrauschten Bildern auf, ekliges Getier bricht aus Menschenkörpern hervor. Die Australier Colin und Cameron Cairnes, die den Film geschrieben und inszeniert haben, setzen solche Bilder und Effekte stilbewusst ein und bemühen sich, den Traditionen des Horrorkinos Tribut zu zollen. Sonderlich furchterregend oder verblüffend ist der vordergründige Spuk und Budenzauber in diesem neuen Werk der beiden Brüder aber nicht.

„Late Night with the Devil“ dürfte höchstens Horror-Neulingen schlaflose Nächte bereiten. Man kann das Kino gerade nach dem ersten Sehen mit einer gewissen Enttäuschung und Ernüchterung verlassen. Unterschätzen sollte man dieses Werk jedoch mitnichten! Hat man sich damit abgefunden, dass sich interessantes Horrorkino nicht nur an den eigenen Affekten im Fürchten, Mitfiebern und Zusammenzucken messen lässt, kann man hier nämlich einen vielschichtigen, diskussionswürdigen und unbedingt sehenswerten Genrefilm erleben. Weil er seinen Terror nicht aus den offensichtlichen Schock- und Ekelmomenten speist, sondern sein Publikum vielmehr damit verunsichert, wie leicht sich dessen Wahrnehmung beeinflussen und medial um den Finger wickeln lässt, um den Finger wickeln lassen will.

Jack Delroy im TV-Studio in "Late Night with the Devil"
Jack Delroys Karriere strauchelt. Foto: Capelight Pictures

„Late Night With the Devil“ sorgte für einen KI-Skandal

Es erscheint nur wie eine weitere bittere Pointe, dass sich bei alldem auch noch wenige KI-generierte Bilder eingeschlichen haben. Für Publikumsaugen quasi unsichtbar und doch kontrovers im Netz diskutiert. Dieser Betrug wäre im Kontext des Films womöglich die aufsässigste Geste überhaupt, wäre man von Anfang an noch transparenter mit ihm verfahren. Was man auf Bildschirmen alltäglich konsumiert, wird hier nämlich umfassend aufs Glatteis geführt. Gerade die Welt der Talkshows erscheint dabei im fragwürdigen Licht, obwohl sich „Late Night with the Devil“ mit nostalgischer Detailverliebtheit ihrem Look and Feel annähert. Im Kern, sagt einem dieser Film, ist es nicht nur das Paranormale, vor dem man sich fürchten sollte, sondern auch der Griff zur Fernbedienung, das Flimmern auf dem gerahmten Bildschirm und dessen unkritische Rezeption.

„Late Night with the Devil“ spielt im Jahr 1977: Der Star-Moderator Jack Delroy (David Dastmalchian) hat mit dem Krebstod seiner geliebten Ehefrau zu kämpfen. Jetzt gibt er alles, um wenigstens seine Late-Night-Sendung „Night Owls“ vor dem Untergang und Quotentod zu retten. In einer Halloween-Spezialausgabe soll das Publikum mit Abgründen und Wundern konfrontiert werden. Ein Hellseher, ein Skeptiker, eine Psychologin sowie die Überlebende einer satanistischen Sekte sind die Gäste der Show. Ein Mitschnitt derselben zeigt nun, wie der Streit um Fakt, Fiktion und die Existenz des Übersinnlichen Stück eskaliert, während eine diabolische Macht im Studio einkehrt.

Besessenheitsszene in "Late Night with the Devil"
Besessenheit im Studio Foto: Capelight Pictures

Auf den Spuren von „Ghostwatch“

Die Idee ist nicht neu: 1992 strahlte die BBC in England die Fake-Doku „Ghostwatch“ aus, in der ein Spukhaus per Videoschalte untersucht wird, bis das Gespenstische auch auf das Sendestudio überschwappt. Das Böse und Dämonische überschreitet mediale Schranken. Der Fernseher wird zum Einfallstor für das Übersinnliche, welches bis in das Wohnzimmer zu reichen scheint. Damals sorgte dieser bis heute furchterregende Horrorfilm für regelrechte Panik bei einigen Zuschauern. Man hielt die Sendung und das Gezeigte für real.

Inzwischen mag das Bewusstsein für Fiktionen stärker ausgeprägt sein. Im Falle von „Late Night with the Devil“, der ein ähnliches Erzählmuster wie „Ghostwatch“ bedient, wahrscheinlich ohnehin. Schließlich folgt er in seiner Aufmachung ganz offensichtlich und erkennbar Spielfilm-Konventionen. Und doch führt er auf bitterkomische Weise vor, wie TV- oder Streaming-Formate ihr Publikum, letztlich die Welt und Realität jenseits der Mattscheibe ungebrochen manipulieren können, wie das Theater auf dem Bildschirm gestrickt ist und gespannte Blicke bannt.

