Die Tribute von Panem, Megalomaniac und mehr: Was sich jetzt im Kino lohnt

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Coriolanus Snow und Lucy Gray in "Die Tribute von Panem"
Foto: 2023 Lionsgate/ LEONINE Studios

Neben der Vorgeschichte zu „Die Tribute von Panem“ läuft aktuell mit „Megalomaniac“ ein Horror-Highlight 2023. Was sich im Kino lohnt und was nicht.

Megalomaniac

Der Autor und Regisseur Karim Ouelhaj wählt in „Megalomaniac“ einen interessanten Ansatz: Statt in herkömmlicher True-Crime-Tradition einfach nur ein reales Verbrechen filmisch zu rekonstruieren, versucht er sich an einer Weitererzählung und Abstraktion. Der Fall des sogenannten „Schlächters von Mons“ dient ihm als Ausgangslage, um Jahre später von der Vererbung und Tradierung von Gewalt und Machtverhältnissen zu erzählen. Was wäre, wenn die in Vergewaltigungen gezeugten Kinder des Mörders in die Fußstapfen des abwesenden Vaters treten?

Szene aus "Megalomaniac"
„Megalomaniac“ vereint reales und übersinnliches Grauen. Foto: Pascarl Bernaerts/ Drop-Out Cinema

Gewalt zeigt „Megalomaniac“ als ewigen Kreislauf menschlicher Triebe, einander beherrschen und unterdrücken zu wollen. Übersinnliches trifft auf reales, alltägliches Grauen. Patriarchale Machtverhältnisse und Zuschreibungen vergiften das Miteinander, bis die ohnehin Gedemütigten beginnen, zurückzuschlagen – das Rad dreht sich immer weiter. „Megalomaniac“ findet dafür erschütternd drastische, düstere, eindringliche Bilder, die mit großem Stilbewusstsein von den bildenden Künsten her gedacht sind. Ein schwer erträgliches, aber sehenswertes Horrorfilm-Highlight in diesem Jahr!

Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes

Suzanne Collins hat mit „The Ballad of Songbirds and Snakes“ einen interessanten Roman über Klasse, deren (Selbst)Inszenierung und Klassenkampf von oben geschrieben. Erzählt wird dabei eine Episode aus den Lehr- und Wanderjahren der hassenswerten Figur, die „Tribute von Panem„-Fans als Präsident Snow kennen. Diese zweieinhalbstündige Hollywood-Verfilmung nun ist allerdings ein eigenartiges Unterfangen: einerseits eine sklavisch werktreue, langweilig inszenierte Bebilderung der Vorlage. Andererseits bleibt von deren spannender Substanz überwiegend ein bloßes Skelett übrig, eine farblose Abfolge von Behauptungen und Plot-Stationen, deren Reibungsflächen, Ecken und Kanten spürbar beschliffen wurden.

Aus Coriolanus wird später der gefürchtete Präsident Snow. Foto: 2022 Lionsgate/ LEONINE Studios

Wo die Vorlage gerade in ihrer Exposition durchaus komplex den Kampf der Hauptfigur mit dem indoktrinierten Habitus und den Mechanismen ihrer Welt auffächert, bleiben davon in der Leinwandadaption ungelenk, schludrig verbundene Konturen, die sich lieber auf Gut-Böse-Schwurbelei, enttäuschte Gefühle und gebrochenes Vertrauen verlassen, anstatt den kritischen Blick auf westlichen Klassismus mit angemessenem Leben zu füllen. Von dem bigotten, unreflektierten Umgang mit Gewalt ganz zu schweigen.

The Quiet Girl

Colm Bairéad zeichnet eigensinniges Verhalten auf faszinierende Weise: indem er ihm die meiste Zeit das verbale Sprechen raubt. „The Quiet Girl“ sucht seine Kraft in ebenso scheuen wie neugierigen Blicken. Die Welt beobachtet durch Kinderaugen, um die Sicht auf das soziale Gefüge zu verstellen. Die neunjährige Cáit verbringt in Bairéads Film einen prägenden Sommer auf dem Land. Ihre Eltern geben sie zu entfernten Verwandten, wo das Miteinander in der Familie erkundet, sortiert, das Schweigen und Verstummen durchbrochen werden will.

Cáit in "The Quiet Girl"
Cáit erkundet die Welt. Foto: Neue Visionen Filmverleih

Das ist in stimmungsvollen Bildern in Szene gesetzt, richtet den Fokus gekonnt von der Vereinnahmung des Kindlichen hin zu einem gegenseitigen Stützen und Lernen. Wenngleich das meint, einen reichlich süßlichen Zugriff auf tränenreiche Emotionen, neunmalkluge Lehren und anrührende Kinderaugen zu finden, der sich irgendwann berechenbar zum (verwehrten) Glück der Wahlfamilie durchkämpft. Irlands Oscar-Beitrag 2023.

Die Bologna-Entführung

Eine interessante Verbindung mit „The Quiet Girl“ geht in dieser Woche Marco Bellocchios („Il Traditore“) neuer Film „Die Bologna Entführung“ ein. „Geraubt im Namen des Papstes“, lautet sein dräuender Untertitel. Im 19. Jahrhundert ist die päpstliche Macht im Straucheln, also versucht sie, mit aller Gewalt am Lauf der Dinge festzuhalten. Der siebenjährige Edgardo, Sohn jüdischer Eltern, wird heimlich von der Amme getauft, also soll er den Gesetzen der katholischen Kirche unterliegen. Man raubt den Jungen, verschleppt ihn nach Rom, wo er zum Christentum erzogen werden soll.

Szene aus "Die Bologna Entführung"
Geraubt im Namen des Papstes. Foto: Pandora Film/ Anna Camerlingo

Neben einer Auseinandersetzung mit Antisemitismus und kirchlicher Gewalt wirft „Die Bologna-Entführung“ damit eine komplexe Frage auf: Wer hat die Macht über den Geist des Kindes? Welche Prägungen lassen sich wie steuern, welche lassen sich im Laufe des Lebens nicht mehr abschütteln? An Ambitionen mangelt es Bellocchios Film nicht, aber an Fokus und diskursiver Tiefe, um seinen Ritt durch verschiedene historische Stationen mit einem Charakterporträt und einer Abrechnung mit der Kirche überzeugend zu vernetzen. Was gerade in der kindlichen Annäherung an Rom noch mit ästhetischen, finster-märchenhaften Wundern spielt, gerät später zum eher drögen Ausstattungskino, gepaart mit etwas hilflos karikierten, bloßgestellten Inszenierungsstrategien der vermeintlichen Gottesvertretern, die mehr subversive Brüche versprechen, als es die restliche ästhetische Filmkonstruktion eigentlich erlaubt.

Weitere Kinostarts am 16.11.2023

  • Cat Person
  • Dragon Inn (Wiederaufführung)
  • Hör auf zu lügen
  • Krähen
  • Peter Doherty: Stranger In My Own Skin
  • Sharknado (Wiederaufführung)
  • Thanksgiving
  • Vienna Calling

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