Die große Pixar-Retrospektive, Teil 3
Computeranimierte „Toy Story“ 1995 im Kino
Am Anfang war das Spielzeug
Man könnte fast von einer kleinen Revolution sprechen, als 1995 mit Toy Story der erste vollständig am Computer animierte Film in die Kinos kam. Pixar wurde in der Presse schon zu diesem Zeitpunkt wie ein erfahrenes Filmstudio gehandhabt. Wer den Film sah, hätte niemals gedacht, dass er von Leuten gemacht worden sei, die noch nie etwas dergleichen gemacht haben. Selbst John Lasseter werkelte bis zu diesem Zeitpunkt als Regisseur nur an kleineren Projekten. Zudem bestand der Großteil der Crew aus Informatikern, die für dieses Projekt absolutes Neuland betraten.
Vor ihnen hat so einen Film außerdem noch nie jemand gewagt. Unter diesen Gesichtspunkten war es absehbar, dass den Disney-Studios das erste Storyboard zu „Toy Story“ nicht gefiel und die Produktion vorerst eingefroren wurde. Zu belanglos war der Handlungsverlauf, zu unsympatisch die Charaktere. Noch so einen Fehler durfte sich Pixar nicht leisten, weshalb unter höchstem Produktionsdruck ein zweites Konzept erarbeitet wurde.
Das intuitiver gestaltete Stück schlug ein wie eine Bombe, Pixar erhielt grünes Licht für die Produktion und legte los. Lasseters Grundidee war es den Mythos vom lebendigen Spielzeug weiterzuspinnen. Sobald die Kinder das Zimmer verlassen, gehen Cowboy Woody, Mr. Kartoffelkopf, Dinosaurier Rex, Dackel Slinky und deren Freunde auf Abenteuersuche. Als jedoch die Hightech-Actionfigur Buzz Lightyear die Bühne betritt, herrschen Eifersucht und Existenzangst vor. Erst als Woody und Buzz in ernsthafte Bedrängnis geraten, müssen sie sich zusammenraufen um wieder zurück zu ihrem Besitzer Andy zu finden.
Weltweit spielte der Film 350 Millionen US-Dollar ein. Für Pixar hieß das, sie konnten sich noch ein paar Grafik-Rechner mehr leisten und mussten ihre doch sehr limitierten Computer nicht mehr Tag und Nacht besetzen. Noch viel wichtiger war jedoch, dass Pixar nun endlich ihre wahre Bestimmung in der Animation gefunden hat.
Der Gang an die Börse machte sie noch ein Stück unabhängiger und verzeichnete mit erlösten 132 Millionen Dollar den größten Börsenerfolg des Jahres. Die Entwicklung zum eigenständigen Produktionsstudio stärkte ihren Verhandlungsstandpunkt gegenüber Disney, den Steve Jobs für einen 50/50-Deal für sechs weitere Filme auch gewinnbringend ausnutzte. Einer strahlenden Zukunft im Animations-Sektor stand nun nichts mehr im Wege, außer vielleicht ein erfolgloser zweiter Film.
Des Käfers Leben
Nach der großen Euphorie wusste keiner so recht, wie der erste Erfolg zustande kam. Von einem Rezept war Pixar noch weit entfernt, weshalb das Kreativteam genau überlegen musste, welchen Ansprüchen das neue Projekt genügen musste.
Man entschied sich für einen Film über Insekten, was unter anderem auch aus pragmatischen Gründen geschah. Nicht ohne Grund arbeitete nämlich zeitgleich die Dreamworks Animations-Schmiede an einem ähnlichen Projekt.
„Antz“ sollte genauso wie Pixars „Das große Krabbeln“ ein insektoides Sozialexperiment werden. Zu der Zeit war die Technologie einfach reif für die Darstellung glatter Oberflächestrukturen – die perfekte Voraussetzung für realitätsnahe Chitinpanzer der Ameisen.
Zudem waren Kleidung und Haare noch zu kompliziert für eine professionelle Umsetzung. Obwohl „Antz“ mit seinen Woody-Allen-typischen Anspielungen (Allen spricht hier die vom Kollektiv geplagte Hauptfigur Z) eindeutig auf ein erwachseneres Publikum abzielt, ähneln sich die Geschichten doch ein wenig.
In Pixars Version eines Ameisen-Lebens versucht der kleine Flik, die jährliche Grashüpferplage zusammen mit einer Käfer-Zirkus-Truppe zu entschärfen. Auf seiner Reise kostet er die süßen Früchte der Freiheit jenseits des Ameisenhügels und muss sich überwinden, wieder in die heimatlichen Hallen zurückzukehren. Das Leben seiner „Großfamilie“ hängt somit von seinem Verantwortungsbewusstsein ab. Neben einer komplexeren Story wies „Das große Krabbeln“ erstmals Breitbildformat auf. Wurde bei „Toy Story“ zuvor nur Puppen Leben eingehaucht, galt es nun, lebendige Wesen naturgetreu nachzustellen.
Für die Recherche hielt eine selbst gebastelte Käferkamera her, mit der im hauseigenen Vorgarten die geheimnisvolle Mikrowelt erforscht werden konnte. Durch Schneckenhäuser glimmendes Licht oder durchlässige Blätter erhielten dadurch glaubwürdige Renderings. Das größte Problem zeigte sich jedoch bei den Massenszenen. Mehr als 50 Ameisen konnten zunächst nicht gleichzeitig in einer Einstellung auftreten. Der finale Film zeigt, dass die IT-Abteilung letztendlich auch diese Herausforderung in den Griff bekam.