Hat Microsoft mit der vollmundigen Ankündigung der leistungsstärksten Xbox zu viel versprochen, oder ist die Series X tatsächlich der Beginn einer neuen Gaming-Ära? Der erste Teil des ausführlichen Tests.
Wer das Glück hatte, in den 1990er-Jahren die 16-Bit-„Next-Gen“-Konsolen von Sega und Nintendo mitzuerleben, der wird bis heute an die ruckelfreien pfeilschnellen Grafiken eines „Sonic The Hedgehog“ oder „F-Zero“ zurückdenken. Flüssige Grafik, schnelle Ladezeiten und im Zusammenspiel mit dem richtigen CRT-Display vernachlässigbare Eingabeverzögerungen zeichneten das Gaming-Erlebnis von damals aus. Diese Tugenden rückten beim Wechsel in die digitale 3D-Ära immer weiter in den Hintergrund: Viele 3D-Games, darunter auch viele Rennspiele, wurden mit Konsolen meist nur noch in 30 FPS dargestellt und die Ladezeiten sowie die Eingabeverzögerungen verschlechterten sich immer mehr. Was viele Konsolenbesitzer und TV-Käufer unterschätzen: Die Gesamtverzögerung von Tasteneingabe, Signalverarbeitung der Konsole und Bildausgabe des TVs ist in Summe deutlich höher, als eine einzelne Input-Lag-Messung eines Displays.
Selbst im Xbox-One- und PS4-Zeitalter konnte eine Gesamtverzögerung von 100 ms in Spielen auftreten, obwohl moderne Fernseher mittlerweile kaum noch relevanten Input-Lag im Spielmodus aufweisen. Während sich die grafische Darstellung also stetig verbesserte, verschlechterte sich das Spielgefühl im Gegenzug immer mehr. Ein prominentes Beispiel ist hierbei „Forza Horizon 3“, das mit der Xbox One X und PC in 4K-Optik bestaunt werden kann. Der gravierende Qualitätsunterschied: Während die Xbox-Fassung in 30 FPS ein träges Spielgefühl vermittelt und der Geschwindigkeitseindruck leidet, können Sie mit Hochleistungs-PC in 60 oder gar 120 FPS durch das virtuelle Australien pflügen. Ein Qualitätsunterschied wie Tag und Nacht, der allerdings nicht über ein Youtube-Video vermittelbar ist, sondern nur, wenn man selbst zum Controller greift und beide Varianten spielt.
Da Microsoft die Konsolen- und PC-Welt immer stärker miteinander verknüpft, verwundert es nicht, dass sich Xbox-Chef Phil Spencer das PC-Segment in vielen Bereichen zum Vorbild genommen hat, mit dem Ziel, mit der Xbox Series X ein Next-Gen-Gaming-Gefühl im Massenmarkt zu etablieren. Mehr Bilder pro Sekunde, weniger Input-Lag und schnellere Ladezeiten sollen die Xbox Series X zur Vorzeigekonsole im Wohnzimmer machen.
Kinderleichter Umstieg
Was braucht es für einen Umstieg von Xbox One auf Xbox Series X? Nicht viel! Kopieren Sie sämtliche Inhalte der Xbox One einfach auf USB-Festplatten, schließen diese an der Series X an und melden Sie sich mit Ihrem Xbox-Konto an – fertig!
Die Navigation innerhalb der Xbox-Oberfläche klappte während unseres Tests der Series X deutlich ruckelfreier als mit älteren Xbox-Konsolen, wenngleich die Menüoberflächen derzeit nur in HD-Qualität angezeigt werden. An dieser Stelle noch ein Tipp, falls Sie auf der Suche nach Next-Gen-Grafikupdates sind: Im Microsoft-Store werden Next-Gen-optimierte Spiele durch kleine Series X/S Icons angezeigt und Ihre Spielebibliothek können Sie ebenfalls nach Next-Gen-Updates sortieren.
Noch einen Schritt weiter gehen die Dateiinformationen: Markieren Sie einzelne Spiele in Ihrer Sammlung und drücken Sie die Option-Taste, können Sie kryptische Dateiinformationen des jeweiligen Spiels einblenden. Hierbei werden die unterschiedlichen Xbox-One-Updates anhand der Codenamen der Konsolen aufgelistet: „Durango“ steht für die Standard Xbox One von 2013, „Scorpio“ für die leistungsstärkere Xbox One X von 2017 und „Scarlett“ beschreibt die beiden Next-Gen-Varianten „Anaconda“ (Xbox Series X) und „Lockhart“ (Xbox Series S). Anhand dieser Codenamen können Sie detailliert nachvollziehen, ob nachträgliche Spielepatches die neuen Konsolen wirklich ausreizen, oder ob Sie ältere Xbox-Software über den Kompatibilitätsmodus der Series X abspielen.
