Horror auf Blu-ray, Teil 9
Die kindliche Urangst
In der Kindheit ist das Weltbild noch so wenig gefestigt, dass sich Geister und Einbrecher auf derselben Realitätsebene befinden. (Daher auch die Altersbeschränkung bei den Filmen, aha!) In dieser Zeit bilden sich Urängste heraus, etwa vor dem Monster unterm Bett oder dem schwarzen Mann im Kleiderschrank, die für den Rest des Lebens im Unterbewusstsein bestehen bleiben. Gerade auf solche Motive greifen modernere Horrorerzählungen wie Stephen Kings „Es“ (1990) oder auch sämtliche Werwolf-Filme (die Angst vor dem großen bösen Wolf) zurück.
Werwölfe kommen immer dann in Mode, wenn die moralische Konservativität erstarkt. Soll heißen: Sobald sich die Menschen durch gesellschaftliche Werte in ihrem Handeln stark einschränken, verspüren sie einen umso größeren Drang nach dem Ausbruch und träumen davon, ihrem inneren Tier mehr Auslauf zu geben. So kamen im Antrittsjahr 1981 des konservativen US-Präsidenten Ronald Reagan gleich drei bestialische Schocker in die Kinos: „Wolfen“, „The Howling“ („Das Tier“) und „American Werewolf“. Wie in klassischen Werwolf-Geschichten üblich, zelebrieren sie allesamt den Tabubruch, wobei oftmals der eigentliche Held im Laufe der Handlung feststellt, dass er unbemerkt selbst zur (vorrangig Frauen reißenden) Bestie geworden ist.
John Landis’ kultiger Horrorklassiker „American Werewolf“ demonstriert das an der Hauptfigur David (David Naughton), der im Moor von einem Tier angefallen wird und gerade so mit dem Leben davonkommt. Nach dem Vorfall erwacht er in einem Londoner Hospital und klagt über seltsame Albträume. Das Unerklärliche, also Davids innere Verwandlung, wird somit durch Träume erklärt. Aus den recht harmlosen Visionen, in denen er lediglich nackt durch den Wald spurtet, um Rehe anzufallen, werden immer verstörendere Vorstellungen, wie Nazidämonen, die seine ganze Familie massakrieren.
Landis geht sogar so weit, die Träume zu verschachteln, weshalb David nur träumt, aufzuwachen, und in einer erschütternden Schocksequenz ein Nazidämon die Krankenschwester erdolcht. Die Realitäten verschwimmen und just in diesem Augenblick erhält der Patient Besuch von seinem verstorbenen Freund Jack (Griffin Dunne). Ist es nur Einbildung oder sitzt da wirklich der modernde Jack vor ihm, der übrigens im späteren Verlauf von weiteren Werwolf-Opfern begleitet wird. Ihre Seelen finden erst mit dem Tod des letzten Werwolfs Frieden, was für David so viel wie Selbstmord bedeutet. Der schwarze Humor kommt in dem Film nicht zu kurz und sorgte zeitweilig sogar dafür, dass das Testpublikum den Kinosaal verließ, weil es entgegen der Annahme eine Komödie erwartete.
An den äußerst blutigen Splatter- und Gore-Einlagen schieden sich die Geister. Die Zensur beanstandete unter anderem eine Szene, in der der zerfallene Jack ein Toastbrot isst, das ihm an der löchrigen Seite seines Gaumens wieder herausfällt. Eine Sequenz, die heute vielleicht ein müdes Lächeln hervorbringen würde. Der Mord an einem Obdachlosen endet mit umherfliegenden Leichenteilen. Das lenkte das Publikum so sehr von der Handlung ab, dass John Landis dann selbst entschied, die Szene herauszunehmen.
Das andere Zensurproblem waren die Nacktaufnahmen des Werwolfs und, nun ja, der speziell für „American Werewolf“ gedrehte Pornofilm (mit eigenem Plot!), den David und Konsorten im Erotikkino sehen.
Einer der unheimlichsten Momente blieb aber zum Glück unangetastet: Davids Verwandlung in einen Wolf. Landis wies den mehrfach preisgekrönten Maskenbildner Rick Baker an, einen Spezialeffekt zu entwickeln, der die tierische Metamorphose in einem hell erleuchteten Zimmer ermöglicht. Da CGI noch ein Fremdwort war, legte man dem Darsteller nach und nach mehrere Haarschichten und verschiedene Masken an und filmte jede einzelne Phase. Dies geschah rückwärts, da es meist einfacher ist, etwas zu entfernen, anstatt etwas hinzuzufügen.
Die Verlängerung der Gliedmaßen ging mithilfe von einzelnen Prothesen vonstatten. Hauptdarsteller David Naughton musste hierfür stundenlang im Boden verharren, während zwei Puppenspieler seinen künstlichen Werwolfkörper zum Zucken brachten. Um die fertige Wolfsgestalt dann letztendlich über den Piccadilly Circus jagen zu lassen, steckte man einen trainierten Tänzer in das Kostüm und montierte zusätzliche Hinterläufe daran. Wie beim Schubkarrenspiel nahm ein Helfer die Beine des Darstellers und schob ihn durch die Menschenmassen, während ein weiterer die künstlichen Beine per Stangeneinsatz bewegte. Allein durch die geringe Umgebungsbeleuchtung und Landis’ Bestreben, das Tier nie länger als zwei Sekunden zu zeigen, bleibt der Fantasie genügend Spielraum, die Illusion perfekt werden zu lassen.