Der verstorbene „Sopranos“-Darsteller Tony Sirico lieferte mit „Paulie“ Walnuts die Performance seines Lebens ab – und setzte dem schillernden Mafia-Zerrbild aus „Der Pate“ ein wichtiges Gegendenkmal.
Paulie „Walnuts“ Gualtieri hält sich für einen waschechten Italienier, weil er einen Jogginganzug trägt und zu seinen Schimpftiraden gerne wild gestikuliert. Dass der in weiten Teilen New Jerseys gefürchtete Mafia-Soldat kein Italienisch spricht außer „Ciao, Commendatore“ (ungefähr: „Hallo, edler Herr“) stört den sauber manikürten Schutzgelderpresser und Auftragsmörder dabei kaum.
Als Paulie mit über 50 Jahren zum ersten mal die gesegnete Erde seiner sagenhaften italienischen Heimat unter den Füßen spürt, fühlt sich der harte Handlanger von Tony Soprano dann aber doch furchtbar fremd. Die lokale Cuisine kann er zudem kaum als italienisch identifizieren und mag sie auch nicht besonders – irgendwelche komischen Meeresfrüchte, keine Pizza oder Spaghetti.
Die Figur des Paulie „Walnuts“ ist zugleich traurig, lustig, niedlich und hochgefährlich – ein kindischer Killer mit obligatorisch-merkwürdigem Verhältnis zu seiner Mami, den man besser nicht schief anschaut. Ein krasser Typ, der sich ikonisch in jedes Gedächtnis brennt, mit dem aber wirklich keiner tauschen will. Und das macht ihn in einer der unbestritten besten Serienformate zu einem der gelungensten TV-Charaktere überhaupt – vor allem im abgedroschenen Mafia-Genre.
Warum „Die Sopranos“ heute wichtiger sind als die Corleones
„Die Sopranos“ unterminierten nämlich das überlebensgroße und verklärende Vorbild der Puzo-Romanfiguren Vito und Michael Corleone, die trotz der offensichtlichen Familientragödie in „Der Pate“ aufgrund ihrer Filmdarstellung jahrzehntelang stylisch-schillernd nachwirkten. Die eiskalten Patriarchen mit den schönen Anzügen und der adligen Aura eben.
Die schmierigen Berufsverbrecher der „Sopranos“ aus New Jersey lieferten um die Jahrtausendwende ein ganz anderes Bild ab: Untersetzte Proleten mit Goldkettchen und Halbglatzen, die sich Baustellen- und Abfallentsorgungs-Geschäfte mit dreckigen Mitteln unter den Nagel reißen.
Als einsame Reminiszenz an die gestriegelte Brando-Ära ist da Steve van Zant als pomadiger Nachtclub-Betreiber Silvio, der immer ein wenig wie aus der Zeit gefallen wirkt. Im wesentlichen ist der Archetyp des modernen Mafia-Soldaten aber Paulie „Waltnus“ Gualtieri: Ein kartoffelnasiger Brutalo in Turnschuhen, ein trotz aller porträtierten Grausamkeit und Komik hauptsächlich bemitleidenswerter Mann.
Tony Sirico setzt sich selbst ein Denkmal
Die „Sopranos“ hielten dem „Paten“, seinem auf dem hohen Sockel der totrezitierten Popkultur angestaubten Vorgänger, mit Figuren wie Paulie Gualtieri und Tony Soprano endgültig den Spiegel vor. Mit knallharten Chauvinisten, die Angst vor der Prostata-Untersuchung haben, unter Panikattacken leiden, heimlich zur Psychotherapie gehen und im nächsten Atemzug absolut geschäftsmäßig morden, nur um dann beim Abendbrot mit der Familie verquollen von Moral zu schwafeln.
Für jeden postpubertären Jugendlichen, an denen das „Nicht nachmachen“-Motto in „Der Pate“ aufgrund der glorifizierenden Darstellung der Mafia-Patriarchen vorbeigeht, gibt es mit Paulie „Walnuts“ Gualtieri ein wunderbares Gegenmittel. Damit hat sich das just verstorbene Darsteller-Original Tony Sirico eigentlich ein Denkmal gesetzt, das dem von Marlon Brando in nichts nachstehen sollte.
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- paulie4: Sky Deutschland