Kritik: „Keine Zeit zu Sterben“ – Der lange Abschied

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"Keine Zeit zu Sterben" - Daniel Craig als James Bond
James Bond

Nach zahllosen Verschiebungen hat es Daniel Craigs letztes Bond-Abenteuer „Keine Zeit zu sterben“ endlich auf die Kinoleinwand geschafft. Der extrem hochwertig produzierte Edel-Blockbuster hinterlässt zum Ende einer Ära das Publikum so zerrissen wie seinen Protagonisten.

Wenn eine Fangemeinschaft so lange auf einen Film warten muss wie im Fall von „Keine Zeit zu Sterben“, ist Erwartungsmanagement vor dem Schritt zum Ticketschalter durchaus angebracht. Fängt dann ein Film aber so stark an wie der finale Doppelnull-Auftritt von Daniel Craig, wirft selbst der disziplinierteste Kinofreund die Zweifel erleichtert über Bord – um dann im letzten Filmdrittel mit unnötig viel Herzschmerz-Gesülze und einem unerhörten Spannungsabfall gepeinigt zu werden, bis er den Abspann herbeisehnt.

Bevor hier also spoilernder Weise zu viel über die Handlung von „Keine Zeit zu Sterben“ verraten wird, lieber eine wohlmeinende Warnung: Wer sich von den betörend schönen Bildern und der großartigen inszenierten Hochgeschwindigkeits-Action nicht dazu verleiten lässt, ein Genre-Meisterwerk zu wittern, wird vom äußerst zähen und unerhört rührseligen Schlussteil des Films deutlich weniger unangenehm überrascht sein. Es sei denn, man konnte mit dem stilvoll mordenden Soziopathen James Bond seit Sean Connery nie etwas anfangen.

Der zu lange Abschied

Die Vermenschlichung der Agenten-Karikatur James Bond war schließlich eine offensichtliche Innovation der Craig-Ära und findet mit der völligen Auflösung der Figur in ihrem klassischen Sinne einen fragwürdigen Höhepunkt. Für manche mag das nur folgerichtig sein – für andere schlichtweg unnötig. Es macht den Unterhaltungstitel „Keine Zeit zu Sterben“ nämlich nicht zu einem besseren Film, sondern lädt den handwerklich vollendeten Action-Thriller mit Gefühlsduseleien auf, die am Ende zu einer epischen Spielzeit von zweieinhalb Stunden führen. Und das ist einfach zu viel des Guten.

Das gilt natürlich nicht für alle Filme gleichermaßen: Bei einem Epos wie dem kürzlich erschienen „Dune“ fällt eine solche Spielzeit kaum ins Gewicht, weil es so viel zu erzählen gibt, dass sie wie im Flug vergeht. Das funktioniert für die symptomatisch dünne Bond-Story natürlich nicht. Und leider kann auch der obligatorisch im späteren Verlauf des Films prominenter auftretende Superschurke „Keine Zeit zu Sterben“ nicht auf Kurs halten.

Rami Malik: Kein legendärer Bösewicht

Denn sämtliche Hoffnungen, dass Oscar-Preisträger Rami Malik endlich wieder einen erinnerungswürdigen Bond-Gegenspieler auf die Leinwand bringen könnte, zerschlagen sich leider, sobald der Shootingstar im finalen Drittel des Films endlich seine Bösewicht-Monologe halten darf. Der merkwürdig inkohärente Akzent, den Malik dabei auflegt, wirkt etwa so authentisch wie die grauenhafte Zahnprothese im Queen-Biopic „Bohemian Rhapsody“.

Und auch inhaltlich wirkt das größenwahnsinnige Gestammel, das Malik mit eingefrorener Mimik und starrem Blick vorträgt, als hätten die Drehbuchschreiber schlichtweg blind aus einem Almanach schurkischer Plattitüden abgeschrieben. Es ist regelrecht unverständlich, dass bei einer so bombastisch-pompösen und meisterhaft fotografierten Produktion Dialogzeilen aus dem Zufallsgenerator genügen müssen.

„Keine Zeit zu Sterben“: Starke Bilder, schwache Dialoge

Alleine ist Malik mit der Problematik des schwachen Drehbuchs allerdings nicht: „Keine Zeit zu Sterben“ wird zuverlässig immer dann peinlich, wenn die Charaktere den Mund aufmachen. Die deutlich dialogärmere erste Hälfte des Films profitiert so tatsächlich sehr davon, wie wenig gesprochen wird. Es ist durchaus von Seltenheitswert, dass ein anfänglich so kompromisslos fesselndes Leinwandabenteuer sich dermaßen von melodramatischen Dialogen gezeichnet müde in den Abspann schleppt.

Wirklich jede Figur bekommt dabei ihre dämlichen Sprechblasen zugeteilt: James Bonds CIA-Freund Felix Lighter bleibt ebensowenig verschont wie die angriffslustige junge Doppelnull-Nachfolgerin von Daniel Craig. Letztere ist mit einem eiskaltem Publicity-Kalkül ins Drehbuch operiert und besetzt worden, dass es selbst beherzten Verfechtern von Diversitäts-Quoten schaudern muss. Niemand hat gesagt, dass Filme nicht auch Politik machen dürfen – nur brauchen weibliche schwarze Figuren am Ende des Tages mehr als nur Rollen, die man völlig verlustfrei aus dem Film herausschneiden könnte.

Der neue Bond: Ein Leuchtfeuer für das Kino

Soll man sich nun bei all dem Lamento um die versaubeutelte zweite Filmhälfte nun ein Bond-Ticket kaufen? Die Antwort ist klar: Unbedingt. Schließlich ist die erste Stunde des letzten Bond-Auftritts von Daniel Craig ein Fanal für die Erhaltungswürdigkeit der Kulturstätte Kino: Solche Bildgewalt und rasante Action kann kaum ein noch so hochgerüstetes Heimkino gleichermaßen transportieren. Nicht umsonst haben die Verantwortlichen hinter den Kulissen des Kult-Franchise über all die Monate der geschlossenen Lichtspielhäuser eine Streaming-Premiere von „Keine Zeit zu Sterben“ strikt abgelehnt.

Denn wenn solche Filme nur noch auf Tablets und Laptops angeschaut werden, wird es sie wahrscheinlich schon bald nicht mehr geben. Nicht falsch verstehen: Man darf ja durchaus weiter Netflix-Massenware mit dem Strohhalm im Bett durchziehen – aber alle paar Jahre kommt ein Bond, und für den geht man dann gefälligst ins Kino.

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