Kino made in Germany, Teil 3
„My Son, My Son, What Have Ye Done“
Schon Monate vor dem eigentlichen Drehbeginn geisterten wilde Gerüchte durchs Netz: Ein angebliches Joint Venture zwischen David Lynch und Werner Herzog erregte die Gemüter der Fans. Sollte das Projekt mit dem geheimnisvollen Titel „My Son, My Son, What Have Ye Done“ diese zwei Brüder im Geiste tatsächlich in einer gemeinsamen Regiearbeit vereinen? Und wie um Himmels willen sollte das überhaupt funktionieren, wo doch beide für ihre Exzentrik und ihre genauestens ausformulierten Vorstellungen vom Filmemachen bekannt sind? Die Ausnahmestellung dieser beiden Regie-Ikonen steht außer Frage: Der beinahe kultischen Verehrung durch ihre treue Anhängerschaft einerseits steht auf der anderen Seite oft großes Unverständnis und rigorose Ablehnung (beziehungsweise weitgehendes Desinteresse) seitens der großen Masse der Zuschauer gegenüber. Das dürfte den beiden aber gleichgültig sein, denn an erster Stelle steht immer die Integrität des eigenen Werks und nicht der Erfolg in der Maschinerie der Filmindustrie.
My Son, My Son, What Have Ye Done | |
Genre: Thriller | |
Land/Jahr: DE, US 2009 | |
Regie: Werner Herzog | |
Darsteller: Michael Shannon, Chloë Sevigny, Willem Dafoe, Udo Kier | |
David Lynch presents
Schließlich wurde dann alles doch nicht ganz so heiß gegessen, wie es gekocht wurde: David Lynch fungierte lediglich als ausführender Produzent und überließ die künstlerische Federführung vollständig Werner Herzog. Das markige „David Lynch presents a Werner Herzog Film“ auf den Kinoplakaten machte dennoch einiges her und sorgte sicherlich auch für den einen oder anderen zusätzlichen Zuschauer.
Doch auch ohne das erhoffte Dream-Team auf dem Regiestuhl strahlt dieser Film von Anfang an etwas Besonderes und Ungewöhnliches aus. Die auf einer wahren Begebenheit aus dem Amerika der 1970er Jahre basierende Story um einen jungen Mann, der seine Mutter eines Tages aus heiterem Himmel mit einem Schwert niederstreckt, dient Herzog nur als Grundlage für ein komplex verzahntes und verschachteltes Verwirrspiel, das er in der Folge darauf aufbaut. In diversen Rückblenden wird immer mehr von der bewegten Vergangenheit des offensichtlich geistig labilen Protagonisten Brad McCullum enthüllt, den Michael Shannon mit einer diabolischen Kraft in den Augen zu einer gleichermaßen faszinierenden wie rätselhaften Figur formt. Eine entscheidende Rolle zum Verständnis dieses zuweilen extrem verstörenden Films spielt die antike Tragödie des Muttermörders Orest. Durch einen intertextuellen Kommentar zur Haupthandlung wird man Zeuge, wie McCullum sich bei den Probenarbeiten zu Aischylos‘ „Eumeniden“ mehr und mehr in diesem Charakter verliert.
Ein Schauspieler spielt also einen Schauspieler, der seine Rolle mit dem Leben verwechselt und die Literatur zur Wirklichkeit erhebt – das ist die ungefähre Fallhöhe, auf der man sich hier die ganze Zeit befindet. Permanentes „Um die Ecke-Denken“ und vielfältige Interpretationen, die für jeden Rezipienten unterschiedlich ausfallen können, sind folglich an der Tagesordnung. Niemand muss enttäuscht sein, wenn er nach dem ersten Durchlauf von „My Son, My Son, What Have Ye Done“ mit einem großen Fragezeichen im Gesicht dasitzt – dieses mulmige Gefühl, deutlich weniger verstanden zu haben, als man das von einem herkömmlichen Film erwarten würde, ist bis zu einem gewissen Grad sogar einkalkuliert und ganz sicher eine der Intentionen des Regisseurs. Die Lust darauf, beim zweiten Mal die Mechanismen der Verwirrung zu durchschauen und den Geheimnissen des vertrackten Drehbuchs auf den Grund zu gehen, ist angesichts der ungeheuren Faszination dieses cineastischen Experiments schon beim Abspann reichlich vorhanden.
Werner Herzog auf Blu-ray
- „Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen“ (2009)
- „Begegnungen am Ende der Welt“ (2007)
- „Rescue Dawn“ (2006)
- „Grizzly Man“ (2005, UK-Import)
- „White Diamond“ (2004, UK-Import)