Kunterbunt gegen Schwarz
Gleich zwei Regisseure wagten sich 2012 an den „Schneewittchen“-Stoff heran und brachten zwei Adaptionen ins Kino, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Tarsem Singhs kunterbunte Komödie für die ganze Familie trifft auf Rupert Sanders bild- und tongewaltiges sowie düsteres Fantasykino.
So sehr sich die beiden Hollywood-Streifen „Spieglein Spieglein“ (Tarsem Singh) und „Snow White And The Huntsman“ (Rupert Sanders) auch voneinander unterscheiden, eines haben sie definitiv gemeinsam: Mit dem klassischen „Schneewittchen“ der Brüder Grimm haben sie nur noch ansatzweise zu tun. Immerhin bei der Geschichte um die Geburt Schneewittchens und die Herkunft seines ungewöhnlichen Namens – die Haut so weiß wie Schnee, die Lippen so rot wie Blut und das Haar so schwarz wie Ebenholz – bleiben die beiden Regisseure der Vorlage zu gewissen Teilen treu.
Was jedoch in beiden Filmen auf diesen bekannten Part folgt, variiert von hinzugedichtet bis weit hergeholt. So bleiben am Ende nur die bekannten Charaktere: Schneewittchen, ihr Vater, eine verstorbene Mutter, die böse von Schönheit besessene Stiefmutter und Königin, ein männlicher Held, der Schneewittchen verfällt und natürlich die sieben Zwerge. Mit diesen Figuren und einigen mehr oder weniger zweckmäßigen Nebenrollen erfinden Singh und Sanders die Geschichte des Schneewittchens gleich zweimal neu und bleiben dabei mal mehr und mal weniger nahe am grimmschen Ur-Märchen.
Spieglein Spieglein an der Wand
Verrät ein Hollywood-Film in seinem Untertitel, dass er die „wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“ erzählt, dann erwartet der Zuschauer ohnehin keine detailgetreue Kopie des bekannten Märchens und rechnet mit einer freien Neuerzählung. Dennoch bleibt „Spieglein Spieglein“ um einiges näher am Original, als die Variation von Rupert Sanders. Tarsem Singh legt seine Schneewittchen-Verfilmung völlig auf das klassische Märchen-Publikum aus: Kinder und Familie. Dies ist nicht nur in den zum Teil recht naiv gestrickten Handlungen und Gags zu spüren, auch der visuelle Stil des Films schreit danach, Kinderaugen zum Leuchten zu bringen. Mit quietschbunten, ausladenden Kostümen, wie gemalt wirkenden Kulissen und klar in gut und böse einteilbaren Charakteren ist „Spieglein Spieglein“ in Sachen Anspruch zwar leichte Kost, aber dank des absurden, beinahe parodistischen Grundtenors und reichlich Humor eben auch ein Spaß für die ganze Familie.
Dafür sorgt in erster Linie die herrlich arrogante und zynische Königin, gespielt von niemand geringerem als Julia Roberts. Die 45-Jährige zeigt einmal mehr, warum sie immer noch eine der gefragtesten Schauspielerinnen Hollywoods ist. Nicht nur, dass man ihr trotz des Alters den Titel der „Schönsten im Land“ immer noch abnimmt, sie schafft es sogar, aus der bösen Königin einen Sympathie-Träger zu machen und trotz reichlich bissiger Boshaftigkeit für einen Lacher nach dem nächsten zu sorgen, indem sie nicht zuletzt auch sich selbst immer wieder auf die Schippe nimmt. Die 23-jährige Lily Collins in der Hauptrolle des Schneewittchens verblasst neben der routinierten Hollywoodgröße beinahe. Doch auch der jungen Britin kann man ein gewisses Talent nicht abstreiten: Unglaublich mitreißend gelingt ihr die Darstellung der naiven, schüchternen und allmählich über sich hinauswachsenden jungen Prinzessin.
Mit Armie Hammer hat Tarsem Singh schließlich nicht nur das perfekte „Prinz Charming“-Gesicht mit ins Boot geholt, sondern sich zudem einen jungen, engagierten Schauspieler geangelt, der sich trotz seines Schönling-Images nicht zu ernst zu nimmt und fast durchgängig zum Affen bzw. zum Hündchen macht. Alle Protagonisten verlieren leider in der deutschen Synchronisation etwas an Ausdrucks- und Überzeugungskraft. Ein Blick in den Originalton lohnt sich deshalb auf jeden Fall. Abgesehen davon bekommt der Zuschauer mit „Spieglein Spieglein“ eine gelungene Abmischung aus dynamischer, räumlich wunderbar inszenierter Action, musikalisch stimmig untermalten, emotionalen und humorvollen Ruhephasen und einer durchweg soliden Soundqualität. Optisch ist der Film in erster Linie durch die erwähnte Farbenpracht und Bildgewalt geprägt. Ein durchgängig zu hoch gewählter Kontrast sorgt dafür, dass die bunten Kulissen und Kostüme zusätzliche Strahlkraft erhalten. Ein leichter Sepia-Stich sorgt jedoch hier und dort für eine angenehme Abmilderung der Farben und unterstreicht den Märchencharakter und die Künstlichkeit des Films. Auch die größtenteils stechend scharfen Bilder unterstützen diese gelungene optische Wirkung.
