„Get Up“: Wie spießig kann ein Jugendfilm sein?

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Lisa und Lena in "Get Up"
Foto: Constantin Film

Die Influencerinnen Lisa und Lena erobern die Kinoleinwand: „Get Up“ will das Ende einer Jugend einfangen und reproduziert lediglich ungeheuren Anpassungsdruck.

Jetzt ist es endgültig vorbei mit der Skater-Kultur. Von so etwas wie Rebellion, einem Lebensgefühl, das sich irgendwie zum Alltag querstellt, seine eigene Welt, eigene Codes erfindet, kann in „Get Up“ nun weiß Gott keine Rede mehr sein. Vor einigen Jahren hatte sich schon einmal ein deutlich besserer Film dieser Thematik angenommen: In seinem melancholischen Jugend-Abgesang „Mid 90s“ hatte Jonah Hill das Aufwachsen in der Skater-Szene von Los Angeles porträtiert, welche in ihrer eigenwilligen Weise allein auf Film gebannt zu existieren schien. Ein verschüttetes, früheres Lebensgefühl, verknüpft mit den Erinnerungen der Kindheit, verfing sich zum Schluss nur noch in den Pixeln verwackelter Camcorder-Aufnahmen.

Nun mag diese Subkultur keineswegs ausgestorben sein, da mögen sich noch immer Cliquen bilden, Wettbewerbe stattfinden. Menschen treffen sich, um ihr Hobby auszuleben oder einfach nur ein Stück Raum für sich zu beanspruchen. Die Influencerinnen und Social-Media-Stars Lisa und Lena schwingen in „Get Up“ jedenfalls eine populäre Fahne für das Skaten. Ihr gemeinsamer Leinwandauftritt entwirft jedoch das triste, angepasste Bild einer Szene, die zwar noch versucht, ein wenig Zeitkolorit und Musikvideo-Ästhetik vergangener Jahrzehnte ins Heute zu übertragen, aber eigentlich mit Haut und Haar von der spießigen Norm, vom Mainstream verschlungen wurde. Der Skatepark wird hier quasi zur filmischen Jobbörse und Schauplatz eines Coaching-Programms, das dem Publikum sein titelgebendes Mantra mit ärgerlicher Penetranz ins Gedächtnis hämmert.

Die Protagonistinnen von "Get Up"
Foto: Constantin Film

„Get Up“ zeigt Lisa und Lena bei der Berufswahl

Lisa und Lena Mantler spielen in „Get Up“ die Zwillinge Juli und Alex, welche gerade vor einem neuen Lebensabschnitt stehen. Die eine hat ihren Abschluss mit Bestnoten bestanden, London ruft bereits mit einem Praktikumsplatz; die andere steht gescheitert, planlos und mit leeren Händen da. Während sich nun beide durch den Sommer treiben lassen und ihren Platz im Leben suchen, lockt ein Skate-Wettbewerb mit einer Perspektive. Gemeinsam mit zwei Freundinnen stellen sie sich der Herausforderung, den Wettbewerb zu gewinnen und ihrem (jungen) Publikum als Vorbild zu dienen.

Von Unbeschwertheit, Neugier, Ekstasen, Lust am Unvorhersehbaren, am Nutzlosen und Riskanten zeugen höchstens noch ein paar nächtliche Fahrten auf dem Board durch die Straßen Frankfurts. Es sind kurze Ausbrüche, die die Gesellschaft gerade so erlaubt, bevor sich der junge Mensch nach anderthalb Stunden in das Berufsleben einzugliedern hat. Ein Hobby nebst Wettbewerb, nicht als Alternative, sondern Vorbereitung für das Gewöhnliche. „When you fall, get up!“ – Lebensweisheiten an der Rampe. Raff dich zusammen, krieg dein Leben endlich auf die Reihe! Nur, dass der Befehlston hier mit freundlichem Lächeln und fürsorglichen Gesten an den Tag gelegt wird. Unter der Fassade bleibt er derselbe.

