Jahrelang hat sich das Boulevardblatt „Bild“ in Bewegtbild-Produktionen geübt – nun ist mit dem Sendestart eines hauseigenen TV-Vollprogramms ein Meilenstein passiert worden. Was bedeutet das für die deutsche Medienlandschaft?
Es gibt keine Redaktion im deutschsprachigen Raum, die gleichzeitig so sehr polarisiert und so viele Menschen erreicht wie die der „Bild“-Zeitung. Mit dem vollendeten Schritt ins TV-Geschäft ist dem Boulevardmedium jetzt ein beeindruckender, mittelfristig aber auch notwendiger Schritt gelungen. Schließlich verliert der Print zusehends an Bedeutung und kann mit der Aktualität und ständigen Verfügbarkeit digitaler Medien längst nicht mehr mithalten.
Erst Rundfunklizenz, dann TV-Programm
Eine Rundfunklizenz hatte man aufgrund einer stetig wachsenden Zahl von Livestreams mit Nachrichten und Talkshows auf der Website der „Bild“ ohnehin beantragen müssen, die Corona-Krise und der damit aufkommende Informationshunger und Diskussionsbedarf in der Gesellschaft dienten dem Flaggschiff des mächtigen Springer-Verlages dann als ideale Teststrecke: Mit zahlreichen Konventionen deutscher Nachrichtenformate brechend, am Sprecherpult verschwitzt mit dem Smartphone wedelnd und unverhohlen angriffslustig platzierten sich die neuen Live-Formate im Polit-Bereich. Und auch im Sportressort hatte man mit hochrot angelaufenen Dampfpöblern wie Mehmet Scholl bereits die Abteilung Attacke gebucht. Insofern war eins von vornherein klar: „Bild“ will die vergleichsweise steife deutsche TV-Landschaft aufwirbeln und mit einer amerikanisch-nonchalanten Intensität in Bewegtbildern machen.
„Bild“: Von vielen gehasst, von noch mehr gelesen
Nach wie vor ist vielen die Berichterstattung, das Layout, der Kampagnenjournalismus der „Bild“ ein Dorn im Auge: Zu plakativ, zu zotig, geradezu gewissenlos sensationsgeil und ohne Rücksicht auf Verluste. Andererseits spricht der Verbreitungsgrad des Mediums eine eindeutige Sprache: Die markigen Worte der haushoch aus den Zeitungsständen hervorragenden Schlagzeilen erreichen schlichtweg viele Menschen. Manche würden sagen mittels nackter Penetranz – für andere ist dies lediglich die bevorzugte Sprache der Menschen, die nicht unbedingt den akademischen Diskurs dominieren, aber eine signifikante Bevölkerungsmehrheit darstellen.
Meinungs-Maschine auf allen Kanälen
Die Frage von der Möglichkeit politischer Ausgewogenheit in den Medien ist eine schwierige, im Falle der „Bild“-Redaktion ist allerdings ebenso leicht gesagt: Hier wird recht unverhohlen Meinung gemacht. Pünktlich vor der Bundestagswahl klinkt sich so eine mächtige politisch agierende und agitierende Instanz ins verbreitungsstarke Medium TV ein – und wer bei den Kampagnen-Feldherren nicht hoch im Kurs steht, wird die erweiterte Öffentlichkeitswirkung des politischen Fleischwolfs der „Bild“-Redaktion dann an den Wahlergebnissen ablesen können.
Auch wenn man Annalena Baerbock nicht gerne als Merkel-Nachfolgerin sehen will: Ihren ungebremsten Absturz in den Popularitäts-Rankings und der Kanzlerfrage hat die „Bild“ vor einigen Wochen nahezu im Alleingang bewirkt. Dass „Bild“-Vize Paul Ronzheimer in seinem Polit-Sparringformat „Die richtigen Fragen“ nun unmittelbar vor der Wahl plötzlich zahmer agiert, ist indes nicht zu erwarten. So mancher wird sich dort verdammt warm anziehen müssen – wie zu Gast bei Kurt Krömers mächtigerem Pendant auf der anderen Seite des Meinungs-Grabenkampfes.
Verändert Bild die TV-Landschaft?
Wird der scharfe Ton der „Bild“-Formate im TV den Rest der Fernsehlandschaft beeinflussen? Und: Wird der Sender, insbesondere in der politischen Sparte, sein ambitioniertes Tempo aufrecht erhalten? Viele Augen sind auf das Projekt „Bild“ gerichtet – und es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Fernseh-Einstieg der Boulevardmarke in Duktus und Machart auch auf Formate der Konkurrenz abfärbt. Und auch wenn die Art und Weise der Berichterstattung vielen sauer aufstößt: Auch Paul Ronzheimer und Kollegen stellen sicher nicht nur falsche Fragen zum falschen Zeitpunkt. Eine spannende Diversifizierung der TV-Landschaft ist mit „Bild“ garantiert – ob sie dem ungeschriebenen journalistischen Reinheitsgebot vieler Medienkritiker entspricht, ist dabei allerdings äußerst zweifelhaft.
Bildquelle:
- bild-tv: BILD/Parwez