Dr. Sound klärt auf: Verzerrungen

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Dr. Sound klärt auf: Verzerrungen, Teil 2

Die Arten der nichtlinearen Verzerrungen

Wenn eine idealisierte Sinusschwingung (stellvertretend für Musik) mit der Frequenz f eine Schaltung oder Lautsprecher durchläuft, entstehen ganzzahlige Vielfache der Ausgangsfrequenz 2f, 3f, 4f, 5f als harmonische neue Anteile, sogenannte Obertöne aus der verzerrten Sinusschwingung f1. Rein quadratische Kennlinien erzeugen nur geradzahlige Anteile 2f, 4f, 6f etc. (unsymmetrische nichtlineare Verzerrungen). Im Gegenzug erzeugen die kubischen Kennlinien nur ungeradzahlige Anteile 3f, 5f, 7f etc. (symmetrische nichtlineare Verzerrungen).
 
Die Stärke dieser harmonischen bzw. Schwingungsanteile nimmt mit steigender Ordnungszahl und Frequenz ab. Die Begriffe symmetrisch und unsymmetrisch beziehen sich auf die Veränderung der beiden Halbwellen einer Schwingung. An dieser Stelle werden die mathematisch-physikalischen Termini nicht weiter vertieft. Die abgebildete Grafik soll die Zusammenhänge veranschaulichen.

Ein Beispiel

Die linke Abbildung (Bild 5) zeigt ein 1-kHz-Sinussignal mit einem THD-Wert von 0,005 %. In der Abbildung unten links (Bild 6) ist das gleiche Sinussignal bis auf einen THD-Wert von 3,5 % „übersteuert“. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Spitzen der Wellenberge abgeflacht sind. Der klangliche Eindruck ist von einer hohen Aggressivität geprägt.
 
Dies ist ein Beispiel für eine symmetrische, einer kubischen Kennlinie folgenden, nichtlinearen Verzerrung. Im rechten, unteren Bild (Bild 7) wird das resultierende Verzerrungsproduktverhältnis mit deutlich erhöhten Balken im Diagramm gezeigt. Zu erkennen ist, dass die ungeradzahligen harmonischen Anteile dominieren.

Gemessen

In der abgebildeten Messgrafik ist das Verhältnis der einzelnen Verzerrungsprodukte zu erkennen. Sie entstehen bei der Anregung des Übertragungssystems, mit einer Grundfrequenz von f = 1 kHz. Darauf aufbauend entstehen in der Gesamtheit der Elektronik Verzerrungen im geradzahligen Verhältnis (2f, 4f, 6f, 8f, 10f), auch harmonische Verzerrungen genannt, und solche mit ungeradzahligem Verhältnis (3f, 5f, 7f, 9f).
 
Ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis zwischen geradzahligen und ungeradzahligen harmonischen Verzerrungen ist klanglich sehr erstrebenswert. Ein jeweiliges Übergewicht beeinflusst den Klangcharakter nachhaltig.

Klangliche Auswirkungen

Bevor über die Wahrnehmbarkeit von nichtlinearen Verzerrungen gesprochen wird, sind einige physiologische Grundlagen von Bedeutung. Die Empfindlichkeit ist subjektiv und je nach Vorbildung unterschiedlich ausgeprägt. Nicht unbedeutend sind die vom Gehör selbst „produzierten“ Verzerrungen, die mit steigender Abhörlautstärke zunehmen und schon bei mittleren Lautstärken mitwirken. Diese Gehörverzerrungen maskieren zum Teil die Verzerrungen, die in der Wiedergabekette entstehen können.
 
Im Allgemeinen werden nichtlineare Verzerrungen erst dann wahrgenommen, wenn sie frequenzabhängig deutlich über der Hörschwelle stattfinden. An dieser Stelle wirken dem durch das unverzerrte Signal noch Verdeckungseffekte entgegen, sodass erst bei größeren Lautstärken die Wahrnehmbarkeit steigt. Natürlich ist bei einem reinen Sinuston 1 % THD hörbar, in komplexen musikalischen Arrangements können mehrere Prozent unerkannt bleiben. Auch hier ist die eigene Obertonstruktur der Musik und Instrumente für die Wahrnehmung entscheidend.
 
Noch viel schwieriger wird es, wenn sich mehrere solcher Oberwellen verschiedener Instrumente miteinander mischen. Für eine bessere, der Wahrnehmung ähnlichere, messtechnische Beurteilung eignen sich hier Messwerte der Intermodulation (IMD) und des Differenztonfaktors (DFD) an den Geräten. Ein Wort an den Musikfreund: Es sind zuweilen die kleinen Fehler, die das Interesse wecken. So werden häufig elektronische Komponenten für ihre hohe Musikalität geschätzt, die einen deutlichen Anteil (meist unter 1 % THD) geradzahliger Oberwellen hinzufügen.
 
Es wird ihnen meist ein glatter, sanghafter oder die Plastizität fördernder Klangcharakter zugeschrieben, wobei bei ungeradzahligen harmonischen Verzerrungen eine Verstärkung von geräuschhaften Klangeigenschaften zu beobachten ist. Dies wird dann von manchem Musikfreund als Verstärkung des Ortungsreizes empfunden. In der Tonproduktion sind diese Hilfsmittel bekannt.
 
Besonders innovative Entwickler integrieren Schaltungen in der Heimelektronik, die einen leichten Anteil von Oberwellen hinzufügen. Wichtig ist dabei, dass nur Oberwellenanteile mit niedriger Ordnungszahl (2f, 3f) zugemischt werden, denn höhere Anteile können leicht zu einem scharfklingenden Effekt führen. Aber, wie überall, ist die Dosis entscheidend.

Messverfahren

Für die Messung ist wichtig festzulegen, bei welchem Eingangspegel bzw. Ausgangspegel die Bewertung erfolgt, da die nichtlinearen Verzerrungen entscheidend davon abhängen.

Die nichtlinearen Verzerrungen werden am häufigsten als Total Harmonic Distortion plus Noise (THD+N) erfasst. Hier wird das Verhältnis der Effektivwerte der neuen harmonischen Anteile (ohne Stimulationsfrequenz) zum Eingangssignal erfasst und in Prozent angegeben. Dabei wird nur ein definierter Frequenzbereich analysiert. Das N für Noise gibt außerdem an, dass aus praktischen Gründen gleichzeitig alle weiteren Störungen wie Brummen und Rauschen ebenfalls erfasst werden.
 
Mit dem Zusatz P wird angegeben, mit welchem effektiven Pegel die erfassten Werte gemessen wurden. Weitere Messverfahren für Verzerrungen sind der Intermodulations- und Differenztonfaktor (IMD, DFD), da mit Ihnen besonders störende Summ- und Differenztöne eines Frequenzgemisches, so wie es grundsätzlich auch in der Musik vorkommt, ermittelt werden. Bei diesen Verfahren werden dem Prüfling mindestens zwei unterschiedliche Frequenzen zugeführt, um dann mit unterschiedlichen Bewertungsverfahren, die durch die Elektronik erzeugten Summ- und Differenztöne auszuwerten. Dies geschieht zum Teil mit bis zu fünf Modulationsprodukten, die in die Auswertung kommen.

Messtechnik ist die Reduktion der Wissenschaft auf die Evaluierung von Qualitätsmerkmalen. Sie sagt selten etwas über ein emotionales Erlebnis aus. Musik ist etwas Lebendiges; es sind Emotionen und schöpferische Kraft, die der Erbauung des Menschen dienen. Trauen Sie Ihren Ohren und nicht blind den Messdaten.

(Jens Voigt)

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