Der neue deutsche Film?, Seite 2
„Die Vermessung der Welt (3D)“
Einen nicht minder farbenfrohen Ansatz in sich verwobener Geschichten verfolgt Detlev Bucks („Rubbel die Katz“) amüsante Romanverfilmung „Die Vermessung der Welt“, die sich auf insgesamt zwei Handlungsstränge konzentriert. Der Film basiert nämlich auf Daniel Kehlmanns fiktiver Doppelbiografie von Naturforscher Alexander von Humboldt (Albrecht Abraham Schuch) und Mathematiker Carl Friedrich Gauß (Florian David Fitz), die beide die Welt mit grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweisen erforschen und damit die Wissenschaft in neue Höhen katapultieren.
Mit dem typisch Buckschen Humor werden Theoretiker und Praktiker gegenübergestellt. Während der eine Protagonist Zuhause bleibt und die fortschrittlichsten mathematischen Theorien des 19. Jahrhunderts entwickelt, bereist der andere die ganze Welt, erkennt existentielle Zusammenhänge und begründet damit quasi die empirische Forschung mit. Nebenbei fallen dann immer mal wieder Kommentare zu heutigen Annehmlichkeiten wie Zahnärzten oder auch ein funktionierendes Rechtssystem, indem einfach die Missverhältnisse von damals thematisiert und von den beiden aufklärerischen Freigeistern zu Recht hinterfragt werden.
Humboldt und Gauß
Die Geschichte beginnt in den frühen Kindheitstagen der Genies, als dem Gauß noch der blanke Hintern versohlt wurde, weil er sich die an die Klasse gestellte Beschäftigungstherapie (Addiert alle natürlichen Zahlen bis Einhundert miteinander!) mit einer spontan aufgestellten logischen Reihe (n(n-1)/2) vereinfacht hatte. In diesen Tagen wurde das Lesen von Büchern noch hart bestraft, da die Kinder doch lieber bei der täglichen Arbeit helfen sollten. Glücklicherweise besitzt Gaußens Mathe-Lehrer genügend Intelligenz, ein Genie zu erkennen, wenn es vor ihm steht, weshalb er ihm auch jene Förderung zugedeihen ließ, die ihn zu einem der größten Mathematiker aller Zeiten werden lassen sollte. Jenen Widrigkeiten muss sich der zweite Filmheld, Alexander von Humboldt, nicht stellen, denn seine Abstammung ist adliger Natur. Als Junge geht ihm höchstens die Ignoranz seiner Eltern, insbesondere aber auch die Dummheit des preußischen Königs mächtig auf den Keks. Früh wird daher der Grundstein zu Humboldts Fernweh gelegt, denn ist er erst einmal aus Deutschland raus, kann er sich frei entfalten, ohne sich dem Druck seiner Mutter unterordnen zu müssen.
Auf diese Weise wird in unterhaltsamer, weil locker witziger Weise das Leben der beiden episodenhaft gegenübergestellt – Humboldt in seinen aufregenden Dschungelabenteuern, Gauß in seiner abstrakten Gedankenwelt. Der eine immer direkt am greifbaren Forschungsobjekt, der andere grübelnd über den schwierigsten Hypothesen und Theorien. Auf ihre Weise entfernen sich beide von ihrem familiären Leben, sodass ein Drama bereits vorprogrammiert ist. Zudem schwebt die Frage im Raum: Was passiert eigentlich, wenn sich beide Freigeister nach all ihren Entdeckungen erneut begegnen? Nun, diese Frage beantwortet der Film in einem perfekten Finale, das Ihnen die Lach-Tränen in die Augen treiben wird. Es erwartet Sie also eine Komödie mit Anspruch und viel hintergründigem Humor sowie ein epochales Abenteuer mit überragender Bildgewalt. Egal in welcher Kulisse sich die Humboldt-Figur auch aufhält, jede ist atemberaubend inszeniert und kann mit vielen kleinen Details aufwarten. Zu dem immensen visuellen und inhaltlichen Wert des Films gesellt sich auch noch die jeweils herausragende Darstellerleistung der beiden Protagonisten. Sowohl Fitz als auch Schuch liefern eine humoristische Spitze nach der anderen und halten die Aufmerksamkeit der Zuschauer bis zum Finale gefangen. Und das ist schon eine ganz schöne Leistung, bei der gesichtsvereinnahmenden Maske des Alters, die sie im letzten Abschnitt tragen müssen.
Neben dem großartigen Filminhalt verleitet auch die Form des Films zu Jubelrufen. Neben Wim Wenders‚ „Pina“ ist Bucks „Die Vermessung der Welt“ mit Sicherheit einer der besten 3D-Filme, die Deutschland je hervorgebracht hat – eine regelrechte Augenweide. Schlau gewählte Perspektiven, zahlreiche Details, intelligente Installationen und atemberaubende Kulissen sorgen neben der Minimierung der Tiefenunschärfe sowie den satten Farbkontrasten für erstaunliche 3D-Momente. Die Grundtiefe saugt einen regelrecht in diese farbenprächtige, exotische Dschungelwelt sowie in die beengte Gaußsche Familienstube. Auf diese Weise werden die Gegensätze zwischen den beiden Protagonisten noch deutlicher und die „Vermessung der Welt“ zur ganz persönlichen Entdeckungstour des Zuschauers. Auf der Bonusdisc gibt es ein großes Making-Of in 3D (67 Min.) sowie ein kleiner Beitrag zur Premierenfeier (3 Min.).