Ryan Goslings Regiedebüt
Nicht genug, dass Everybody’s Darling Ryan Gosling vor der Kamera inzwischen so gut wie jedem Kollegen die Schau stiehlt – jetzt will er auch noch seine eigenen Drehbücher schreiben und das Regiefach für sich erobern! Sein Erstling „Lost River“ wird mit Spannung erwartet – und wird wohl so manchen Fan heftig vor den Kopf stoßen.
Dass Ryan Gosling so manches Frauenherz höher schlagen lässt, ist ja hinlänglich bekannt. Doch erstaunlicherweise macht ihn sein enormer Schlag bei der Damenwelt für die männlichen Kinobesucher nicht zum roten Tuch – im Gegenteil, sein lässiger und doch schicker Stil wird nachgeahmt, sein breites Kinn mit stylishem Dreitagebart gilt als männlich durch und durch.
Spätestens seit dem Nicholas Sparks-Schmachtfetzen „Wie ein einziger Tag“ (2004) und dem brillanten surrealistischen Thriller „Stay“ (2005) musste jedem klar sein, dass hier einer der kommenden Superstars der Filmwelt dabei war, Hollywood im Sturm zu erobern. Dass er seine Rollenauswahl inzwischen konsequent in Richtung Independent-Film ausgerichtet hat und unbequeme Stoffe dem sicheren Publikumserfolg eindeutig vorzieht, trägt zum Kult um seine Person nur bei.
Man kommt nicht umhin, Parallelen zu Leinwandgrößen wie Paul Newman oder James Dean zu ziehen, die mit ihrem unverwechselbaren Stil, ihrem charismatischen Äußeren und dem großen schauspielerischen Talent zu unvergessenen Kinohelden und umjubelten Sex-Symbolen wurden.
Regie-Debüt
Für „Lost River“ versucht sich Gosling nun also erstmals als Drehbuchautor und Regisseur. Zusätzlich ist er auch als einer der Produzenten tätig. Dass solch ein Projekt nicht mal eben nebenbei entsteht, lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass 2014 seit langem mal wieder ein Jahr war, in dem er seiner stetig wachsenden Filmographie keine weitere Rolle hinzugefügt hat.
Ein Auftritt vor der Kamera hätte seinem Erstling sicher ungleich größere Aufmerksamkeit gesichert – Respekt, dass er diesen Trumpf bewusst nicht gezogen hat, um sich voll und ganz auf die ohnehin extrem fordernde Aufgabe auf dem Regiestuhl zu konzentrieren.
Die wiederholte und sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit dem dänischen Regie-Enfant-terrible Nicolas Winding Refn hat dabei deutliche Spuren hinterlassen: Parallelen zur suggestiven Bildsprache von „Drive“ (2011) und „Only God Forgives“ (2013) lassen sich einfach nicht übersehen.
„Lost River“ entfaltet nur nach und nach eine eher rudimentäre Handlung. Man begleitet eine alleinerziehende Mutter, die es aus akutem Geldmangel in einen geheimnisvoll-morbiden Nachtclub verschlägt. Man streift mit ihrem einsamen Teenager-Sohn durch eine verfallene Geisterstadt, der er die letzten Reste an wertvollem Kupfer zu entreißen sucht.
Gedanken-Fluß
Es sind eher lose aneinandergereihte Szenen und Schlaglichter, aus denen man sich Stück für Stück seine eigene Gedanken-Collage zusammenstellen kann. Wenn man sich darauf einlässt, kann das durchaus den beabsichtigten hypnotischen Sog entfalten – doch sobald der Zuschauer eine gewisse Abwehrhaltung gegenüber solch einem stark assoziativ geprägten Erzählstil einnimmt, prallt er erbarmungslos ab an den dunklen, mysteriösen und geheimnisvollen Bilderfluten.
Das Leitmotiv ist urbane Ödnis und Verzweiflung: Das titelgebende „Lost River“ ein von Stadtflucht und Immobilienkrise gebeuteltes Städtchen im Herzen Amerikas, dessen Zukunft eher nach Apokalypse als nach irgendeiner Art von Hoffnung aussieht.
Ein echter Trumpf des Films ist auf jeden Fall seine starke Besetzung: Eva Mendes gefällt als verruchte Nachtclub-Schönheit Cat, „Mad Men“-Star Christina Hendricks als zu allem entschlossene Mutter Billy, und Saoirse Ronan – die heimliche Hauptfigur aus Joe Wrights „Abbitte“ – beweist hier als geheimnisvoll-ahnungsvoller Teenager Rat aufs Neue, dass sie mehr als nur ein Kinderstar ist.
Arthouse-Experiment
Die Figuren agieren mit fragilen Blicken, durch kaum merkliche Andeutungen – dann wieder folgen unvermittelt explizite, brutale Szenen, die in ihrer Deutlichkeit fast schon zu weit gehen. Traum und Realität, Varieté und Wirklichkeit scheinen sich in dieser im Untergang begriffenen Welt fließend zu mischen.
Ein düsterer filmischer Alptraum entsteht, der Reminiszenzen an David Lynch anklingen lässt, an Nicholas Winding Refn natürlich. Die stimmungsvolle Photographie von Kameramann Benoît Debie („Spring Breakers“, „Enter The Void“, „Irréversible“) trägt zu diesem verwirrend-verstörenden Gesamteindruck ebenso bei wie die langsame, bedrohlich-brodelnde Musik von Johnny Jewel, der auch schon „Drive“ mitgestaltete. Wer sich zur Spezies der aufgeschlossenen Cineasten mit einem Faible für die dunkleren Seiten der Filmkunst zählt, sollte hier ein Auge riskieren!
Trailer: „Lost River“
(Tiemo Weisenseel)