Harte Männer, harte Filme: Western auf Blu-ray, Teil 2
True Grit
Loslegen wollen wir mit dem neuesten Streich von Ethan und Joel Coen, die nach vorsichtigen Westernanklängen in „O Brother, Where Art Thou“ (2000) und „No Country For Old Men“ (2007) nun endgültig den Sprung wagen und mit „True Grit“ ihren ersten waschechten Western abliefern. Wann immer man sich auf einen neuen Film der beiden charismatischen Brüder einlässt, ist das fast ein bisschen so, als ob man im Kino eine Karte für die Sneakpreview gelöst hätte: Man kann sich nie sicher sein, was einen erwartet.
Ob einem das Gesehene im Falle von „True Grit“ gefällt, hängt diesmal weniger davon ab, ob man ein Faible für die oftmals skurrilen und überraschenden Ideen der Coens hegt, sondern schlicht und einfach davon, ob man sich für einen überaus düsteren und geradezu klassischen Anti-Western erwärmen kann. Die eigentliche Leistung dieses Remakes ist es, dass man das Original mit Westernlegende John Wayne von 1969 (das seit einiger Zeit ebenfalls auf Blu-ray erhältlich ist) in unzähligen Szenen fast eins zu eins wiedererkennt – und sich insgesamt doch ein völlig eigenständiger, zeitgemäßer Film entfaltet, der in seiner düsteren Hoffnungslosigkeit so rein gar nichts mehr mit der heldenverehrenden Heiterkeit des Vorbildes gemeinsam hat.
Western? Anti-Western?? Hiiilfe!!!
„Anti-Western?“, werden Sie fragen. Nun, tatsächlich hat sich das Genre inzwischen so weit gewandelt, dass der realistischere, gegen die patriotisch gefärbten Filme der Anfangszeit gerichtete Anti-Western heute ganz klar die Regel und nicht mehr die Ausnahme ist. Diese Gegenbewegung, die den strahlenden Helden von einst ambivalente Anti-Helden und der romantisierenden Zeichnung einer ganzen Epoche eine schonungslos-düstere Interpretation entgegensetzt, gewinnt in den 1960er Jahren immer mehr an Kraft und findet im sogenannten Italo- oder Spaghetti-Western eines Sergio Leone schließlich ihren vorläufigen Höhepunkt. Spätestens mit dem Oscar® für Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ im Jahre 1992 (quasi die Wiedergeburt des Genres nach 15 Jahren der Dürre) hatte der Western sein neues, sein modernes Gesicht gefunden, das ihm filmhistorische Relevanz und thematische Brisanz wiedergab.
Ganz klassisch … und doch sehr eigen
„True Grit“ ist eine überraschend werkgetreue Umsetzung des gleichnamigen Romans von Charles Portis, einem der talentiertesten Autoren aus dem Bereich der Western-Fiction. (Wer mehr über ihn erfahren will, dem sei das interessante Featurette „Der berühmteste Autor, von dem Sie nie gehört haben“ im guten Bonusmaterial der Blu-ray ans Herz gelegt.) Erzählt wird eine im Grunde völlig stereotype Rachegeschichte: Die 14-jährige Mattie Ross (Newcomerin Hailee Steinfeld) hat sich in den Kopf gesetzt, den sinnlosen und willkürlichen Tod ihres Vaters auf eigene Faust zu sühnen, da von der trägen Gerichtsbarkeit und den korrupten Gesetzeshütern keinerlei Gerechtigkeit zu erwarten ist.
Ein Mann mit wahrer Entschlossenheit, ein Kerl mit echtem Mumm („True Grit“) muss also her. Ihre Wahl fällt auf den abgehalfterten Marshal Rooster Cogburn (Jeff Bridges), den sie mit barer Münze von ihrer Sache überzeugt. Gemeinsam mit dem Kopfgeldjäger LaBoeuf (Matt Damon) macht sich das ungleiche Trio auf die Verfolgung des Mörders: Vor den großartigen Panoramen der amerikanischen Prärie entfaltet sich schließlich ein geradlinig erzähltes Drama um Schuld und Rache, um Recht und Unrecht, um die fließenden Grenzen zwischen Gut und Böse.
Jeff Bridges auf John Waynes Spuren
In die Fußstapfen des Mythos John Wayne zu treten, ist ja nun nicht unbedingt die leichteste Aufgabe, die man sich als Schauspieler aussuchen kann. Der hünenhafte „Duke“ (John Waynes Spitz- und Branchenname), der mit seinen unzähligen Filmen zu einem der prägendsten Gesichter des amerikanischen Films vor allem der 1940er und 1950er Jahre wurde, ist unzweifelhaft eine der Ikonen des gesamten Westerngenres und formte mit seinen Darstellungen entscheidend die Vorstellung ganzer Generationen von Amerikanern, wie ein Westernheld auszusehen hat.
Jeff Bridges meistert diese Herausforderung allerdings souverän, indem er in „True Grit“ keine klassische „Einsamer Wolf“-Nummer abzieht und sich an einer schlechten Kopie von John Wayne versucht. Er bietet vielmehr ein stimmiges Westernupdate des „Dude“ aus „The Big Lebowski“ an und entwickelt so seine ganz eigene Interpretation des Charakters. Machen Sie sich doch mal den Spaß und wechseln Sie einmal auf die englische Tonspur – Sie werden Ihre liebe Not haben, überhaupt einen Satz vollständig zu verstehen, so genussvoll suhlt sich Bridges im breitesten Südstaatenakzent und der ständig angetrunkenen Konstitution seiner Figur.
Das ist ein (Anti-)Held mit Ecken und Kanten, der gerade noch genügend Sympathiepunkte sammelt, um das Publikum nicht ganz zu vergraulen – vom strahlenden Cowboy in lederner Rüstung ist sein Rooster Cogburn allerdings so meilenweit entfernt, dass man sich manchmal schon ein wenig zwingen muss, ihn zu mögen. Dem Film tut diese gebrochene Hauptfigur mehr als gut: Sie bringt massig Konfliktpotenzial, Drama und Möglichkeiten in den geradlinigen Plot, eine Spur tragischer Komik dazu – eine Chance, die sich die Coens natürlich nicht entgehen lassen, was „True Grit“ insgesamt zu einem vielschichtigen und rundum gelungenen Ausflug in die Welt des Wilden Westens macht.