Jack Delroy und sein Produzent
Hinter den Kulissen der TV-Branche Foto: Capelight Pictures

„Late Night with the Devil“ legt Mechanismen im TV-Geschäft frei

Pierre Bourdieu hatte sich bereits in den 90er-Jahren in seinen Vorträgen „Über das Fernsehen“ kritisch mit TV-Strukturen auseinandergesetzt. Sowohl mit den dauernd gleich besetzten Ensembles in den Sendungen als auch mit den allgemeinen Mechanismen medialer Berichterstattung. Er prangerte etwa den immerwährenden Drang und Kreislauf an, das Sensationelle und Reißerische für den Verkauf und die bessere Quote zu suchen, das dann woanders den Zwang erweckt, es ebenfalls aufzugreifen.

Bourdieus Texte enthüllen dabei ein ganzes Netzwerk, das auch Schriftsteller, Philosophen, politische Akteure einschließt. Ihm ging es um einen kulturellen Betrieb, der seine Arbeit immer stärker anpasst und danach ausrichtet, möglichst regelmäßig medial auftreten zu können, für Bilder herzuhalten, eine Bühne und Öffentlichkeit zu finden. „Der Bildschirm wurde auf diese Weise eine Art Spiegel des Narziß, eine Stätte narzißtischer Zurschaustellung“, schreibt der Soziologe.

„Late Night with the Devil“ zeigt in diesem Kontext nicht nur das abgekartete Spiel und die Inszenierungen, mit denen die einzelnen Akteure der Talkshow um Überzeugung und Aufmerksamkeit ringen: Ein Buch wird angepriesen, Tricks sollen enttarnt werden, um für eine andere öffentliche Persona zu werben. Eine Verlustgeschichte soll das Publikum emotional fesseln. Er treibt es bis zum bitteren Endpunkt: Fernsehen, das für Quoten Blut vergießt, Menschen und Geschichten vereinnahmt, um relevant und sensationell zu bleiben. Es hat sich selbst nicht mehr unter Kontrolle. Irgendwann häufen sich Leichen vor den Kameras.

Talkshow in "Late Night with the Devil"
Talkshow an Halloween Foto: Capelight Pictures

Blick auf eine historische Massen-Hysterie

Ihre Hintergründe sind allzu real: Die Cairnes-Brüder verweisen hier auf die historischen Ursprünge und Stilblüten der Satanic Panic, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zunehmend moralische und religiöse Angst vor dem Okkulten, Bösen und Satanischen befeuerte. Dabei boomten nicht zuletzt thematisch verflochtene Stoffe und Bearbeitungen in der Popkultur. Eine gesellschaftliche Faszination und Obsession für das Teuflische und Paranormale flammte auf. Ein Blick auf dieses Phänomen genügt, um zu erkennen, wie dort (nicht nur im Fernsehen) anhand skurriler Einzelfälle, kleiner Gruppen, Inszenierungen und Verschwörungstheorien Geschäft und Stimmung gemacht wurde. Wie das Besondere und Extreme plötzlich zum Allgemeinen und zur großen Gefahr aufgebauscht wurde und immer größere Bahnen zog.

Sieht man „Late Night with the Devil“, dann mag es sich vordergründig also um einen Historienfilm handeln. Er zeigt jedoch über solche Bezüge, wie derlei Mechanismen und Dynamiken über die Jahre nichts an Faszination und Gefahr verloren haben. Man denke nur daran, wie regelmäßig in Talkshows anhand einer Minderheit sogenannter „Totalverweigerern“ über Arbeitslose geschimpft wird, welche dann als faul gebrandmarkt und populistisch über den Kamm geschert werden. Wie also eine kleine Gruppe benutzt und gegängelt wird, um über viel fundamentalere Probleme hinwegzutäuschen und das gewohnte politische Narrativ zu erhalten.

Indem das Fernsehen, dessen Akteure und überhaupt alles, bei dem es um Bild- und Gedankenproduktion geht, aus Realitäten auswählen, Dinge ausblenden, um andere erscheinen zu lassen, schafft und formt man zugleich Realität – solche Erkenntnisse brachte Pierre Bourdieu auf den Punkt. Fernsehen prägt dementsprechend Eindrücke, Sichtweisen und Wahrnehmungen. Bourdieu warnte vor den Wirklichkeitseffekten, die sich im Konsum der Medienbilder einstellen und die Macht haben, Menschen zu mobilisieren. Inklusive der Gefahr von Stigmatisierungen und geschürtem Fremdenhass. Was man sieht, muss real sein, oder nicht?