Schneewittchen und der Jäger?
Weniger kindgerecht und humoristisch greift Rupert Sanders das Schneewittchen-Thema mit „Snow White And The Huntsman“ auf. Er rückt ebenfalls die böse Königin stark in den Vordergrund, macht aus ihr aber eine eiskalte, mächtige Hexe, deren geistige Gesundheit eindeutig in Frage gestellt werden sollte. Bildschön, aber mit einem stetig wachsenden, bedrohlichen Irrsinn im Blick, wird die herrschsüchtige Frau mit reichlich Over-Acting von Charlize Theron verkörpert. Die Oscar-Preisträgerin sorgt mit ihren überschwänglichen Wutausbrüchen und eiskalten Machtdemonstrationen zwar hier und dort für Gänsehautmomente und darstellerische Lichtblicke im Film, aber leider auch für unfreiwillig komische Szenen. Genau gegenteilig verhält es sich bei Twilight-Star Kristen Stewart in der Rolle des Snow White, die sich so blass und einseitig zeigt, wie man es von ihr gewohnt ist.
Entsprechend ihrer emotionsschwachen Darstellung ist das Schneewittchen in Sanders Adaption ein charakter- und gesichtsloses Mädchen, dass sich naiv und widerspruchslos seinem vorbestimmten Schicksal fügt. Dabei wirft sie auch die zu Beginn des Films erwähnte Gutherzig- und Friedfertigkeit über Bord und greift kampflustig zu Rüstung und Schwert. Ebenfalls sehr weither geholt, undurchdacht und vorhersehbar erscheint das sich entwickelnde Liebesdreieck zwischen Snow White, ihrem Jugendfreund William (Sam Claflin) und dem brummigen, versoffenen Huntsman, gespielt von Thor-Darsteller Chris Hemsworth. Bei letzterem scheint der große Hammer lediglich durch eine Axt und der Götter-Fummel durch die Jägerkluft ersetzt worden zu sein, denn der Australier zeigt bei seiner Darstellung des Huntsman kaum spürbare Unterschiede zu der des Halbgottes Thor.
Auch sein komödiantisches Talent kann er in dem bitter-ernstenFantasy-Streifen nicht ausspielen. Da das Drehbuch für den grobenJägersmann jedoch ohnehin nicht mehr als kraftvolles Axt-Schwingen undgelegentlich Wutausbrüche sowie knurriges Gebärden verlangt, fallendiese darstellerischen Defizite kaum auf. „Snow White And The Huntsman“erweckt generell den Anschein, als wäre die lieblose, unzusammenhängendeStory mit schwammiger Charakterzeichnung lediglich als Alibi für diespektakulären Schauwerte des Films entwickelt worden. Denn eines schafftRupert Sanders definitiv: Den Zuschauer mit beeindruckenden Effektenund großer Bild- und Tongewalt im Sitzpolster festzuhalten und ihn amAbschalten des Filmes oder Verlassen des Kinos zu hindern. Nicht nur,dass er dem Kindermärchen ein unerwartet schauriges und düsteres Antlitzverleiht, er lässt im CGI-Studio außerdem eine Reihe beeindruckenderFabelwesen entstehen, die leider nur reinen Schauwert besitzen, jedochkeinerlei Einfluss auf die Story haben. Die wunderbare Bildwirkung wirdnatürlich auch durch eine hervorragende Schärfe begünstigt, die auchdann bestehen bleibt, wenn es einmal düster wird.
Und gerade in dendüsteren Momenten machen sich auch die gelungene Ausleuchtung, derwunderbare Schwarzwert und der leicht zu hoch gewählte Kontrastbemerkbar. Sie sorgen gemeinsam dafür, dass Schatten tiefschwarzerscheinen und das Bild trotzdem körnungsfrei und detailliert bleibt. Auch farblich bietet sich dem Zuschauer ein eindrucksvolles Bild:stilistische grau-braun-Töne wechseln sich je nach Stimmung undSituation des Filmes mit klaren, kräftigen Farben ab. So ergibt sicheine harmonische Bilddynamik, die das Filmerlebnis definitiv aufwertet.Ähnlich bzw. sogar noch eindrucksvoller verhält es sich mit dem Sound.Besonders wenn Magie und Action ins Spiel kommen, macht sich diehervorragende Surround-Inszenierung bemerkbar. Wenn sich z. B. diemagischen Raben der Königin ihre Herrin in einer Art Wirbelsturmumkreisen, kann der Zuschauer beinahe spüren, wie der Wind derFlügelschläge um ihn herum kreist. Der volle Sound kann besonders mitseinen grollenden Bässen punkten, die perfekt platziert sogar für einenHauch Dramatik sorgen können. Lediglich mit der Synchronisation gehtauch in Rupert Sanders Adaption einiges an Darsteller-Wirkung verloren,speziell bei Charlize Theron, deren Darstellung durch die Originalstimmeetwas weniger übertrieben und dafür eindringlicher wirkt.
(Nele Reiber)