Der Vorteil älterer Xbox-Software: Sie können diese Games auch von externen USB-Festplatten starten, während optimierte Xbox-Series-X-Spiele nur über den ultraschnellen internen NVME-SSD-Speicher starten. Alternativ können Sie für knapp 240 Euro eine 1000-GB-NVME-Speichererweiterung von Seagate erwerben, die am Speicherport auf der Konsolenrückseite angesteckt wird. Da der Preis sehr hoch ausfällt, ist es eine günstigere Alternative, benötigte Spieldaten über externe Datenträger hin und her zu verschieben: Wer 100 GB auf externe Standard-SSD-Speicher verschiebt, sollte hierfür knapp 10 Minuten einplanen. Knapp 800 GB stellt die Xbox Series X zur freien Verfügung, was nicht viel ist, wenn man 100-GB-Brocken wie die „Halo-Collection“, „Forza Horizon 4“ oder „Gears 5“ installiert und auch das aktuelle „Dirt 5“ zeigte im Laufe unseres Tests einen immer größeren Speicherbedarf durch eine Vielzahl von Updates.
Einen neuen Rekord dürfte wieder einmal der neue „Call of Duty“-Teil aufstellen, der knapp 140 GB auf der Series X belegt. Die gigantischen Updates sind zudem eine immer größere Hürde, falls Ihre Internetverbindung nicht Schritt halten kann: Selbst mit einer 50-Mbit-Internetleitung werden Sie einige Tage damit beschäftigt sein, große Xbox-One-Spielesammlungen mit Series-X-Verbesserungen aufzuwerten, von Downloads riesiger Next-Gen-Games ganz zu schweigen.
Es fühlt sich besser an
Dass sich bekannte Spiele wie „Ori and the Will of the Wisps“, „Gears 5“, „Sea of Thieves“ und bald auch die „Halo“-Collection mit der Xbox Series X besser anfühlen, ist keine Einbildung: Im Zusammenspiel mit einem HDMI-2.1-TV (z.B. CX-OLED von LG), einer 4K-120-Hz-HDR-Signalübertragung und einem variablen Bildfrequenzabgleich nach HDMI-VRR-Standard werden jegliche Controller-Eingaben noch schneller umgesetzt. In Zahlen ausgedrückt: Selbst mit einem reaktionsschnellen TV, der einen Display-Lag zwischen 6,5 ms (120-Hz-Signal) und 13 ms (60-Hz-Signal) erzeugt, konnte die Gesamtverzögerung mit der Xbox One X (Tasteneingabe, CPU-Berechnungszeit, GPU-Rendering-Zeit, Displayausgabe, Lag des TVs) im Schnitt knapp 100 Millisekunden in einem Spiel wie „Gears 5“ betragen. Durch die Xbox Series X und einen HDMI 2.1 TV sinkt dieser Wert auf unter 60 Millisekunden, wie es die Entwickler in einer eigenständigen technischen Analyse eindrucksvoll demonstrierten. Starten Sie ein Spiel mit nativer 120-FPS-Wiedergabe, wie den Multiplayermodus in „Gears 5“, verbessert sich das Spielgefühl nochmals (weniger als 35 ms Gesamtverzögerung).
Damit erreicht die Xbox Series X als erste Konsole eine neue spielerische Dimension, die bislang nur von leistungsstarker PC-Hardware abgedeckt wurde. Aktuelle Spiele wie „Dirt 5“ setzen diese Tugend fort, indem Sie neben einem 60-FPS-Modus eine 120-FPS-Darstellung auswählen können. Auch das Koop-Erlebnis mit Games für mehrere Spieler, wie der Splitscreen-Modus der „Halo“-Collection, erfährt ein umfangreiches Upgrade und statt ruckeliger 30-FPS-Wiedergabe (Xbox One X) erwartet Sie ein flüssiger 60-FPS-Zweispielermodus mit Xbox Series X. Zudem setzen Spieleentwickler die zusätzlichen Ressourcen für eine bessere grafische Darstellung ein: Spiele wie „The Touryst“ oder „Ori and the Will of the Wisps“ werden intern in 6K-Qualität mit der Series X gerendert und als ultrascharfes 4K-Bild mit 120 Bildern pro Sekunde ausgegeben. Spiele wie „Gears 5“ zeigen mit Series X die detaillierten Ultra-Texturen der PC-Version und zusätzliche Grafikeffekte. Und während Sie mit der Xbox One X bei einem Spiel wie „Forza Horizon 4“ zwischen höherer Auflösung und flüssiger Darstellung wählen mussten, kombiniert die Series X nun beides. Selbst bei einem Sitzabstand von knapp 3 Metern mit einem 65 Zoll Fernseher gab sich die Series X in den meisten Spielen keine grafische Blöße, wenngleich die leistungsstärkste PC-Hardware auch mit der neusten Next-Gen-Konsole nicht gleichwertig ersetzt werden kann.
