Kino made in Germany, Teil 2
Der Besessene: Werner Herzog
Es gibt wohl kaum einen anderen Regisseur deutscher Herkunft, der so stark polarisiert wie der gebürtige Münchener Werner Herzog. Aufgewachsen in einem abgeschiedenen Bergdorf in den bayerischen Alpen, kam er erst spät mit dem Medium Film in Berührung. Auf Podiumsdiskussionen oder in Interviews wird er nicht müde, die beinahe unglaubliche Anekdote zu erzählen, dass er – als einer der bildgewaltigsten Regisseure unserer Zeit – erst im Alter von elf Jahren überhaupt von der Existenz des Kinos erfuhr. Doch die Magie der bewegten Bilder traf ihn damals mit aller Macht: ein Schlüsselerlebnis, das seinen weiteren Lebensweg entscheidend beeinflusste.
Den großen und bedeutenden Spielfilmen aus den 1970er und 1980er Jahren (u. a. die legendären Kinski-Kollaborationen „Aguirre“, „Nosferatu“ und „Fitzcarraldo“) stellte er in den vergangenen 25 Jahren ein unglaublich vielfältiges Dokumentarfilm-Oeuvre gegenüber. Im Laufe der Zeit entwickelte er eine ganz eigene Form dokumentarischen Filmens und Erzählens, die sich immer weiter vom rein objektiven Ansatz des Genres entfernte. Speziell Werke wie „Grizzly Man“ (2005) oder die Oscar®-nominierten „Begegnungen am Ende der Welt“ (2007) schlagen einen hemmungslos subjektiven, extrem narrativen und sehr privaten Tonfall an, fast wie ein mutiger Hybride aus Dokumentation und Spielfilm.
Pionierarbeit in drei Dimensionen
Herzogs aktuelles Projekt, „Cave Of Forgotten Dreams“, ist sein erster Film in der dritten Dimension. Die 3D-Dokumentation erforscht die 1994 entdeckten französischen Chauvet-Höhlen, in denen circa 400 über 30 000 Jahre alte Wandbilder ihrer Entdeckung harren. Als einziger Filmemacher bekam der inzwischen überwiegend in Amerika lebende Regisseur von der französischen Regierung die Erlaubnis, mit einem kleinen handverlesenen Team diese archäologische Sensation auf Film bannen zu dürfen. Ausgestattet mit tragbaren und flexibel einsetzbaren 3D-Kameras erweckt er die oftmals reliefartigen prähistorischen Kunstwerke auf der Leinwand wirklich zum Leben, lässt sie plastisch vor dem Auge des Kinopublikums erscheinen und vermittelt so einen sehr direkten und unverfälschten Eindruck von diesem wertvollen Erbe der Menschheit. Den typisch Herzog’schen Dreh bekommt der 90-minütige Ausflug in die Ursprünge der Zivilisation wieder einmal durch den in markantem Englisch eingesprochenen Kommentar. Herzog stellt existenzielle Fragen nach dem Menschsein und der Bedeutung von Kunst in unserem Leben, nimmt die Hinterlassenschaft unserer Vorfahren als Ausgangspunkt einer komplexen Kulturgeschichte der Bilder und des Erzählens und somit letztendlich des Kinos selbst.
Einmal 3D, immer 3D?
Im Gegensatz zu Wim Wenders, der sich nach seinen ersten umfangreichen Erfahrungen mit der aktuellen 3D-Technologie nicht vorstellen kann, nun wieder auf die klassische „flache“ Leinwand zurückzukehren, ließ Werner Herzog allerdings schon verlauten, dass dies sein „erster und letzter 3D-Film“ gewesen sei. Schade eigentlich, denn der Film, der auf der diesjährigen Berlinale in einer Sondervorführung Europapremiere feierte (offizieller Kinostart in Deutschland am 3. November 2011), wurde von Publikum wie Kritik gleichermaßen euphorisch aufgenommen. Dem Festival, dem er seit seiner Auszeichnung als bester Regisseur für seinen Debütfilm „Lebenszeichen“ (1968) eng verbunden ist, stand er übrigens 2010 erstmals als Jurypräsident vor. Werner Herzog ist eben ein echter Filmbesessener, ein unbändig Kreativer und positiv Verrückter, der dem Leben mit unerschöpßicher Neugier auf den Grund geht. Dabei fördert er mit bewundernswerter Regelmäßigkeit Gedanken, Ideen und vor allem Bilder zutage, die seine Filme eigen, besonders und unverwechselbar machen. Ob sich das großartige (und beunruhigende) Gefühl, wieder einmal einen „echten Herzog“ gesehen zu haben, auch nach dem Genuss seines neuesten Spielfilms einstellt, erfahren Sie im folgenden Blu-ray-Test.