Visuelles Feuerwerk
Vor knapp 20 Jahren erschien mit „Baraka“ ein Dokumentarfilm in den Kinos, der die Welt dieses Mediums auf den Kopf stellte. Statt der systematischen Wissensvermittlung durch einen Kommentar und der daran gebundenen Bildfolge konzentrierte sich der Film ausschließlich auf die Ästhetik des Gezeigten und zielte damit, unterstützt durch die entsprechenden Klänge, auf eine meditative Wirkung ab.
Das Konzept ging auf, die auf teurem 70 Millimeter-Material aufgenommenen Bilder sahen aus, wie die Gewinnerfotografien des alljährlichen World-Press-Photo-Wettbewerbs – bis ins kleinste Detail durchkomponiert und mit dem fachmännischen Auge eines Profi-Fotografen eingefangen. Nun haben die beiden Filmemacher Ron Fricke und Mark Magidson erneut einen Film gedreht, der den Rhythmus des Planeten durch visuelle Meditation spürbar machen soll. Anstatt auf die in vielerlei Hinsicht günstigere Digital-Technik umzusteigen, bauten sie erneut auf das riesige 70 Millimeter Filmmaterial, das für die Bearbeitung in der kaum zu überbietenden 8K-Auflösung eingescant und digital überarbeitet wurde.
Die 8000 x 6000 Bildpunkte je Frame (umgerechnet ist das ungefähr die 24-fache Full-HD-Auflösung) stellten die Postproduktions-Hardware sowohl während der Bearbeitung als auch bezüglich des Speicherumfangs der immensen Datenmengen vor die ultimative Herausforderung. In die Kinos kam der Film letztendlich in einer 4K-Auflösung, vorausgesetzt, die Kinos waren speziell dafür ausgestattet. Für die Produktion von „Samsara“ reisten die Filmemacher über fünf lange Jahre von Kontinent zu Kontinent, um in 25 Ländern sagenhafte Motive zu finden: Extreme aus der menschlichen Kultur und der Natur.
Und obwohl dies alles ganz ohne Kommentar präsentiert wird, sprechen dieAnordnung, die Abfolge der Bilder als auch die Motivwahl Bände. Sei esder absolut uniforme Massenauftritt der chinesischen Marine, diejapanische Produktionsstätte von lebensechten Plastikfrauen, derAusbruch eines Vulkans oder das verhärmte Gesicht einer äthiopischenUreinwohnerin – jede einzelne Aufnahme ist eine Offenbarung, die indieser Form noch nie gezeigt wurde. „Von der Geburt bis zum Tod“ lautetdas Motto von „Samsara“ und stellt somit den natürlichen Kreislauf desLebens in der heutigen Zeit dar.
Die Verknüpfung untergegangenerKulturen mit der Gegenwart zeigt eindrucksvoll die immer währendeVergänglichkeit. Die Gegenüberstellung von natürlichen Phänomenen undprovozierenden Bildern, die den Kreislauf stören oder widersprüchlichwirken (ein auf ein Auto gefallenes Haus, unbelebte Menschen-Puppen,Sammelmaschinen für Geflügel oder tanzende Sträflinge, Tempelanlagenneben Wolkenkratzern) führen den befremdlichen Einfluss des Menschen vorAugen. Selbst vor der Darstellung eines Performance-Künstlers, der sichan einer Stelle des Films selbst verunstaltet, schreckten die Machernicht zurück.