Fast eine Dekade nach „Mad Max: Fury Road“ legt George Miller mit „Furiosa“ einen weiteren berauschenden Actionfilm über den Wahnsinn unserer Zeit nach.
Es zeigt sich recht schnell in „Furiosa“, wie schwer der Vorgängerfilm zu toppen ist. Dieses Prequel hat zunächst Mühe, den Motor zu starten, den Spiegel auszurichten, obwohl es immer noch die alte Maschinerie ist, die dort bedient und gelenkt werden will, um mit Vollgas durch die Postapokalypse zu rasen. „Furiosa“ knüpft an die surrealen, in knallige Farben getauchten Bildwelten von „Fury Road“, diesem Genre-Meilenstein, nahtlos an und ist doch ein ganz anders strukturierter Film, in dessen Erzählweise man sich erst einfinden, der Anlauf nehmen muss.
Was Regisseur George Miller neun Jahre nach dem fulminanten letzten Mad Max-Teil unternimmt, ist im Grunde eine Episierung dessen. Das meint hier: Er zerteilt das Motiv der Verfolgungsjagd, zieht trennende Zwischentitel, Kapitelmarkierungen ein, baut seine sparsamer und pointierter eingesetzten Actionszenen um erklärende, einordnende, kommentierende und dialogisch aushandelnde Passagen, um seine Welt noch einmal auf andere Weise zu erzählen. Man muss das nicht gut finden, wenn man sich nach „Fury Road“ auf einen weiteren kompakten, dauerhaft adrenalinpumpenden Action-Trip gefreut hat. „Furiosa“ ist jedoch mitnichten ein weniger interessantes und faszinierendes Werk. Es zeigt nicht nur einige der atemberaubendsten Kampf- und Zerstörungsszenen der vergangenen Jahre, sondern fächert die Dystopie der „Mad Max“-Reihe noch einmal neu und selbstreflexiv auf.
„Furiosa“ erzählt die Vorgeschichte von „Mad Max: Fury Road“
„Furiosa“ erzählt eine mehrere Jahre umspannende Vorgeschichte der titelgebenden Heldin. Als Kind wird Furiosa (Anya Taylor-Joy) von der marodierenden Biker-Gang von Dementus (Chris Hemsworth) entführt. Später entwickelt sie sich zur Mittlerfigur zwischen den konkurrierenden Festungen des Wüstenlandes und sinnt auf Rache. George Miller erzählt dabei im Kern von einem Handels- und Ressourcenkrieg. Das verknüpft ihn mit anderen aktuellen Blockbustern wie Dune: Part Two und Planet der Affen: New Kingdom, welche drohende oder schon eingetretene geopolitische Krisen, Verteilungs- und Machtfragen auf ihre fiktiven Filmwelten herunterbrechen. Bei George Miller ist das alles so schlicht wie schnörkellos konstruiert. Sein Menschheitsbild braucht nur einen kleinen Stoß, um die Gegenwart zuzuspitzen, sie in finstersten Anklängen auf die Leinwand zu übertragen, ihre Lunte anzuzünden und visuell überbordend explodieren zu lassen.
Millers Polemik und Dystopie ist dabei ganz klar: Zwischenmenschliches, Soziales hat hier keinen Platz mehr. Was zählt, sind einzig und allein Waren. Fundamentalstes, das ganze Imperien und Vorherrschaften begründet: Wasser, Essen, Muttermilch, Waffen, Munition und vor allem Benzin – das ist alles, was die Beziehungen zwischen Menschen in dieser Welt bestimmt. Das ist alles, was Reviere markiert und für gewalttätige Hierarchien und Kämpfe sorgt. Bomben, Knappheit, Seuchen, Faschismus und Naturkatastrophen verwüsten die Welt und die Menschheit hat noch nicht genug vom Elend.
Handelskrieg und Machtkampf im Wüstenland
„Furiosa“ zeigt den Weg in die Eskalation in seinem ganzen irrationalen Wahnsinn, indem er ein solches Weltbild, also eine Welt, die nur noch über verschobene Waren und Nützlichkeitsdenken funktioniert und in Menschen nur noch Herrscher und Beherrschte sieht, konsequent ihrer Sinnhaftigkeit entleert. Stumpfer Selbsterhaltungs- und Todestrieb zerfließen hier in hemmungslosen Orgien. Nur der Krieg bleibt als menschlich-historische Grundkonstante.
Postideologisch und postpolitisch ist diese Welt. Politisches Agieren geschieht allein als Kampf von oben nach unten, als Recht des Stärkeren sowie als groteske, aber letztlich hohle schauspielerische Geste. Einmal inszeniert sich Millers Bösewicht in staubüberzogener Verkleidung als roter Dementus, der so etwas wie eine kommunistische Utopie verspricht, eine Gleichheit und Befreiung der Unterdrückten aus der Gewalt der wohlhabenden Tyrannen. Es bleibt bei Floskeln und Posen. In Wirklichkeit wird er ebenso nach der Vorherrschaft greifen.