Lisa und Lena im Skatepark in "Get Up"
Foto: Constantin Film

Sinnsprüche und Musikvideos

Lea Becker inszeniert diesen sommerlichen Gefühlsreigen nach Setzkastenschema: Recht schnell lässt „Get Up“ eine Formelhaftigkeit erkennen, die der Film fortlaufend wiederholt. Fetzige Musik und groß ausgestellte Emotionen vereinen sich in treibenden Montagen, dann geht es kurz hinein in einen kleinteiligen zwischenmenschlichen Konflikt, dann verteilt eine Figur irgendeinen motivierenden Spruch, eine Mahnung oder eine Tröstlichkeit, dann beginnt das Spiel von vorn. Irgendwas mit Selbstliebe, irgendwas mit Träumen und Kampfgeist – Scrollen durch den filmischen Sinnfluencer-Kosmos.

Seine verhandelten Krisen reichen von der ersten Liebe über soziale Perspektivlosigkeit bis zum elterlichen Erwartungsdruck und Trauerbewältigung. Mit der richtigen Einstellung und etwas Rückhalt gibt es aber natürlich nichts, was sich nicht lösen ließe. Nützt ja nichts! Egal, welchen Beruf und Weg man für sich im Leben ergreifen und gehen will: „Du brauchst ’nen Plan!“, hört sich Alex von ihrer verständnisvollen Mutter an. Nia (Jobel Mokonzi), neues Mitglied der Skaterinnen-Clique, lauscht ebenso den Erfahrungen ihrer Mutter, die als Künstlerin die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie in der Gesellschaft beklagt, aber ein ausverkaufter Konzertsaal soll alle Probleme vergessen lassen. Jede bittere Ernüchterung wird als süße Medizin verabreicht.

Dabei hätte „Get Up“ solche Gelegenheiten ergreifen können, um gerade über ein gesellschaftliches Verhältnis zu Arbeit, zum Einfügen in den Markt nachdenken zu können. Was bedeutet es denn für junge Menschen, diesem System alternativlos gegenüberzustehen? Stattdessen entsteht in letzter Konsequenz ein betulicher Erziehungsfilm zur Anpassung an den Lauf der Dinge. Freiheit, Aufstieg und Selbstermächtigung will er seinem Publikum insofern vermitteln, als er daran appelliert, die eigenen Träume und Ziele zu erkämpfen, auch wenn diese vielleicht nicht den Vorstellungen des Umfelds, der Familie entsprechen.

Nia und ihre Mutter in "Get Up"
Foto: Constantin Film

Sinnkrisen der Privilegierten

Zugleich findet beschriebener Emanzipationsprozess überwiegend in einem kleinen Milieu statt, das sich überhaupt leisten kann, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob man denn nun etwa für ein Archäologie-Praktikum nach London zieht oder Künstlerin an der Filmhochschule oder am Konservatorium wird. „Get Up“ ist damit ein weiterer Beweis für die Blindheit und Ignoranz solcher wohlfeilen Warenfilme, die die großen Visionen, Träumereien und guten Gefühle verkaufen wollen, aber ein differenzierteres Interesse an gesellschaftlichen Strukturen, Privilegien und Schieflagen im Großen und Ganzen verabschiedet haben. Sie beanspruchen für sich mit ihren Plattitüden und ihrem Selbstbewusstsein eine dreiste Allgemeingültigkeit, während ihre Illusion gar nicht bedenken will, dass sie per se immer schon ausschließend gestrickt ist.

Keinen Rückzug, keine Distanz, letztlich keinerlei fundierte Kritik oder auch nur einen Funken Kreativität, das Miteinander anders zu denken und zu leben, wenn auch nur für kurze Zeit, erlaubt dieses Coming-of-Age-Kino sich selbst, seinen Figuren und seinen Zuschauern. Regeln der Erwachsenengeneration und ihre Ideale, die es zu kritisieren versucht, sind längst verinnerlicht. Die abendlichen Ratschläge im Elterndialog unterscheiden sich kaum mehr von denen, die man sich unter Freundinnen hinterher beim Training verteilt. Denn: „Es ist nichts umsonst im Leben!“ und der letzte gemeinsame Sommer ebnet allein die letzten privaten Hürden in Richtung Produktivität.

„Get Up“ läuft seit dem 29. Juni 2023 im Verleih von Constantin Film in den Kinos.

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