The Tempest
Julie Taymor ist eine Meisterin der visuellen Lyrik. Das bewies sie sowohl im filmischen („Across The Universe“) als auch im Musical-Bereich („Der König der Löwen“). Nachdem sie sich schon mit „Titus“ an einem Shakespeare-Stück versuchte, wendet sie sich nun mit dem bildgewaltigen „The Tempest“ erneut dem Dichter aller Dichter zu.
Das offiziell letzte Bühnenstück Shakespeares ist kein Drama im klassischen Sinne. Es ist tragisch und komisch zugleich, entfaltet aber kein unverzeihliches Grundproblem und ist auch sonst eher leichte Kost, ähnlich eines Lustspiels. Dabei ist das Grundtema in jedem Fall ein Motiv, das förmlich nach Mord und Totschlag schreit, denn es geht um unerbittliche Rache. Die Rache eines Magiers namens Prospero, der seinem Zorn durch einen Sturm Luft macht. Das Unwetter über dem Meer bringt ein Schiff zum kentern, auf dem sich zufälligerweise alle Personen befinden, die sich an Prosperos Verbannung beteiligten. Zwölf Jahre nach dem Verdikt sieht er seine Chance nun gekommen, es den Missetätern heimzuzahlen, indem er sie an die Küste seines Insel-Exils spülen lässt und ein schmerzliches Verwirrspiel mit ihnen treibt.
Lyrische Emanzipation
Ohne Frage hält sich Julie Taymors Interpretation sehr eng an die Vorlage. Die Dialoge scheinen Wort für Wort dem Original entnommen und die Geschehnisse spielen sich fast haargenau so ab, wie im Bühnenstück. Angesichts der Shakespeare-Verehrung, die besonders im englischen Sprachraum vorherrscht, ist das aber auch kaum verwunderlich, denn jedwede Veränderung der Grundstruktur würde aus einer echten Shakespeare-Aufführung nur einen billigen Abklatsch machen.
Innerhalb dieses eng gesteckten Rahmens erlaubte sich Taymor aber dennoch einige wenige Variationen. Und jene grenzen nahezu an einem kleinen Geniestreich. Die markanteste Neuerung bezieht sich auf die tragende Hauptrolle Prospero, aus der nach einem kurzem Party-Gespräch mit Helen Mirren eine weibliche Prospera wurde. Zugegeben, nur ein kleiner Eingriff, dennoch gibt er dem ganzen Werk eine völlig neue Deutung. Zwar verliehen Frauen in Männerrollen schon so einigen shakespeareschen Verwechslungskomödien erst die richtige Würze, doch Helen Mirrens wutentbrannte Prospera ist dennoch ein Novum der ganz besonderen Art.
Sword And Sorcery
Prospera ist durch und durch Frau – unendlich liebevoll zu ihrer Tochter sowie gebranntmarkt durch die übermächtige Männerdomäne des Herzogtums. Eine kluge Verhandlungskünstlerin, ein emotional gepanzerter Racheengel, der keine Missetat vergisst, und dennoch ein mitfühlendes, weibliches Wesen, das Nachsicht walten lassen kann. Im Laufe des Films offenbart sich Helen Mirren als absolute Traumbesetzung für diese Rolle, die ihre jahrelange Bühnenerfahrung in jedem ausgesprochenen Satz zum Ausdruck bringt.
Jeder Blick und jede Geste von ihr wirkt wie ein schwungvoller Motor für die Handlung und entfacht immer wieder aufs Neue den emotionalen Bildersturm. Auch die Vortragsweise ist eines Shakespeare-Darstellers würdig. Um die Stücke des Meister-Dramaturgen vollends genießen zu können, genügt es nämlich nicht, einfach nur seine Texte zu lesen. Es sind die Stimmen der Schauspieler, die seine lyrischen Phrasen in die Herzen der Zuschauer tragen. Im Schatten der großen Mirren verblassen ihre Schauspielkollegen fast schon ein wenig. Zumindest geht das Junge Liebespaar, Prinz Ferdinand (Reeve Carney) und Miranda (Felicity Jones) mit ihren kitschig-zuckersüßen Liebesbekundungen komplett unter. Und auch die beiden Narren Stephano (Alfred Molina) und Trinculo (Russell Brand) passen keineswegs ins Konzept.