Captain Jean-Luc Picard ist zurück und will die fremdelnde „Star Trek“-Anhängerschaft wieder mit dem Franchise versöhnen. Nach Jahren fauler Kino-Kompromisse und gescheiterter TV-Anläufe keine leichte Aufgabe – ist sie überhaupt zu bewältigen?
Als Gene Roddenberrys „Star Trek“ zum ersten mal das Licht der Fernsehbildschirme erblickte, begann ein neues Zeitalter – zumindest in den Köpfen der Zuschauer: Während die politische Propaganda des kalten Krieges die mediale Popkultur mit feindseligem Pathos überzog und die Welt in Gut und Böse aufteilte, erkundeten an Bord des Raumschiffes Enterprise Russen, Japaner und Amerikaner gemeinsam das Weltall. Visionär und politisch war „Star Trek“ also von der ersten Sekunde an. Ein radikaler Gegenentwurf zum Weltgeschehen der damaligen Gegenwart – und viele verliebten sich. Nicht nur in Nyota Uhura, die als schwarze Frau auf der Kommandobrücke der Enterprise einen hohen Offiziersposten bekleidete und ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod von Martin Luther King einer von Rassenkonflikten heimgesuchten US-Gesellschaft Hoffnung auf eine bessere Zukunft einhauchte – sondern auch in die Idee, dass Fernsehunterhaltung nicht konformistisch-seicht, albern oder einseitig gewaltverherrlichend sein muss.
Besetzungs-Coup Patrick Stewart
Als Jahre später der bis dahin einem breiteren TV-Publikum nahezu unbekannte Brite Patrick Stewart die Kapitänswürde auf dem Föderations-Flaggschiff der Folgeserie übernahm, wurde mit einem weiteren hartnäckigen Besetzungsklischee gebrochen: Hatte trotz allem Pluralismus an Bord der ersten Enterprise mit William Shatner doch noch der Archetyp eines männlichen Hauptdarstellers das Kommando inne gehabt, stellte der von Stewart verkörperte Jean-Luc Picard eine vollendete Antithese zur breiten Brust und Cowboy-Diplomatie des James T. Kirk dar. Der intellektuelle Sonderling und Philosoph suchte erst gar nicht die Konkurrenz zu Shatners Surferbräune, schmalziger Haarpracht und überbordender Maskulinität und wurde dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – zur Kultfigur.
Auch darüber hinaus konnte „Star Trek: The Next Generation“ mit weiteren grandiosen Charakterentwürfen und punktgenauen Besetzungen überzeugen, allen voran wohl Brent Spiner in der Rolle des kybernetischen Übermenschen Data: dessen Sinnsuche in einem künstlich erzeugten Leben gehört wohl mit zum feinfühlig-pointiertesten, was das Serienfernsehen vor der Jahrtausendwende zu bieten hatte.
Die progressive Besetzungspolitik der „Star Trek“-Macher sollte damit jedoch kein Ende finden – Avery Brooks führte als Commander Sisko und damit erster Afroamerikaner in leitender Position im All die Geschicke der titelgebenden Raumstation „Deep Space Nine“, während Kate Mulgrew als weiblicher Captain die „Voyager“ samt Crew aus den Untiefen das Delta-Quadranten zurück ins heimische Sonnensystem führte.
Erst revolutionär – dann abgehängt
Sowohl „TNG“ als auch „Deep Space Nine“ und „Voyager“ brachten es so auf jeweils sieben Staffeln – doch dann kam das nächste Jahrtausend: Die Prequel-Serie „Enterprise“ mit Scott Bakula als Captain Archer ist auch aus heutiger Perspektive sicher keine reine Katastrophe, fand jedoch ihre Form nie vollends und konnte letztlich mit den neu heranwachsenden Standards der TV-Unterhaltung im US-Mutterland nicht ansatzweise mithalten. Bereits 1999 war mit den „Sopranos“ eine Entwicklung gestartet, die sich bis in die zeitgenössischen Tage von Netflix und Amazon Prime verfolgen lässt:
Bis ins letzte Detail hochwertig produzierte Geschichten, deren lange Spannungsbögen sich über diverse Staffeln erstrecken, ziehen seither das TV- und Streamingpublikum in ihren Bann. Als wenige Jahre später „Breaking Bad“ die Messlatte für Fernsehunterhaltung erneut höher ansetzte, gab es bereits keine fortlaufende „Star Trek“-Serie mehr. Zu angestaubt wirkten die Overalls, zu holzschnittartig war auch die Figurenzeichnung und Charakterentwicklung des Science Fiction-Kultkanons im neuen Jahrtausend geblieben. Dann erzeugte „Game of Thrones“ plötzlich grenzenlose Phantasiewelten – und kaum jemand dachte noch daran, was wohl die vereinte Föderation der Planeten in ferner Zukunft so treiben mochte.
„Star Trek“ als Blockbuster?
Während sich der Mut für ein neues Serien-Experiment im „Star Trek“-Universum bei den Produzenten noch nicht so recht sammeln wollte, kehrten die Markenzeichen des Roddenberry-Kanons über den großen Bildschirm zurück: Der damalige SciFi-Hoffnungsträger J.J.Abrams legte die Geschichte um Hitzkopf James T. Kirk auf einer parallelen Zeitlinie zur Originalserie als Kinoreihe neu an – und hatte offensichtlich das Massenpublikum dabei mehr im Blick als die eher sektiererische Fangemeinde des Ur-Franchises.