Ein Skeptiker stößt an seine Grenzen. Foto: Capelight Pictures

Kino, TV und der Glaube an das Übersinnliche

Man ertappt sich in „Late Night with the Devil“ dabei, wie man selbst solchen Wirkweisen auf den Leim geht. Weil man selbst gern ins Kino geht, um das Reißerische zu erfahren, am besten noch historisch fundiert und begründet und möglichst authentisch aufbereitet – wie dieser Film mitunter vortäuscht. Weil man über dessen suggestive Inszenierung, Dramaturgie und Effekte selbst verleitet wird, wenn auch nur für kurze Zeit, an das Dämonische, Übersinnliche zu glauben und sich vielleicht sogar bestimmten Feindbildern hinzugeben. „Late Night with the Devil“ verzahnt somit die Welt journalistischer Praktiken mit der des Entertainments und den Begehrensstrukturen, die das Kino benutzt.

Am Ende hat sich der eigene Blick verändert, ist man fest im Bann des Bösen und Teuflischen, geboren aus dem Übersinnlichen, aber auch dem rational erklärbaren Wahn. Doch der Film gibt einem die Möglichkeit, gerade beim wiederholten Sehen, den Weg bis dorthin über die falschen Fährten nachzuverfolgen, ihn in seinen Mitteln zu ergründen.

…und die Kameras lügen doch!

Kameras lügen nicht, heißt es in „Late Night with the Devil“, um eine Hypnose, einen Betrug und eine Geistererscheinung zu entlarven. Dabei führt dieser Film permanent vor, dass sie in bestimmten Punkten eben doch lügen können, dass ihre Bilder immer geformt und inszeniert sind und dass es einiges an Bewusstsein braucht, ihre Strukturen und Grenzen zu durchdringen. Sie lügen so komplex und umfassend, dass man die Lüge womöglich erst viel zu spät bemerkt oder gar nicht bemerken will. Wie sonst soll die Illusion im Kino und TV-Studio gelingen?

Die beiden Regisseure gaukeln dem Publikum über montierte Blicke hinter die Kulissen Unterbrechungen jener Inszenierung und Illusion vor. Sie suggerieren Transparenz und Demaskierung. Eigentlich wachsen jedoch ihre Fiktion und das Narrativ des Films dadurch nur dichter zusammen. Es macht sie wirklicher, trotz aller Unzuverlässigkeit. Das Paranormale manifestiert sich, Angst erfährt in dem verstörenden offenen Ende ihre Legitimierung. Kurz: Die Verführung glückt über TV und Kino zugleich. Schließlich zünden Zaubertricks meist dann am besten, wenn man das Publikum für gewisse Zeit noch im trügerischen Glauben lässt, die Kontrolle zu bewahren, die Dinge zu durchschauen. Das Gegenteil ist der Fall.

Late Night With the Devil blickt auf die Ränder einer TV-Show
Jack Delroys Co-Host der Show Foto: Capelight Pictures

Der spannende neue Medien-Horror

„Late Night with the Devil“ reiht sich schließlich hinter jüngeren Horrorfilme aufstrebender, talentierter Filmschaffender ein, die sich auf selbstreflexive und experimentelle Weise mit medialem Unbehagen beschäftigen. Werke wie Skinamarink, „We’re all Going to the World’s Fair“ oder „The Outwaters“ ziehen ihren Grusel aus der Unzuverlässigkeit, Immersion, Anziehungskraft und Doppelbödigkeit ihres Mediums. Ähnlich wie in dem Found-Footage-Wüstenhorror „The Outwaters“ eskaliert der Grusel hier in einer Vermischung vermeintlich objektiver Blicke des Kamera-Apparats und dem subjektiven psychologischen Schrecken aus dem Innern der Hirnwindungen, bis man kaum noch weiß, welcher Perspektive zu trauen ist. Wie diese Bilder überhaupt entstehen und publik werden können!

Überdies: Was ist dieser Jack Delroy für eine Gestalt, die das Witzeln und die Oberhand im Sendeplan fortwährend verliert? Pierre Bourdieu verwies nicht zuletzt anhand des Verhaltens von TV-Moderatoren auf die Tatsache, wie wir in unserem Sprechen und Auftreten immer viel mehr preisgeben, als wir eigentlich kontrollieren können. In „Late Night with the Devil“ könnte man solche Erkenntnisse laufend weiterspinnen: wie sich das Unkontrollierbare und Ideologische immer unbewusst in die Produktion von Medienbildern einschreibt, wie Besessenheit und Heimsuchung viel weiter als Begriffe gedacht werden müssten.

Welche Auswirkungen eine solche unbewusste Einschreibung haben kann, überspitzt „Late Night with the Devil“ zum blutigen, psychedelischen Finale, in dem Geist und Apparat vollends verschmelzen. Die Irritation und Provokation dieser Bilder sitzt perfekt! Sie lassen das gesamte filmische Konstrukt rückwirkend noch einmal anders sehen und zeugen von großem Formbewusstsein. Und sie sind weit mehr als nur eine gewöhnliche Gruselgeschichte.

„Late Night with the Devil“ läuft ab dem 30. Mai 2024 in den deutschen Kinos.

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