„Alter weißer Mann“: Was Gottschalk und Co. noch lernen können

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Jan Josef Liefers
Foto: 2024 LEONINE STUDIOS/ Wiedemann & Berg Film

Das deutsche Komödien-Kino ackert sich mal wieder an den Debatten der Zeit ab: Jan Josef Liefers betritt als „Alter weißer Mann“ die Bühne.

Mit dem Schriftsteller Franz Kafka wurde schon so oft Schindluder getrieben. Da kommt es auf diese eine Sequenz nun auch nicht mehr an. Der „Wunsch, Indianer zu werden“, ein kurzer Text von Kafka, der eine Fantasie vom Pferderitt schildert, die sich in wenigen Worten wieder auf rätselhafte Weise auflöst, wird am Beginn von Simon Verhoevens neuem Film gewissermaßen adaptiert. Jan Josef Liefers reitet darin mit freiem Oberkörper und den Rudimenten eines Westernfilm-Kostüms auf einem Pferd durch die Landschaft, ehe der morgendliche Wecker und der Stress des Alltags dem Traum ein jähes Ende bereiten. Also heißt es wieder: Darf man heute überhaupt noch „Indianer“ sagen?

Verhoevens Komödie „Alter weißer Mann“ kann mit derlei Anspielungen die ersten Diskurspunkte abhaken. I-Wort-Diskussion: Check. Winnetou: Check. Was ging nicht für ein Entsetzen durch das Land, als ein paar sensationsheischende Schlagzeilen rund um eine aktuelle Neuadaption des „Winnetou“-Stoffes dafür sorgten, dass der Deutsche auf einmal fürchtete, man könnte ihm seinen Karl May, seinen Winnetou verbieten. Verbot, von wem überhaupt? Wahrscheinlich von den Grünen! Oder der SPD! Und den Woken im Internet! Oder dem bösen Wolf, der das Vieh der Landwirte reißt!

"Alter weißer Mann" Poster
Der „alte weiße Mann“ lädt zum Diskurs. Foto: LEONINE STUDIOS

„Alter weißer Mann“ will die Streitthemen unserer Zeit abgrasen

Zurück aber zu der Figur des sogenannten alten weißen Mannes, die Jan Josef Liefers würdevoll verkörpert. Heinz Hellmich fürchtet um seinen Job bei der Fernfunk AG. Mit den Diskursen der Zeit kann er kaum noch Schritt halten. Überall wähnt er Fettnäpfchen, Sprechverbote, Shitstorms. Er findet sich nicht mehr zurecht in der hyperpolitischen Gegenwart. Um seine Stellung in der Firma doch noch halten zu können, lädt er seinen Chef und eine einflussreiche Unternehmensberaterin zu sich nach Hause ein. Heinz will sich besonders modern und politisch korrekt inszenieren und versammelt dafür diverse Gäste am Tisch. Und damit ist die Bühne bereitet für ein – die Deutschen lieben offenbar derlei Filme – eskalierendes Abendessen a la „Der Vorname“ oder „Das perfekte Geheimnis“.

Bis es dazu kommt, entpuppt sich „Alter weißer Mann“ jedoch vor allem als recht durchschnittliche und in ästhetisch beliebigen Bildern erzählte Midlife-Crisis-Komödie. Sie verpasst es leider ein Stück weit, das permanente Sprechen in Floskeln, Reizworten, Maßregelungen und Standpauken, die sich hier die Generationen und vermeintlichen ideologischen Gegensätze um die Ohren werfen, in ein interessantes Schauspiel zu übersetzen.

Jan Josef Liefers tanzt als "Alter weißer Mann"
Heinz will noch einmal etwas spüren im Leben. Foto: 2024 LEONINE STUDIOS/ Wiedemann & Berg Film

Jeder bekommt sein Fett weg

„Alter weißer Mann“ ist schlussendlich weniger kontrovers, als er sich vielleicht selbst vermarktet. Simon Verhoevens Komödie versteht es ganz geschickt, bei all den aufgeladenen Themen um Sexismus, Rassismus, Gendern, Repräsentation, diskriminierende Sprache und so weiter alle gegeneinander auszuspielen. Jeder Position soll der Wind aus den Segeln genommen werden, um so etwas wie Maß und Mitte im gesellschaftlichen Klima wiederzufinden.

Ein solches Anliegen macht Komödien allzu reibungslos und egal, wenn sie nur daran interessiert sind, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Es ergibt für die Produktion aber sicherlich Sinn, wenn man damit alle abholen kann. Jene, die sich vom Titel „Alter weißer Mann“ böse verunglimpft, angesprochen und verlacht fühlen, und jene, die die Bezeichnung „Alter weißer Mann“ als Totschlagargument und stereotype Figur gegenüber anderen Positionen ins Feld führen.

