Von Illusion und Feinsinnigkeit
Im Vergleich zu den Augen ist das Gehör um einiges feiner. Diesen Umstand machen sich Künstler zunutze. Die treibende Kraft ist hierbei der Wunsch des Schaffenden, dem Rezipienten eine Realität vorzugaukeln, ohne dass dieser die Offensichtlichkeit der Illusion bemerkt. Dabei spielt die Intensität der Wahrnehmung eine große Rolle.
Die Psychoakustik, wie dieser Bereich benannt ist, befasst sich mit dem Zusammenspiel der physikalischen Umstände der Schallerzeugung, -übertragung, -wirkung und des Hörereignisses. Welche Umstände tragen zur Erzeugung bestimmter Gefühle und Reaktionen bei?
Wissenschaftler beschäftigen sich schon seit Jahrhunderten mit dem Hörempfinden. Musiker quälen sich seit Jahrhunderten mit der Frage, warum bestimmte Tonlagen eher traurig, andere vorwiegend heiter klingen. Der Widerklang von Dur- und Moll-Tonlagen resultiert aber hauptsächlich aus der Summe an Erfahrungen und dem kulturellen Hintergrund. In unserem abendländischen Kulturkreis gilt ein Stück in Dur als tendenziell heiter, ein Musikstück in Moll als eher traurig. Wie ein Komponist die Musik erschafft, so stellen Autoren und Filmregisseure Szenarien nach, wobei Momente im Bild festgehalten werden. Komponisten und Toningenieure liefern die passende akustische Untermalung, die entweder verstärkend, abschwächend oder neutral wirkt.
Die passende Atmosphäre
Psychoakustik hat nur entfernt etwas mit dem Klassiker von Alfred Hitchcock zu tun. In Filmen bedient man sich einiger psychoakustischer Effekte, um das Erlebnis für den Zuschauer zu intensivieren. Unvergessen ist die Duschszene, in der Anthony Perkins mit einem Messer bewaffnet sein Opfer malträtiert. Diese Szenerie wurde von Hitchcock nicht nur durch exzellente Schnitte und Perspektiven dargestellt, sondern auch mit prägenden Streicherakkorden unterlegt. Der Zuschauer identifiziert sich mit dem potenziellen Opfer. Die Bedrohung, die Überraschung, die Angst ist förmlich zu spüren. Das stakkatohafte Einsetzen der Streicher beim Mordakt bleibt beim Zuschauer haften. Hört man abseits dieses Filmes nun ähnlich abrupte Streicheinlagen, assoziiert das menschliche Gehirn sofort eine Bedrohung.
Selbst turtelnde Täubchen auf einer Telegrafenleitung würden in einem Film sofort in Gefahr geraten, hörte man Streicheinlagen wie aus Hitchcocks Klassiker. Dieses doch sehr offensichtliche Beispiel soll nur ein Einstieg in die ungemein komplexe Welt des menschlichen Gefühlslebens sein. Die Möglichkeiten der Beeinflussung sind schließlich noch viel subtiler, als sie zu sein scheinen. Wahrnehmung ist Wirklichkeit, nicht nur im Film. Eine Wahrnehmung, die nicht bewusst geschieht, kann den Zuschauer in den Bann des Geschehens ziehen. Sie kann sogar Gefühle wie Angst und Freude oder Empfindungen wie Wärme und Kälte erzeugen. Doch wie ist das möglich?