Im Spotlight
L’Enfant Sauvage, das wilde Kind – so nennen die Dänen ihren aufstrebenden Arthaus-Regisseur Nicolas Winding Refn. Wenn man seine Filme sieht, lässt sich tatsächlich eine latente Gewalt erkennen, die nur darauf wartet, sich in einem neuen Meisterwerk zu entladen.
Spätestens seit dem spektakulär stylischen Arthaus-Drama „Drive“ ist Winding Refns unkonventioneller, vorrangig visueller Erzählstil bekannt wie ein bunter Hund. Seine Filme sind für den heutigen Hollywood-Apparat im Prinzip das, was Sergio Leones Spaghetti-Western in den 1960ern waren. Ohne viele Worte zu verlieren, geht es um die Blicke, die Körpersprache und die inneren Prozesse, die der Zuschauer nur vermuten kann.
Refns Helden sind also mindestens so cool wie Clint Eastwood. Und wenn sie doch einmal ein paar Worte verlieren, dann hallen diese wider, wie ein Donnerschlag. Auch das Stilmittel der expliziten Gewalt wird quantitativ sparsam gesät. Wenn sie jedoch ausbricht, dann in einer kurzen, unästhetisch nüchternen Szene, die stets einen faden Beigeschmack hinterlässt. Brutalität und die Macht der Worte nutzt der Drehbuchautor, Produzent und Regisseur demnach alles andere als inflationär. Stattdessen sind sie seine streng gehüteten Waffen, die er so punktuell und gezielt einsetzt, dass sie das Hirn des Betrachters kräftig durch die Mangel drehen. Beispielsweise gibt es in seinem Wikinger-Epos „Walhalla Rising“ (2009) gerade einmal 120 Dialogzeilen. Dem von Mads Mikkelsen gespielten Protagonisten kommt hierbei kein einziges Wort über die Lippen.
Auch der aktuellste Streich „Drive“ ist nicht gerade für seine Dialoglastigkeit bekannt. Die innige Beziehung zwischen Irene (Carey Mulligan) und dem Driver (Ryan Gosling) besteht hauptsächlich aus grinsendem Schweigen. Refns Hang zur Wortlosigkeit stellt sich als Stärke heraus, da sie den Worten eine enorme Bedeutung zumisst.
Der Berserker
Ursprünglich standen die Weichen für Refns Filmkarriere nicht so gut. Beschaut man sich den extrem ruhigen Kopfmenschen in seinen Dokus bzw. in aktuellen Interviews, mag man kaum glauben, dass er in jungen Jahren wegen eines Wutanfalls (er schleuderte einen Tisch gegen die Wand) von der American Academy Of Dramatic Arts flog. Und auch die Ausbildung an der Danish Film School war nur von geringer Dauer. Erst die Ausstrahlung einer seiner Kurzfilme lenkte die Aufmerksamkeit einiger Produzenten auf ihn, was ihm das Budget für seinen ersten Kinofilm einbrachte.
„Pusher“ (1996) war in vielerlei Hinsicht ein Sprungbrett für den zu dem Zeitpunkt gerade einmal 26-jährigen Winding Refn. Das schonungslose Drogendrama über die Kopenhagener Unterwelt kam bei der Kritik und auch beim Publikum gleichermaßen gut an und gilt heute zusammen mit seinen zwei Fortsetzungen als Kultwerk schlechthin. In Teil zwei spielt übrigens ein bis dato noch recht unbekannter Mads Mikkelsen die Hauptrolle, der sich während des Drehs mit dem Regisseur anfreundete. Nach dem medienkritischen „Bleeder“ (1999) und einer TV-Miniserie,widmete er sich einem seiner intensivsten, introvertiertestenPsychothriller.
Der Filmfan
„Fear X“ gehört zu den weniger bekannten Werken des Regisseurs, trägt aber alle Ingredienzen eines echten Winding Refn. John Turturro spielt hier einen traumatisierten Kaufhauswächter, der unermüdlich nach dem Mörder seiner Frau sucht. Unzählige Abende verbringt er vor seinem Fernseher und sieht alte Überwachungsvideos durch. Auf einigen von ihnen macht er Personen ausfindig, die ihm verdächtig erscheinen und häufiger als einmal auftauchen. Während des Schlafs suchen ihn zudem immer dieselben seltsamen Visionen heim, in denen er der verborgenen Wahrheit näher kommt. Als ihm eines Tages die verpixelte Aufnahme des wahren Täters gezeigt wird, beginnt für ihn eine stille, nervenaufreibende Reise zur Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“.
Mit „Bronson“ (2008) schuf er ein Bühnenstück, das sich locker mit Stanley Kubricks Beatnik-Meisterwerk „Uhrwerk Orange“ (1971) vergleichen lässt. Die seltsame Geschichte über den notorischen Verbrecher Michael Peterson, der sich während seiner 30 Jahre Einzelhaft in seinem Alter-Ego Charles Bronson verliert, war quasi das Sprungbrett für Tom Hardy, der heute einer gewissen Fledermaus als Bane das Fürchten lehrt. „Bronson“ und die beiden Filme „Walhalla Rising“ (siehe Ausgabe 01/11) und „Drive“ (siehe Ausgabe 03/12) feierten kompromisslose Kritikererfolge und markieren den Beginn von Nicolas Winding Refns Höhepunkt des Schaffens. Doch mit seinen gerade einmal 41 Jahren hat er noch viel Zeit, seine außergewöhnliche Filmkunst zu betreiben. So hält er mit seinen Nachfolgeprojekten „Only God Forgives“ (2013) und „Logan’s Run“ an seinem neuen Lieblingsdarsteller, Shootingstar Ryan Gosling fest. Wie seine Pläne für die Zukunft aussehen, erzählte er uns im folgenden Interview persönlich.