Die große Pixar-Retrospektive

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Die große Pixar-Retrospektive, Teil 9

„Oben“ – Pixarstreifen mit 3-D-Effekt-Premiere

Siehe Oben

Nahmen „Ratatouille“ und „Wall-E“ schon sehr erwachsene Züge an, so lässt die Eröffnung des neusten Pixar-Werks „Oben“ vollends vergessen, dass es sich hierbei um einen Animationsfilm handelt. Spätestens bei diesem Film merkt man, dass sich Pixar von jedwedem Klischeedenken distanzieren will, Animationsfilme seien nur etwas für Kinder. In einer phänomenalen Collage wird die rührende Lebensgeschichte von Carl und Ellie erzählt, angefangen bei ihrem ersten Treffen in der Kindheit und reduziert auf die wichtigsten Momente ihres glücklichen Lebens.
 
Gerade hier beweist Regisseur Pete Docter, was für ein feinfühliger und intelligenter Geschichtenerzähler in ihm steckt. Schwere Themen wie Kinderlosigkeit, Altersschwäche, Krankheit und verschenkte Chancen handelt er mit einer Leichtigkeit und Zielgenauigkeit ab, dass er schon allein dafür einen Oscar verdient hätte. Anhand weniger Symbole, wie der gemeinsamen Reisekasse, die für andere Dinge geschlachtet wird, oder den wechselnden Krawatten, die Ellie Carl regelmäßig umbindet, ist dem Publikum die zugehörige Emotion sofort klar.
 
Ehe es sich Carl versieht, ist der Luftballon-Verkäufer 78 Jahre alt, verbitterter Witwer und in sich zurückgezogen. Fernab jeder sozialen Bindung hält er an allem fest, was mit seiner Frau zu tun hatte, angefangen von dem gemeinsamen Briefkasten bis hin zum Haus selbst. Leider soll dieses abgerissen und er ins Altersheim gesteckt werden.
 

Anstatt die Vergangenheit hinter sich zu lassen, bindet er tausende mit Helium gefüllte Luftballons an den Kamin und fliegt mit seinem vollständigen Besitztum nach Südamerika, um das Abenteuer nachzuholen, was seit frühster Kindheit geplant aber nie umgesetzt wurde. Jedes Detail des Interieurs verbindet Carl mit der Verstorbenen. Er geht sogar so weit, mit dem Haus wie mit ihr zu sprechen.
 
Selbst musikalisch ist Ellie allgegenwärtig, denn Komponist Michael Giacchino entwickelte ihr ständig wiederkehrendes Thema passend zu Carls Situation mal traurig mal abenteuerlich. Kurz bevor das Drama jedoch zu sehr auf die Tränendrüse drückt, klopft der lästige Pfadfinder Russel an Carls Haustür – in 20. 000 Metern Höhe. Glücklicherweise lässt sich der kantige Alte erweichen und holt mit dem Jungen ein farbenfrohes Abenteuer in sein graues Leben.
 

Mehr Tiefe

„Oben“ ist Pixars erster 3-D-Film, der in speziellen Kinos mit einer zusätzlichen Tiefenebene geschaut werden kann. Stereoscopic Supervisor Whitehill setzte diesen Effekt gezielt ein, um Carls eingeengtes Heim flach aussehen zu lassen, während die weite Außenwelt das Publikum mit zusätzlicher Räumlichkeit beeindruckt. Ungefähr ab der zweiten Hälfte des Films wandelt sich Erzähltempo und -Stil, so dass sich der Film von einem feingeistigen Drama in ein actiongeladenes Cartoon-Abenteuer verwandelt. Das kann man gut finden oder auch nicht, in jedem Fall dient dieser Umschwung der 3-D-Optik.
 
So gibt es nämlich genügend Gelegenheiten, um den 3-D-Effekt z. B. für heranrasende Klippen oder im Kinosaal schwebende Doppeldecker auszunutzen. Grafisch haben sich Pixars Designer mal wieder selbst übertroffen. In jeder Sekunde gibt es eine weitere Kleinigkeit zu entdecken. Carls Gesicht z. B. erhält in der Wildnis einen kräftigen Sonnenbrand und einen ungepflegten Dreitagebart.
 

Szenen, in denen Frederickson trotz seiner karikaturhaften Gestalt wie ein echter Mensch wirkt, lassen gleich an mehreren Stellen die Kinnlade nach unten klappen. Am besten kommt jedoch die phantastische Bildsprache an, die aus einem Hayao Miyazaki-Film („Das wandelnde Schloß“) stammen könnte. Nachdem Carl und Russel im venezuelischen Dschungel notgelandet sind, ziehen die beiden das schwebende Haus, als zunehmende Last hinter sich her.
 
Besser könnte man die Trennungsangst von der Vergangenheit gar nicht darstellen. Im Urwald begegnen den Helden jedoch noch weitaus größeren Gefahren als Carls mangelndes Gegenwartsdenken. Um nicht zu viel zu verraten, sei hier nur erwähnt, dass wir uns sehr an Science Fiction Klassiker wie „Die Insel des Dr. Moreau“ oder „Planet der Affen“ erinnert fühlen, in denen auch eine alternative Gesellschaft im Vordergrund steht. Dieses Science-Fiction-Element ist in sich jedoch nicht ganz stimmig und artet unnötigerweise in das klassische Gut-Böse-Schema aus, das schon zahlreiche andere Abenteuerfilme zuvor praktizierten.
 
Auch enttäuscht ein wenig das Ende, dessen Auflösung wir uns eigentlich intelligenter gewünscht hätten. Nichtsdestotrotz ist Pixars zehnter Film „Oben“ mal wieder ein überdurchschnittlich gelungenes Meisterwerk, das dem Publikum besonders in den ersten 45 Minuten Dinge zeigt, die es in dieser Form bestimmt noch nicht gesehen hat. Zwischenmenschliche Beziehungen als Abenteuer darzustellen, kann auf diese unterhaltsame Art auch nur Pixar gelingen.
 

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