Schrotthaufen der Zivilisation
Post, post, post; überhaupt könnte man vor vieles in „Furiosa“ dieses Präfix setzen. Postideologisch, postapokalyptisch, postmodern, letztlich postkinematographisch. George Miller ruft permanent kulturelle, künstlerische, religiöse Referenzen, Bilder und Ikonen ab und würfelt sie wild durcheinander. Aber worauf verweisen sie eigentlich noch?
„Furiosa“ ist deshalb so brachial und beunruhigend, weil er den üppigen Erzählfundus des Blockbuster-Kinos, mit dem wir uns die Welt erzählen, an einen Nullpunkt führt, weil alles in ihm einem riesigen kulturellen, kahlgeschlagenen Schrotthaufen gleicht. Er bietet keine Verlässlichkeit mehr. Seine zerstreute Zeichenhaftigkeit kann eigentlich nur noch hinter den Performances der (Selbst)Zerstörung zurücktreten. Bedeutungen, Lösungen, produktive Ideen der Zukunftsgestaltung verzerrt dieses Kino warnend zum konsequent chaotischen Trümmerfeld, das Benzingestank und Abgaswolken atmet.
Zu viel CGI in „Furiosa“?
In diesem Zusammenhang erscheint es völlig absurd, dass ihm so viele Fans ästhetische Hässlichkeit und Künstlichkeit negativ ankreiden wollen, nur weil sie sich daran stören, dass ihr engstirniges Verständnis von Immersion auf Abwege gebracht werden könnte. Ja, „Furiosa“ arbeitet oft mit erkennbaren Digitaltricks, aber diese vielen Irritationen ergeben durchaus Sinn im gesamten ästhetischen Konstrukt des Films. In „Fury Road“ lag der Fokus auf praktischen Stunts, aber schon dort waren sie in hohem Maße mit digitalen Effekten angereichert, antinaturalistisch, überstilisiert und künstlerisch verfremdet.
Schon dort machte Miller im Spiel mit Bildfrequenzen, Beschleunigungen und Animationen keinen Hehl daraus, dass seine Figuren und Objekte immer auch bloße manipulierbare Marionetten des Mediums sind. Und schon dort haben solche Kniffe und die gesamte artifizielle Ausgestaltung keineswegs für Distanz gesorgt, sondern die Faszination für diese schrecklich schöne und befremdliche Welt noch weiter geschürt. „Furiosa“ bedient sich derselben Tricks, aber spitzt deren Verfremdungseffekte noch zu, entwickelt sie weiter.
Digitales und Analoges in der Spannung
In einer Zeit, in der das Kino als Ort und Kulturpraxis an Bedeutung verliert, in der Film im Alltag überall gegenwärtig ist, alles gefilmt werden, jeder filmen kann, uns eine Flut an Bildern umgibt und Präsenzen fortwährend verunsichert und spaltet, sucht „Furiosa“ eine adäquate Ästhetik für das Endzeitliche, Unsichere und Groteske genau in diesen Bruchstellen, Zersplitterungen und Gleichzeitigkeiten. Analoges und Digitales formt bei Miller ein unauflösbares, betontes Spannungsfeld.
Die Landschaften und Eindrücke, die er zeigt, sind immer auch reine Projektionen, uneindeutige virtuelle Realitäten, künstliche Bühnen und Fantasiegebilde, die in ihren Animationen berechnet und zusammengesetzt werden oder entfesselt kollidieren, um auf eine durcheinandergeratene Gegenwart zu reagieren. Weil es hier nicht darum geht, eine möglichst geschlossene, vorgefertigte und in allem real aufgebaute und absolut gesetzte Welt zu präsentieren, sondern deren Formung in und aus der Bewegung, in den heimsuchenden Störungen ihrer Aufnahmen auszustellen.
„Furiosa“ ist einer der besten Actionfilme der letzten Jahre
Das ist also keine identitätslose CGI-Seelenlosigkeit, wie man sie etwa aus vielen Superheldenfilmen kennt, sondern ein höchst ausgeklügeltes Spiel mit den Seherwartungen und Sinnen des Publikums, das sich nie zu sicher sein, sich nie zu bequem mit Augen und Ohren darin einrichten kann. Miller inszeniert ganz offensichtlich und bewusst in ästhetischen Grenzbereichen und Übergängen. Und er schafft bei aller Künstlichkeit dennoch zutiefst erschütternde, auf die Zuschauerkörper abzielende, viszerale Erfahrungswelten.
Ob das die taktilen, haptischen Nahaufnahmen von Oberflächen und Materialien sind: der keuchende, sich aufplusternde Atemsack im Nacken des monströsen Immortan Joe oder ein ekliges Madengewimmel auf fauliger Haut. Oder ob es der erneut berauschende Umgang mit Bewegungen ist, wenn sich gigantische Karosserien bei voller Fahrt übereinanderstapeln, aus kuriosen Fluggeräten Feuer zur Erde regnet. Miller inszeniert Sequenzen, die im Actionkino ihresgleichen suchen und wissen, wann sie auf Dialoge verzichten und allein die Bilder und Geräusche sprechen lassen müssen.