Doch das ist mit Xbox Series X auch nicht das vorrangige Ziel, denn Microsoft kombiniert hier Leistung mit enormer Effizienz: Im Homescreen genehmigt sich die Series X kaum mehr als 65 Watt, in den meisten Spielen klettert der Verbrauch kaum über 160 Watt. Damit verbraucht die Series X meist nicht mehr als eine ältere One X, obwohl eine bessere Auflösung und mehr Bilder pro Sekunde berechnet werden – die neuste Prozessorgeneration von AMD macht sich hier bezahlt. Was zukünftig möglich ist, deuten bislang nur wenige Titel wie „Gears 5“ an, denn mit maximaler Darstellungsqualität klettert der Verbrauch hier auf knapp 220 Watt. Gut möglich, dass wir den Maximalverbrauch der Series X erst mit zukünftigen Next-Gen-Spielen sehen werden.
Es sieht besser aus
Mit Vorfreude, aber auch Sorge blickten wir der neuen HDMI-2.1-Verbindung von Xbox Series X und aktuellen LG-OLED-TVs entgegen. Doch schnell wurde klar, dass unsere Skepsis gegenüber der noch jungen Displaytechnik unbegründet war: Das mitgelieferte HDMI-2.1-Kabel der Xbox Series X funktionierte ebenso reibungslos wie die Display-Erkennung. Mit wenigen Einstellungen im Xbox-Systemmenü konnten wir die maximale Bildausgabe im Format 4K, 120 Hz, HDR, 10 Bit und VRR aktivieren. Kaum ein Spiel nutzt dieses Leistungsspektrum nativ aus, doch die HDMI-2.1-Verbindung stellt sicher, dass Sie mit einer einzigen Einstellung immer das Optimum herausholen und der Input-Lag so gering wie möglich ausfällt.
Besitzen Sie kein Display mit HDMI 2.1, ist dies jedoch kein Beinbruch: Die 120-Hz-Bildausgabe wird auch in 1080p- oder 1440p-Auflösung mit der Series X unterstützt, was sich mit vielen HDMI-2.0-Geräten umsetzen lässt. Stehen Sie vor der Wahl, ein 4K-Signal in 60 Hz oder ein 1440p-Signal in 120 Hz über HDMI 2.0 auszugeben, empfehlen wir mit der Xbox Series X die 120-Hz-Variante. Für 2021 plant Microsoft eine Dolby-Vision-Bildausgabe in Spielen und auch zu diesem Standard ist der LG-CX-OLED im Spielmodus kompatibel. Einzige Einschränkung: Wählen Sie AMD Freesync innerhalb der HDMI-Einstellung des LG-OLED-TVs, ist die Dolby-Vision-Bildausgabe der Series X nicht mehr umsetzbar – wir empfehlen deshalb HDMI VRR, das automatisch aktiviert wird.
Ein aktuell vor allem im Internet heiß diskutiertes Thema ist uns nur eine Randnotiz wert: Wechseln Sie in den VRR-Modus, erscheinen dunkle HDR-Bildbereiche nahe Tiefschwarz auf dem OLED minimal heller als ohne VRR, wenn die native Display-Bildfrequenz von 120 Hz deutlich unterschritten wird. Da dieser minimale Unterschied im hellen Wohnzimmer keinesfalls ein Nachteil darstellt und Sie den HDR-Bildabgleich mit der Series X entweder im Systemmenü der Konsole oder in vielen Spielen getrennt vornehmen können, lässt sich dieser Unterschied meist manuell ausgleichen. Sorgen, dass die Xbox Series X nicht optimal mit aktuellen LG OLEDs zusammenarbeitet, können wir Ihnen somit nehmen: Die Wiedergabequalität ist auch bei einer VRR-Signalzuspielung in der Praxis erstklassig.
In unserem zweiten Test-Teil erfahren Sie morgen mehr zum Controller, zu den Ladezeiten, der Bild- und Tonausgabe sowie dem Laufwerk der Xbox Series X.
Optimierte Xbox-Series-X-Spiele
Auswahl, Vorteile im Vergleich zu Xbox One X
- Assassin’s Creed Valhalla: 60 FPS Modus oder bessere grafische Effekte
- Devil May Cry 5 SE: 120 FPS Modus oder neue Grafikeffekte wie Raytracing
- Dirt 5: Bessere Grafikeffekte oder 120 FPS Modus
- Fortnite: 4K mit 60 FPS, bessere Grafikeffekte
- Forza Horizon 4: 60 FPS kombiniert mit 4K-Auflösung
- Halo Collection: 120 FPS Singleplayer oder 60 FPS Splitscreen
- Gears 5: Bessere Grafikeffekte, 120 FPS im Multiplayer
- Grounded: 60 FPS und bessere Grafikeffekte
- Ori and the Will of the Wisps: 120 FPS und 6K-Renderqualität
- Sea of Thieves: 60 FPS und bessere Grafikeffekte
- Tetris Effect Connected: Bessere Grafikeffekte
- The Touryst: 120 FPS und 6K-Renderqualität
- Watch Dogs: Legion: Bessere Grafikeffekte wie Raytracing
- Yakuza: Like a Dragon: Bessere Grafikeffekte oder 60 FPS
Christian Trozinski, Chefredakteur HDTV
Hier weiterlesen: In unserem zweiten Test-Teil erfahren Sie mehr zum Controller, zu den Ladezeiten, der Bild- und Tonausgabe sowie dem Laufwerk der Xbox Series X.
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