Die Revolution des Kinos, Teil 10
In ewiger Wiederholung
In ewiger Wiederholung
Als Beispiel für den über alles stehenden Perfektionismus des inszenatorisch pingeligen Regisseurs wird häufig auf eine Szene aus dem Horrorstreifen „Shining“ (1980) nach Stephen King verwiesen. Dort ließ er die Ausstatter hunderte von Blättern mit nur einem Satz beschriften. In der deutschen Variante lautet er: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Und obwohl nur die obersten Blätter zu sehen sein würden, mussten auch die anderen mit Schreibmaschine getippt werden. Oftmals trieb Kubrick seine Darsteller an ihre Grenzen, indem er eine Szene so lange wiederholen ließ, bis er das gewisse Etwas in dem Schauspiel der Darsteller entdeckte.
Hauptdarstellerin Shelley Duvall hatte deswegen mehrere Nervenzusammenbrüche und war schon kurz davor, das Projekt für sich aufzugeben. Nun lässt sich natürlich darüber streiten, ob ihr bedenkenswürdiger Geisteszustand nicht genau das war, was Kubrick mit seiner schroffen Art ihr gegenüber erreichen wollte. Immerhin quälte er auch schon Malcom Mc Dowell in „Uhrwerk Orange“ damit, extra eine Schlangen-Szene in die Handlung zu integrieren, obwohl dieser panische Angst vor den Kaltblütern hatte. Für Kubrick stand wohl weniger das Wohlbefinden seiner Darsteller im Vordergrund, als vielmehr das Ergebnis, das er damit erreichen wollte.
Und hier kommt Johnny!
Die in „Shining“ ausgereizten Kamerafahrten mit der Steadicam kamen, wenn auch etwas subtiler, ebenso in dem Anti-Kriegs-Drama „Full Metal Jacket“ (1987) zum Einsatz.
Der Technik-Liebhaber Kubrick benötigte die hinzugewonnene Bewegungsfreiheit, um den Zuschauer so nahe wie möglich an den Soldaten Joker (Matthew Modine) bzw. an das Kriegsgeschehen zu bringen. Durch seine zwiespältigen Augen werden die Schrecknisse unverblümt gezeigt. Albtraumhaft brennt sich die Grundausbildung der Kadetten unter dem gnadenlosen Drill des Sergeant Hartman (Lee Ermey) ins Gedächtnis. Auf ihrem Höhepunkt schießt sich der aus Verzweiflung gestörte Private Paula (Vincent D’Onofrio) mit dem blank polierten Gewehr durch den Hinterkopf. Der zweite Teil des Films wirkt wesentlich härter. Die Kameraden treffen an der Vietnam-Front erneut aufeinander und fallen den Gefechten von Hue City zum Opfer.
Wer nicht stirbt, wird zum gefühllosen Tier, das nicht einmal vor Kindsmord zurückschreckt. Der unangenehm gesellschaftskritische Beigeschmack wohnt jedem Kubrick-Film inne. In allen anderen Belangen ähnelt kein Werk dem anderen. Stets suchte er sich ein neues Genre und griff dafür auf sorgsam ausgewählte literarische Vorlagen zurück. Durch seinen Erfolg erhielt er als einer der wenigen Regisseure das Privileg der vollkommenen künstlerischen Freiheit. Sie ermöglichte es ihm, sich die Zeit zu nehmen, die er für die Verwirklichung seiner Visionen benötigte. Die Verwirklichung seiners letzten Werkes „Eyes Wide Shut“ dauerte ganze zwölf Jahre, wobei er in der Zeit natürlich auch schon den Science Fiction Film „A. I. – Künstliche Intelligenz“ vorbereitete.
Von der Revolte zum neuen Standard
Seit der Zeit des Umschwungs hat sich viel getan. Neben dem großen Mainstream-Kino, das uns nach immer gleichen Formeln bombastische Unterhaltung bietet, gibt es auch kleinere Indie-Produktionen, die ihre volle Wirkung erst in den Köpfen der Zuschauer entfalten. Sie liefern frische Ideen und betrachten die Welt aus ungewohnten Perspektiven – Perspektiven und Ideen, die wiederum von den Mainstream-Regisseuren aufgenommen werden und dadurch neue Standards definieren. Grob vereinfacht heißt das, ohne die „New Hollywood“-Ära wäre die Welt ein verdammt langweiliger, konsistenzloserer Ort. Darum: Viva La Revolution!
(Falko Theuner)