Hohe Klangtreue mit Röhrenverstärkern
Nachteile von Röhrenverstärkern
Mit zunehmender Betriebsdauer klingen sie anders. Aufgrund all dieser Nachteile entwickelte man in den 1950er und 1960er Jahren den Transistorverstärker, eine halbleiterbasierte Schaltung, die so ziemlich alles besser macht als die Röhre. Er ist bedeutend billiger, muss sich nicht aufheizen, braucht kaum Strom und überträgt das Signal direkt und nahezu linear bei einem geringen Klirrfaktor. Es schien, als hätte die Röhre ausgedient. Lediglich in Gitarrenverstärkern kam sie noch zum Einsatz, weil dort die Röhrenverzerrungen und Rückkopplungen von Vorteil sind. Im Hi-Fi-Bereich wurde es viele Jahre ruhig um die Elektronenröhre, bis Ende der Neunziger Jahre erste hochwertige Hi-Fi- Röhrenverstärker auf den Markt drängten. Nimmt man den Begriff High Fidelity für bare Münze, schneiden diese in vielen Bereichen schlechter ab als ihre halbleiterbasierten Brüder. Besonders ihr nicht linearer Frequenzgang und hoher Klirrfaktor werden ihnen als Nachteile ausgelegt
Was aber macht die Faszination der Röhre aus? Röhren wohnt ein unwiderstehlicher Retrocharme inne, der manchen Liebhaber Abstriche im Klanglichen hinnehmen lässt. Auch ein mäßiger Klang wird dann als besonders „warm“ und „weich“ verklärt. Zudem spielen moderne Röhrenverstärker designmäßig in der ersten Liga. Viele Produkte erinnern an Oldtimer- Autos, einige versprühen Science-Fiction-Charme. Fast immer sind die sanft glimmenden Röhren sichtbar außerhalb des Gehäuses angebracht. Manchmal täuschen sie eine reine Röhrenschaltung nur vor und in Wahrheit verstecken sich Transistoren im Signalpfad. Viele Hersteller wissen um die optischen Vorzüge leuchtender Röhren und hellen diese künstlich auf. Wegen des geschmackvollen Designs, aber auch wegen der hohen Preise, sind Röhrenverstärker beliebte Sammlerobjekte. Marketingexperten nutzen das Phänomen, dass potentielle Kunden teuere Geräte als qualitativ besser einschätzen.
Ist also der klangliche Vorsprung der Röhrenverstärker nur eingebildet? Nur geschicktes Marketing unter Ausnutzung eines Retrotrends? Studenten der TU Berlin wollten es genau wissen. Dafür entwickelten sie mit dem Black Cat 2 ihren eigenen Röhrenverstärker. Sein Signalweg basiert ausschließlich auf Röhrentechnik, der Großteil der Versorgungs- und Heizspannungen wird mit Halbleiterschaltungen stabilisiert, wie es bei modernen Röhrenverstärkern üblich ist. Nach zweijähriger Forschungsarbeit kamen die Studenten zu dem Ergebnis, dass die klanglichen Vorzüge ihres Gerätes in den für Hi-Fi-Verstärker üblichen Messwerten unberücksichtigt bleiben.
Die Wirtschaft optimiert Verstärker meist nur hinsichtlich eines linearen Frequenzgangs und geringen Klirrfaktors, die beide nur auf der Basis eines einzigen Sinustons bemessen werden. Die Stärke des Black Cat 2 liegt aber im Differenztonfaktor, der das Verhalten des Verstärkers bei zwei Sinustönen verschiedener Frequenzen beschreibt. Schließlich besteht Musik aus vielen gleichzeitig erklingenden Signalen unterschiedlicher Tonhöhe, die sich zu nichtlinearen Mehrfachen des jeweiligen Grundtons summieren können. Das macht sich im Klang negativ bemerkbar, die Musik klingt unscharf, dumpf und verliert an Glanz, die Boxen scheinen enger zusammen und weiter vom Hörer entfernt zu stehen.
Der Black Cat 2 hat einen Differenztonfaktor von 0,002 Prozent, wohingegen der Wert eines zum Vergleich herangezogenen Hi-Fi-Transistorverstärkers 183-mal höher liegt. Der Vorteil des Black Cat 2 sei möglich, weil ein Röhrenverstärker von Haus aus mit einer relativ geringen Gegenkopplung auskommt. Seinem Gegenkopplungsfaktor von 1 zu 10 stehen übliche 1 zu 1 000 bei Transistorverstärkern gegenüber. Zwar könnten auch Halbleiterverstärker mit geringer Gegenkopplung realisiert werden, dies sei aber schaltungstechnisch um einiges aufwendiger. Die Ergebnisse des Black Cat 2 sind selbstverständlich nicht auf sämtliche Röhrenverstärker übertragbar, doch bieten sie zumindest einen Anhaltspunkt.