Im Finale der zweiten Staffel fährt „Die Ringe der Macht“ seine millionenschweren Register auf und offenbart, trotz sehenswerter Höhepünkte, wieder alle bekannten Schwächen in voller Montur.
Mit der vorherigen siebten Episode der zweiten Staffel hat die Amazon-Serie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ letzte Woche mit der Schlacht um Eregion in dramaturgischer, erzählerischer und inszenatorischer Hinsicht ihren bisherigen Höhepunkt abgeliefert, auch wenn bei Weitem nicht alles rund war – eine ausführlichere Rezension dazu ist bei DIGITAL FERNSEHEN nachzulesen. Jetzt präsentiert die jüngst veröffentlichte achte Episode das große Staffelfinale. Und ja: Es gibt zweifellos sehenswerte Höhepunkte. Das verhindert aber nicht, dass all die Schwächen, die die Serie seit Beginn der ersten Staffel plagen – und das sind nicht gerade wenige – wieder eklatant zu Tage treten.
Abklappern und vertrösten
Um Spoiler zu vermeiden, sollen hier Story-Details ausgepart werden. Stattdessen steht ein Abwägen der inhatlichen wie handwerklichen Qualitäten und Schwächen im Fokus. So viel sei aber gesagt, dass in die ca. 70-minütige Laufzeit der neuesten Episode tatsächlich alle Handlungsstränge platziert wurden, die die Serie jemals aufgemacht hat. Also geht es sowohl zu den Zwergen in Khazad-dûm als auch zur Schlacht zwischen Elben und Orks in Eregion sowie zu den Westmenschen im Inselkönigreich Númenor. Weiterhin sind noch die sogenannten „niederen“ Menschen in den Südlanden nahe Modor an der Reihe sowie auch der „geheimnisvolle“ Zauberer im Ostland Rhûn an der Seite der Haarfüße … Hüstel … Hobbits.
Dementsprechend oft springt das Finale der zweiten Staffel zwischen vielen verschiedenen Szenerien hin und her. Die meisten davon erhalten zu wenig Sendezeit, um wirkungsvolle Dramatik oder nachhaltig emotionales Gewicht aufzubauen. Besonders auffällig ist dieses strukturelle Manko beispielsweise bei den Zwergen in ihren Minen – hier erwacht zwar ein uralter Schrecken aus den Tiefen, aber das Problem ist erstaunlich schnell wieder vom Tisch (vorerst). Noch unbefriedigender ist die verwässerte Geschichte des Zauberers bei den Haarfüßen. Entschuldigung für diesen SPOILER, aber ja: Natürlich ist es Gandalf! Wer denn sonst? Lange genug hat die Serie für diese längst überfällige und in keinster Weise überraschende Enthüllung gebraucht. Was bleibt, ist mal wieder nur eine Vertröstung auf eine womöglich dramatischere Entwicklung in der dritten Staffel, die wohl erst in ca. zwei Jahren kommt, und das ist einfach viel zu wenig.
Glanz und Zauber
Spannender ist dagegen der verschwörerische Staatsstreich bei den Menschen in Númenor, aber auch dieser bekommt bei Weitem nicht genug Zeit in dieser Episode eingeräumt, um sich angemessen zu entfalten. Dafür hat zum Abschluss der zweiten Staffel nun Sauron seine bisher größten und eindruckvollsten Momente. Darsteller Charlie Vickers gibt dem wandlungsfähigen Meistermanipulator ein erfreulich komplexes Antlitz, der seine faszinierende Widersprüchlichkeit in einer Art sadistischen Sanftmütigkeit ausdrückt. Hier gelingt es tatsächlich, eine spürbare Tragik aufzubauen. Immerhin soll ja auch deutlich werden, dass Sauron die bedrohlichste Geißel Mittelerdes ist.
Es ist schon oft passiert, aber erneut soll hier auch gewürdigt werden, wie grandios die Serie ihre handwerklichen Stärken ausspielt: Schlachtengetümmel, dramatische Felsschläge unter Erde und vor allem die so hochwertigen Arbeiten der Köstum- und Maskenbildner sowie der Set-Konstrukteure sind ganz klar das Salz in der Suppe. Die visuelle Pracht und inszenatorische Wucht sind ein Schmaus für die Augen (leider ist der Orchester-Soundtrack eher generisch). Wer also vor allem ein Blockbuster-reifes, stellenweise bombastisches Fantasy-Spektakel sucht, ist bei „Die Ringe der Macht“ fraglos an der richtigen Adresse.
Dialog-Debakel
Wer allerdings besonders auf inhaltliche und erzählerische Qualitäten Wert legt, wird in der vorliegenden Episode mit all den narrativen Schwächen konfrontiert, die sich seit dem Serienstart bedauerlicherweise als die grundlegende DNA von „Die Ringe der Macht“ manifestiert haben. Überdeutlich kauen die obeflächlichen Dialoge dem Publikum mal wieder alles doppelt und dreifach vor. Selbst mitdenken ist offenbar nicht erwünscht. Nicht ein Fünkchen Interpretationsspielraum wird zwischen den Zeilen übrig gelassen. Auf diese Weise wird jeglicher Tiefgang nieder getrampelt, der vielleicht hier und da aufkeimen könnte.
Doch wenn dagegen Serien-Figuren, die in einer vorherigen Szene noch in lebensbedrohlicher Bedrängnis waren, plötzlich wie aus dem Nichts wo ganz anders auftauchen, gibt es nicht ein einziges erklärendes Wort, weil … das ist halt so. Dieses Erzähldebakel lässt sich einfach nicht schön reden.
Das große Versäumnis von „Die Ringe der Macht“
Eine gehörige Menge an aufdringlichem Kitsch und Pathos wird ebenfalls aufgefahren. Natürlich weisen schon Tolkiens Buchvorlagen diese Art von „High-Fantasy-Kitsch“ auf und sprühen vielfach vor hochtrabendem Pathos. Aber Amazons „Die Ringe der Macht“ nimmt sich lediglich diesen Kitsch und diesen Pathos und lässt den mythologisch so reichhaltigen wie metaphorisch tiefgreifenden Unterbau, den Tolkien über sein ganzes Leben erdacht und ausgebaut hat, beinahe komplett liegen. Das ist ein massives Versäumnis, das schlichtweg den qualitativen Kern der „Der Herr der Ringe“-Marke verfehlt (oder noch schlimmer: diesen nicht versteht).
Das zusätzlich Enttäuschende ist, dass in dieser Hinsicht auch in den kommenden Staffeln wohl kaum auf Verbesserung zu hoffen ist. „Die Ringe der Macht“ ist derzeit nach den Zahlen eindeutig die meist gesehene Serie auf dem Streamingdienst Prime Video. Dieser Erfolg gibt Amazon die Rechtfertigung, keine entscheidenden Kurskorrekturen vorzunehmen, sondern einfach so weiter zu machen wie bisher. Für die bevorstehende dritte Staffel wird es also höchstwahrscheinlich keinen Genuss ohne ein andauerndes Zähneknirschen geben und ohne das Gefühl, dass hier erzählerisch so viel mehr drin gewesen wäre.
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