Surround unter Kopfhörern, Teil 3
Realiser A8
Ganz persönlich – der Realiser A8
Im Jahre 2004 gründeten die Gebrüder Stephen und Mike Smyth die Firma Smyth Research. Als einstige Entwickler des Codecs apt-X100 haben diese sich bereits einen Namen in der Audiobranche gemacht, denn der Codec wurde später von DTS für sein weitverbreitetes Surround- Format verwendet. Dementsprechend war die Geschichte beider Brüder stets eng mit DTS verflochten. In den letzten acht Jahren haben diese jedoch einen neuen Clou entwickelt: den Algorithmus SVS. Dieser kommt in der Kopfhörer-Surround-Lösung Realiser A8 zum Einsatz. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Realiser und allen anderen auf dem Markt befindlichen Geräten liegt in der Berechnungsgrundlage des virtuellen Raumes.
Es gibt hier keine vorgegebene HRTF oder Raumparameter, sondern der Benutzer erstellt einen individuellen „Abdruck“ eines beliebigen reell existierenden Hörraumes. Dazu gibt das Gerät Testsignale aus, die von dem dortigen Setup wiedergegeben werden. Der Hörer sitzt währenddessen mit zwei Messmikrofonen in den Ohren (ähnlich In-Ohr-Kopfhörern) am optimalen Hörplatz. Aus dem Unterschied zwischen den gesendeten Testsignalen und dem Ergebnis, das an den Mikrofonen ankommt, werden nun mehrere Informationen gewonnen: klangliche Eigenschaften der Elektronik im Hörraum, individueller Charakter der verwendeten Lautsprecher, Akustik des Raumes und die persönliche HRTF des Benutzers.
Leistung und Komfort
Zugegebenermaßen ist der Aufwand der persönlichen Einmessung und Einrichtung des Systems größer, als bei Beyerdynamics Headzone. Jedoch ist die Zielstellung eine andere: Es geht nicht nur darum, Surround-Sound reell abgebildet und mit angenehmen Klang zu hören, sondern ein vorhandenes System so genau wie möglich zu simulieren. Dieser Anspruch kommt eigentlich aus dem professionellen Studiosektor. Hier könnte der Ingenieur sich seine gewohnte Abhörumgebung einmessen und dann bequem mit nach Hause oder auf Reise nehmen. So muss sich nicht an neue klangliche Bedingungen oder verzerrte Räumlichkeiten unter Kopfhörern angepasst werden, die Mischung kann wie gewohnt erfolgen. Dazu wird sogar der Frequenzgang der verwendeten Kopfhörer ausgemessen und als invertierter Equalizer angewendet, damit der Eigenklang der Kopfhörer sozusagen aus dem fertigen Signal entfernt wird. Dennoch ist das System auch für den Einsatz im Wohnzimmer interessant.
So können beispielsweise in einem Tonstudio oder bei Bekannten mit einem hochwertigen System in einem optimalen Raum Einmessungen vorgenommen und so die akustischen Eigenschaften dieses mit nach Hause genommen werden. Auch, wenn man derartige Möglichkeiten nicht hat, oder das Geld für eine Studioeinmessung nicht aufbringen möchte, kann man sich ein beliebiges Setup einrichten. Dazu reicht schon ein einzelner Lautsprecher, der dann während der schrittweisen Messung Stück für Stück um den Hörer herum platziert wird. So können genug Lautsprecher für ein 7.1-Setup simuliert werden. Auch weitere virtuelle Kanäle können hinzugefügt werden. Das Hörerlebnis ist hier sogar zu zweit möglich. Ein Realiser kann die Berechnungen für zwei Headtracker übernehmen und so zwei Personen individuellen Ton zuspielen. Ein zusätzlicher Ausgang für einen motorisierten Shaker kann das gewohnte Gefühl eines Subwoofers ersetzen.
Schließlich wird dieser nicht nur akustisch, sondern auch durch Vibrationen wahrgenommen. Die eigentliche Einrichtung des Realisers für einen Hörer ist relativ zügig abgeschlossen. Eine Unmenge an Funktionen lässt jedoch die individuelle Anpassung zu, beispielsweise Bass Management und individuelle Stereomixdowns oder die Korrektur geringer Klangunterschiede mit dem integrierten 32-Kanal-Equalizer. Etwas gewöhnungsbedürftig ist dagegen die Bedienung mit der Fernbedienung und dem kleinen Display an der Gerätefront. Die Bedienungsanleitung ist für einige Vorhaben zunächst unverzichtbar. Das Zuspielen der Signale ist sowohl analog als auch per HDMI (als PCM) möglich. Bis zu 64 individuelle Abdrücke lassen sich intern und per SD-Karte speichern, es dürfen also mehrere Varianten, Personen und Räume ausprobiert werden. Im Praxistest wurden wir überzeugt: Beim ersten Hören durch die Kopfhörer unterlagen wir der Täuschung, die Lautsprecher würden die Musik wiedergeben – Tatsächlich waren diese aber stumm. Für alle Skeptiker des Kopfhörer-Heimkinos bleibt jedoch die Quintessenz: Mittlerweile existieren Lösungen, die echten Surround-Sound auch unter Kopfhörern überzeugend umsetzen können.
Eine Übersicht
Es existieren weitere Systeme, die Raumsynthese als Funktionsprinzip verwenden. Folgende wollen wir nicht unerwähnt lassen:
DTS Surround Sensation Headphone
Ähnlich wie bei Dolby Headphone handelt es sich hier um eine Software- Lösung ohne Headtracking-Funktion. Man findet sie integriert in Produkten wie Software-Blu-ray-Playern, Soundkarten oder Laptops.
Yamaha Silent Cinema
Ebenfalls ohne eigenes Gerät und Headtracking kommt diese Simulation aus. Sie ist beispielsweise an Kopfhörerausgängen von AV-Receivern zu finden und baut auf der hauseigenen Cinema-DSP-Technologie auf. Hier können maximal 5.1- oder 6.1-Tonformate wiedergegeben werden.
(Martin Heller)