Gequälte Körper, freier Fall
Der Australier gehört zu den großen Ekstatikern der gegenwärtigen Filmlandschaft. Nicht nur dank seiner psychedelischen und dynamischen Einstellungen, sondern auch in dem Maße, wie er seine Figuren nach dem Ekstatischen und Transzendenten suchen lässt. In „Furiosa“ sind diese Suchprozesse höchst affirmativ, sinnlich vereinnahmend, aber auch desillusionierend eingesetzt. Seine Bilder arbeiten mit dem Taumel, Überschlägen, dem freien Fall, Verstümmelungen: Selbstmörder stürzen aus schwindelerregenden Höhen, turnen an Fahrzeugen, die an Ketten und Kränen über Schluchten baumeln, fügen sich Schmerzen in religiös beladenen Marterbildern zu, die nicht grundlos an Bilder erinnern, mit denen Terroristen und Kriegsverbrecher heute auch medial Gewalt ausüben.
Oder sie beackern und malträtieren in diesem zivilisatorischen Kollaps ihre eigenen Körper mit Piercings, Tätowierungen, Masken, Prothesen für Orientierung, Profilierung, reinen Pragmatismus. Ein künstlicher Arm als Werkzeug wird hier wie eine Motorsäge via Schnur zum Schnurren und Rattern gebracht, Heimat als Farbe in die Haut gestochen. „Furiosa“ arbeitet mit Inszenierungen Moderner Primitiver, mit dem Transhumanen, Sadomasochismus und grenzüberschreitender performativer Körperkunst, doch nichts davon will noch irgendetwas Erlösendes oder Subversives, irgendeine gehaltvolle Sub- und Gegenkultur ergeben.
Das Zeug, um episch zu sein
Schritt für Schritt raubt „Furiosa“ seinem Leidenstrip den Boden unter den Füßen. Erst steht dort eine grüne Utopie, die Fantasie von Überfluss und Sättigung, dann folgt die Vertreibung aus dem Paradies und Konfrontation mit dem Elend der Weltenreste. Dann kämpft man um Stoffe, Materialien, Macht. Erlangt man dabei keine Befriedigung, findet man keinen Sinn oder eine höhere Ebene – Walhall, wo ist das? – treibt man den Körper immer weiter über Grenzen, immer weiter in Gefahren und Qualen, Verschwendung und Verausgabung. Bis irgendwann Einsame übrigbleiben, die nur noch Rache und Nihilismus verbreiten können, da sich ihre Sehnsuchtsorte als verloren und imaginär entpuppen.
„Furiosa“ erzählt schlussendlich vom Beginn eines Befreiungsmythos, den man aus „Fury Road“ kennt, der jedoch seine Vorzeichen neu ausrichtet. In dem erstaunlichen Finale sind Wüstensand und Himmel vollends verschmolzen, hat sich die Welt vollständig verengt und befreit von allem. Ein grauenerregendes Nichts, Angst vor der Leere. Ein letztes Duell auf öder Bühne. Was überhaupt noch anstellen im Leben? Hast du das Zeug dazu, dass es episch wird? So oder so ähnlich fragt Millers rumorendes Spätwerk in einem Metakommentar nach dem eigenen Mechanismus im Getriebe der Filmindustrie: Show und episches Spektakel als Endstufe und letzte Prophezeiung. Die Utopie und Ungewissheiten, die er anklingen lässt, führen so unweigerlich auf die eigenen Filmbilder zurück, die der Vergangenheit entstammen und nun als Zukunft verheißen werden. Sie fallen höchst ambivalent zurück auf ihre eigene erbarmungslose Sensationslogik.
Vergangenheit als Zukunft
Wenn Miller noch einmal Szenen aus „Fury Road“ einspielt, sind das keineswegs nostalgische Erinnerungen oder schlichte Teaser, sondern vielmehr skeptische Verweise auf die Zerstörungsorgien, die aus diesem Mythos heraus erst noch folgen werden, in ihrer Erlösungsfantasie auf wackligen Beinen stehen und hier in Fragmente zerrissen und zerfetzt werden. Sie trauen ihrem Exzess, den diese Welt gebiert, womöglich selbst nicht mehr so ganz über den Weg.
Vielleicht werden sie nicht negiert, verkehrt oder symbolisch ausgelöscht, aber zumindest in einen differenzierteren Kontext gesetzt. Sie geben den Blick auf den Maschinenraum der eigenen Reihe frei. Eine interessante Fortsetzung erkennt man schließlich auch daran, dass sie sich auf Vertrautes nicht einfach blindlings stützt, sondern kritisch und experimentierfreudig bleibt und sich immer wieder selbst reflektiert. Andere Franchise-Filmer können sich das von George Miller abschauen.
„Furiosa: A Mad Max Saga“ läuft seit dem 23. Mai 2024 in den deutschen Kinos. Eine Heimkino-Edition kann bereits auf Blu-ray und UHD Blu-ray vorbestellt werden. Der Termin für die Veröffentlichung ist allerdings noch nicht bekannt.
Hinweis: Bei einigen Verlinkungen im Artikel handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Mit einem Kauf über diesen Link erhält DIGITAL FERNSEHEN dabei eine kleine Provision. Auf den Preis hat das jedoch keinerlei Auswirkung.