Die Burton-Galerie, Teil 8
Kunterbunte Realitätsflucht
Kunterbunte Realitätsflucht
Das neue „Alice im Wunderland“ (2010) ist keinesfalls eine reine Adaption des Lewis-Carroll- Klassikers. Der Stoff wurde von Drehbuchautorin Linda Woolverton („König der Löwen“) völlig neu geschrieben. Da Burton das Original nur als Ansammlung mehrerer skurriler Abenteuer sieht, legte er großen Wert auf eine schlüssige Gesamthandlung (ähnlich wie in „Big Fish“). Alice (Mia Wasikowska) ist nun 19 Jahre alt und tut sich mit ihrem Leben in der High Society schwer. Als sie einen Heiratsantrag annehmen soll, flieht sie in das fast schon vergessene Wunderland.
Statt im Totenreich ist das bunte Treiben diesmal in der Psyche des Mädchens angesiedelt. Während ihrer zwölfjährigen Abwesenheit erlangte die kaltblütige Herzkönigin (Helena Boham Carter) nahezu vollständige Kontrolle über das Zauberreich. Als Sinnbild der Ordnung gibt sich die Herrscherin alle Mühe, dem kreativen Chaos der Landesbewohner, also u. a. des verrückten Hutmachers (Johnny Depp), der weisen Raupe (Alan Rickman), des weißen Kaninchens (Michael Sheen) und der Grinsekatze (Stephen Fry), mit Gewalt ein Ende zu setzen. Doch die weiße Königin (Anne Hathaway) hält bereits eine Lösung parat, in der Alice die entscheidende Rolle spielt.
In den rund 40 Drehtagen sprachen die Darsteller fast durchgängig mit imaginären Dialogpartnern vor einem Greenscreen. Logischerweise fühlte sich Mia Wasikowska sehr allein, wenn sie mal wieder nur mit einem Tennisball redete. Die Einsamkeit teilte sie mit ihrer Figur, Alice, die sich aus demselben Grund stark mit dem verrückten Hutmacher verbunden fühlt. Auch er ist ein Außenseiter, der seinen rechten Platz in der Welt noch nicht gefunden hat. Seine grellen Augen, lilafarbenen Finger und die neonleuchtende Frisur deuten jedenfalls auf eine Vergiftung hin, der sich der Hutmacher nicht nur auf seiner Arbeit aussetzt. Die ersten Filmbilder verraten bereits, dass Burtons neuster Streich ein absoluter Overkill an offenbarer CGI-Tricktechnik werden wird.
Seit dem 4. März 2010 dürfen Sie Alice bei ihrem Trip ins künstliche Wunderland begleiten, in 3-D, wenn Sie wollen. Inzwischen arbeitet Burton wieder für die Disney-Studios, bei denen vor über 20 Jahren alles begann. Seine verqueren Visionen von tadeligen Eltern, missverstandenen Kindern, Alltagsquerelen und Totenreichausflügen erfreuen dank aufwendiger Designs und großartiger Darstellerriege Jung und Alt. Dabei hat sich Burtons markanter Stil dermaßen in Hollywood etabliert, dass er glatt ein eigenes Genre definieren könnte. Unabhängig vom kommerziellen Erfolg seiner zukünftigen Arbeiten, einem Stop-Motion-Remake von „Frankenweenie“ sowie der Kinoumsetzung der TV-Serie „Dark Shadows“, ist ihm sein Platz in Hollywood und in den Herzen der Fans sicher.