Kathryn Bigelows Jagd nach Bin Laden
Die Jagd nach Osama bin Laden hat fast zehn Jahre gedauert und immense Ressourcen verschlungen. Mit „Zero Dark Thirty“ will Kathryn Bigelow die harte und gefährliche Arbeit der Beteiligten ehren. Das tut Sie in einem packenden Thriller, doch nicht ohne selbst für Skandale und offene Fragen zu sorgen.
Wissen Sie noch, wo Sie am 11. September 2001 waren und was Sie getan haben? Wahrscheinlich ja und wahrscheinlich sogar ziemlich genau – zumindest für den Moment, als die Bilder vom attackierten World Trade Center zum ersten Mal in den Nachrichten auftauchten. Doch wo waren Sie an dem Tag, als Osama bin Laden getötet wurde? Hier besitzen die meisten Nicht-Amerikaner wohl weitaus weniger detaillierte Erinnerungen. In den USA wurde dieser Tag (der zweite Mai 2011) schon von Anfang an als der zweite JFK der aktuellen Generation gehandelt. Also der Tag, der sich bei den Menschen genauso schneidend ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat wie die Ermordung John F. Kennedys Ende der 1960er. So versteht man hier am anderen Ende des großen Teiches vielleicht die Jubelbilder aus New York und anderen US-Städten über Bin Ladens Tod besser (auch wenn diese dadurch nicht weniger befremdlich erscheinen). Immerhin arbeitete eine der reichsten Nationen der Welt fast ein ganzes Jahrzehnt fieberhaft an der Ergreifung dieses einen Mannes.
Danach war alles anders
Bigelows Film setzt zwei Jahre nach dem 11. September ein und verfolgt die CIA-Analystin Maya (Jessica Chastain), die 2003 als noch blutjunger Frischling nach Pakistan versetzt wird, um die Verantwortlichen für den Anschlag auf das World Trade Center zu fassen. Dabei geht es gleich ans Eingemachte und die Folterung der Verdächtigen ist im Rahmen der Ermittlungen keine Seltenheit. Doch Maya bleibt trotz anfänglicher Abscheu hart und erhält schließlich vom Gefangenen Ammar nach dessen tagelanger Marter die vermeintlich heiße Spur, nach der sie gesucht hat.
Fortan scheint sie wie besessen zu sein und durchläuft eine jahrelange Odyssee mit immer neuen Rückschlägen und Verlusten. Doch sie wird ihr Ziel letztendlich erreichen – die Tötung Osama bin Ladens. Im Zuge dessen wandelt sie sich von einer engagierten Anfängerin zur abgebrühten Agentin, die sich von niemandem etwas sagen lässt und nicht von ihrem Weg abweicht.
Ein amerikanisches Trauma
Da der 11. September verständlicherweise besonders bei den Amerikaner tiefe Narben hinterlassen hat, könnte man „Zero Dark Thirty“ fast schon als einen therapeutischen Film ansehen, der mit einer (nach den Aussagen der Autoren) faktentreuen Dokumentation die kräftezehrende Suche nach Bin Laden, die selbst beinahe zu einer Farce wurde, wie in einer Traumabewältigung aufarbeitet. Letztlich geriet Bigelow aber hier selbst in Kreuzfeuer. Besonders von republikanischer Seite kam heftige Kritik an der detaillierten Darstellung der Foltermethoden der CIA, speziell des Waterboardings. Das im Film Gezeigte würde die CIA diffamieren und die illusionäre Ansicht verbreiten, Bin Laden wäre mittels Informationen gefasst wurden, die durch Folter gewonnen wurden.
Ironischerweise kritisierte die Gegenseite (u.a. der Kulturphilosoph Slavoj Zizek) den Film ebenso, da er sich nicht deutlich genug gegen die Folter aussprechen und sie dadurch bagatellisieren und normalisieren würde. Die Regisseurin Bigelow antwortete lediglich, dass es ihre Pflicht gewesen sei, die Ereignisse von einer neutralen Position aus darzustellen und dass in der Kunst nichts ausgespart werden dürfe. Bei all diesem Trubel ist es nicht verwunderlich, dass „Zero Dark Thirty“ bei den Oscars 2013 fast gänzlich übergangen wurde und sich lediglich die Auszeichnung für den besten Tonschnitt mit „James Bond 007 – Skyfall“ teilen durfte.
Frauenpower
Doch was taugt der Film denn nun tatsächlich, abseits all dieser Wirrungen? Wir haben es hier vor allem mit einem packenden Thriller und einer aufschlussreichen Rekonstruktion der Bemühungen von CIA-Agentin Maya auf der Jagd nach Bin Laden zu tun. Dass sich das Ganze über zweieinhalb Stunden nicht zieht, ist zum einen Bigelows Erfahrung als Action-Regisseurin zu verdanken. Zum anderen ist es der Hauptdarstellerin Jessica Chastain gelungen, ihre Figur innerhalb von deren achtjähriger Entwicklung an jedem Punkt auf den Kern zu fühlen. Und das obwohl Bigelow immer wieder große Zeitsprünge unternimmt.
So wird man als Zuschauer tatsächlich überrascht, vergleicht man die Maya am Anfang ihrer Karriere und jene abgebrühte und toughe Maya, die acht Jahre später auftritt. Man beginnt ihre Besessenheit immer besser nachzuvollziehen, auch wenn diese einen zuweilen erschreckt. Die bewusst neutrale Position des Films, deren Stärke vor allem zu Beginn darin lag, jedes moralisch ethische Urteil über die Folterdarstellungen und die Folterer selbst komplett dem Zuschauer zu überlassen und ihm keine Bewertung vor zu servieren, wird so aber schließlich immer mehr zu Maya und ihrem persönlichen Kampf geschoben. Das begünstigt zwar die Immersion des Zuschauers und geht dramaturgisch gesehen auf, muss sich aber auch die Kritik gefallen lassen, dass der Film nur eine rein amerikanische Sicht bietet und die Gegenseite um Osama bin Laden und seine Anhänger gänzlich übergangen wird. Der Terrorismus und die Terroristen bleiben bloß ein anonymes Feindbild.