So produzierte Abrams actionlastige Unterhaltung im Weltall, die verglichen mit den teils bescheidenen Kulissen der Fernseh-Vorfahren zwar Hochglanzcharakter hatte, aber keinerlei nennenswerte Tiefe oder progressive Inhaltsideen. Im Kontext Innovationsanspruch gestalteten sich die Filme mit klischeebeladenen Rollen für Frauen eher rückschrittig, als den experimentierfreudigen Serienvorgängern nachzueifern und mutig gegen Besetzungsklischees zu verstoßen. Die Neubesetzung des genetisch manipulierten Titelbösewichts aus „Der Zorn des Khan“ mit Benedict Cumberbatch hätte dabei durchaus ein Coup sein können – hätte man den Schauspielern auch nur ansatzweise den nötigen Raum gelassen, den Abrams-Film „Into Darkness“ entscheidend zu prägen. Das Fan-Publikum wandte sich so größtenteils frustriert ab – mit „Star Trek“ im eigentliche Sinne, so waren sich viele einig, hatte die Abrams-Filmreihe nicht viel gemein.
Auch „Discovery“ spaltet die Fans
Als „Star Trek“ 2017 mit „Discovery“ beim amerikansichen TV-Sender CBS endlich wieder die gewohnten (wenn auch mittlerweile deutlich flacheren) Fernsehbildschirme bespielte, kehrte die Hoffnung der Trekkie-Gemeinde auf eine würdige Serienfortsetzung teils zurück – wenngleich ein ausgeprägter Argwohn angesichts der langen Durststrecke die Trek-Puristen in ihrer Freude über den Neuentwurf sichtlich hemmte. Optisch wusste das Format, das hierzulande seither bei Streamingdienst Netflix zu sehen ist, zumindest in vielerlei Hinsicht zu überzeugen. Allerdings waren dabei gewisse Radikalveränderungen der Serienmacher vielen Fans ein Dorn im Auge:
Dass die zuvor seit „The Next Generation“ recht einheitlich aussehenden Klingonen plötzlich stark reptiloide Züge und Modeaussetzer in Richtung Zuhältergarderobe statt ihrer gewohnt schlichten Kriegerpanzerung mitbrachten, traf bei vielen Verehrern der Vorgängerserien auf Unverständnis. Doch das wesentlich größere Problem sollte in den Augen vieler Fans die Unentschlossenheit zwischen kohärenten Einzelfolgen (wie bei „TNG“) und den wesentlich weiteren Spannungsbögen der zeitgenössischen Serienlandschaft sein. Trotzdem konnten sich so manche altgediente Trekkies wie auch Trek-Neulinge durchaus für „Discovery“ begeistern. Eine Rückkehr zu alter Form ist „Discovery“, das sich an seiner teils wenig kohärenten Storyline teils massiv verhebt, in den Augen vieler eingeschworener Fans jedoch nicht.
Kann „Picard“ es nun endlich richten?
Nun ist der der Kult-Captain Jean-Luc Picard tatsächlich zurück. Sir Patrick Stewart hat sich im stolzen Alter von knapp 80 Jahren nach reiflichem Abwägen dazu entschlossen, erneut in seine Paraderolle zu schlüpfen. Die Ankündigung der Sequel-Serie zu „The Next Generation“ mit Stewart in der Hauptrolle, schlichtweg eine Sensation – und trotz aller plötzlichen Hoffnung meldeten sich vielerorts doch wieder die Zweifel. Würde der gestandene Shakespeare-Darsteller gar sein götzengleiches Ansehen aus Serientagen demontieren?
Nach der ersten Folge, die in Deutschland bereits seit vergangener Woche bei Amazon Prime Video zum Abruf steht, sollten die meisten Unkenrufe wohl verstummen: Auch wenn „Picard“ im zeitgenössischen Stil langsam erzählt wird und keine episodenweise abgeschlossenen Geschichten wie zu Zeiten von „The Next Generation“ mehr präsentiert werden, bringt die Serie vieles mit, worauf Trekkies zu lange verzichten mussten: Dialogbasierte Unterhaltung mit einer nicht zu großen Prise Action, wohl abgeschmeckt – und nicht zuletzt die bekannten Gesichter von Patrick Stewart und „Data“ Brent Spiner. Auch Jeri Ryan, bekannt als Ex-Borgdrohne Seven of Nine aus „Voyager“, wird sich die Ehre wohl noch geben.
Zudem dürfen die von Ur-Trekkies stets hoch geschätzten Romulaner wieder in Erscheinung treten – genau so sind alte Fans zu ködern. Das verschwörerische Szenario aus der einzigen bisher abrufbaren Episode von „Picard“ kann mit vielen verheißungsvollen Rätseln aufwarten und gibt dem unnachahmlichen Sir Patrick Stewart die Gelegenheit, seine Schauspielkunst in einem Science Fiction-Universum aufzubieten, das ästhetisch weniger begrenzt erscheint als die cremefarbenen Korridore der Enterprise D.
Auch wenn es sicherlich viele unterschiedliche Meinungen zum Serien-Neustart von „Picard“ gibt, hier nur eine davon: „Picard“ vereint die Möglichkeiten des Serienfernsehens des 21. Jahrhunderts mit „Star Trek“-Nostalgie und alten Kernkompetenzen des Franchises, ohne nur müßigen Fan-Service zu betreiben. Am Ende alle zufrieden zu stellen, ist ein Ding der Unmöglichkeit – doch das waren auch viele andere Probleme, die Captain Jean-Luc Picard an Bord der Enterprise glorreich gemeistert hat. Die aktuelle Prognose für den Alpha-Quadranten also: Durchaus vielversprechend.
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