Wenn sich Privilegierte zum Opfer stilisieren

Und Hey, verfolgt man, mit welchen Aussagen Unterhaltungsgiganten wie Thomas Gottschalk seit Wochen Schlagzeilen und Shows bestimmen, weil sie neuerdings ihr Geschäft aus einer Form von Starrsinn schlagen, der darauf beharrt, die ominöse Jugend von heute nicht mehr zu begreifen, aber auch keine Bemühungen diesbezüglich erkennen lässt, ist die Relativierung dieses Films vielleicht doch nicht so verkehrt.

Hinter Schlagworte und Statements schauen, Kritik nachvollziehen, sich tiefer mit historischen Entwicklungen beschäftigen, warum etwa bestimmte Begriffe von Betroffenen als Diskriminierung verstanden werden, wie Sprache das Denken formt – das kann sicher nicht schaden! „Alter weißer Mann“ stößt in solche Richtungen vor. Ebenso wenig schadet es, sich bewusst zu werden, dass ein friedliches Miteinander nur deshalb möglich ist, weil man im Alltag eben nicht permanent das ausspricht, was einem gerade im Kopf umherspukt. Und nur, weil man nicht weiß, was „struktureller Rassismus“ ist, heißt das noch lange nicht, dass ein solches Phänomen nicht existiert ist.

Thomas Gottschalk ist natürlich nur einer von vielen, die ihren Kopf im Diskurs hinhalten. Die Diskussionen, die sich immer konfuser in ihren Erregungen überlagern, sind weit verbreitet. Wenn sich „BILD“-Autorinnen etwa öffentlich zum Opfer und zu Gefangenen „in der woken Welt“ stilisieren, weil es früher einfacher gewesen sei, „normal“ zu sein, und im selben Text sinngemäß Minderheiten als nicht normal markieren, liegt da etwas gewaltig im Argen. Diejenigen, die immer darauf beharren, wie tolerant sie doch seien, sind am Ende allzu oft jene, die sich am lautesten echauffieren, wenn sich das Gegenüber dann doch einmal zu erkennen gibt und seine Rechte einfordert. Sie offenbaren, dass ein WIR gegen DIE, ein NORMAL gegen UNNORMAL eben doch noch permanent das Denken bestimmt.

Eskalierendes Dinner Foto: 2024 LEONINE STUDIOS/ Wiedemann & Berg Film

Der blinde Fleck von „Alter weißer Mann“

Ob inklusives Sprechen, Quotenregelungen oder Forderungen nach Selbstreflexion: Immer herrscht dort die Angst vor dem Verlust. Man kann das in TV-Talkshows und Texten quasi wöchentlich erleben. Permanent fürchten sich Menschen davor, Privilegien zu verlieren, wenn andere gleiche Privilegien erhalten sollen. Und „Alter weißer Mann“ lässt hier leider einen blinden Fleck erkennen. Ist das Gezänk vorbei, sind alle Fettnäpfchen und Themen der Zeit abgegrast, dürfen sich jedenfalls alle wieder lieb haben.

Das meint in der Erzählung des Films: Die durchschnittliche deutsche Familie hat ein paar Mal mit dem Kopf in Richtung anderer genickt, darf sich am Ende, hat sie auch ihre internen Streitigkeiten beerdigt, noch einmal ihres Wohlstands und ihrer gefestigten Stellung in der Gesellschaft vergewissern. Niemand muss also Angst haben, sagt der Film seinem Publikum tätschelnd und betulich. Okay, schön! Ein anderer Film, der darin ebenso lauert, darf allerdings nie in dem Maße durchbrechen, wie es eigentlich angebracht wäre.

„Haben wir keine anderen Probleme?“, rufen Menschen gern, wenn es um Themen wie Gendersprache geht. In aller Regel sind sie es, die daraus das größte Problem stricken und alle Fronten verhärten. Das drängende Problem der Gegenwart ist weniger das Drama einiger Wehleidiger, die sich in all den Streitigkeiten nicht mehr zurechtfinden, wie „Alter weißer Mann“ hin und wieder suggeriert. Das eigentliche Problem ist, dass Populisten, rechte Parteien mit derlei diskursiven Nebenschauplätzen, Reizthemen und Empörungen, wo es eigentlich nichts zum Empören gibt, inzwischen Wahlen gewinnen und alles und jeden vor sich hertreiben. Vielleicht wäre ein Film darüber angemessen?

„Alter weißer Mann“ läuft seit dem 31. Oktober 2024 in den deutschen Kinos.

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8 Kommentare im Forum
  1. Kommt noch irgendein inhaltliches Gegenargument? Ich finde, der Autor trifft einen guten Punkt, wenn er schreibt: "„Haben wir keine anderen Probleme?“, rufen Menschen gern, wenn es um Themen wie Gendersprache geht. In aller Regel sind sie es, die daraus das größte Problem stricken und alle Fronten verhärten."
  2. Gottschalk brauch nichts mehr lernen. Generation staatliche pampersversorgung halt. Nicht der Rede wert. Die paar lauten haben sich auch bald überlebt.
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