Im Gespräch mit Anne Metzler
„Bevor der Winter kommt“ ist ein Drama des französischen Regisseurs Philippe Claudel, der sich auch schon für „So viele Jahre liebe ich Dich“ verantwortlich zeichnete. Um den Rätseln dieses Filmes auf den Grund zu gehen, sprachen wir im Interview mit der Schauspielerin Anne Metzler, die hier Zoé, Pauls Kollegin und Nachfolgerin in der Chirurgie spielt und ebenfalls eine wichtige Rolle in seinem Leben verkörpert.
„Für Philippe war diese Beziehung unheimlich wichtig“
Frau Metzler, wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?
Ich bin ja auch Luxemburgerin. Und die großen Produktionshäuser wie Samsa, die den Film Koproduziert haben, kennen mich natürlich, weshalb sie mich dann Philippe Claudel vorschlugen. Claudel kommt selbst aus der Saar-Lor-Lux-Region und er arbeitet sowieso gerne mit seinen Leuten. Er ist also ein bisschen gegen dieses Star-System, nur die Top-Schauspieler aus Paris zu nehmen und auch dort zu drehen. Was auch sehr angenehm war, ist, dass er immer sein Casting selber macht. Er arbeitet da mit seiner Frau zusammen.
Welcher Aspekt des Films gefällt Ihnen denn am meisten?
Ich muss sagen, im Nachhinein gefällt mir, dass es ein sehr persönlicher Film ist. Also, dieses Leben, das Paul und Lucie führen, kenne ich sehr gut. Ich komme selbst aus einer Arztfamilie und auch meine Rolle – auch wenn ich sie natürlich gespielt habe – ist mir bekannt. Diese Situationen, wo man wenig redet, wo man wenig Platz für Emotionen hat – Im Nachhinein finde ich das am stärksten in diesem Film. Diese nonverbale Kommunikation oder auch Nicht-Kommunikation, dieses „Am-Leben-vorbeihuschen“ ist das, was mich am meisten bewegt hat.
Warum ist die Kommunikation zwischen Paul und Lucie so unmöglich? Und wieso kann er dann mit einer Wildfremden so viel besser sprechen?
Paul lebt halt in Strukturen, die vorgedacht sind. Die auch nicht anpassbar sind. Wo nie etwas in Frage gestellt worden ist. Man merkt auch, wie viel dahinter steckt. Es wird ja alles suggeriert. Die mögliche Geschichte, die Lucie mit Richard Berry hat, der theoretisch der wahre Vater von Pauls Sohn sein könnte … All diese vermutlichen Geschichten, die gar nicht so ausgesprochen werden, könnten die Ursache dafür sein. Wenn die Leute miteinander reden würden, würde doch sehr viel von ihrer Lebenseinstellung ins Schwanken geraten. Das könnte sehr gut sein, dann würden sie vorankommen. Ich denke mit Lou gibt es auf einmal einen Raum, wo er nachdenken kann.
Paul ist Gehirnchirurg, Gerard Psychologe. Welche Rolle spielt das für den Film?
Ich denke Philippe Claudel war das sehr wichtig. Es gibt in dem Film z. B. diese Szene in der Kapelle mit der Ausstellung, wo man diese Scan-Bilder von den Gehirnen sieht. Und auch ganz am Anfang gibt es diese Einstellung, die sich im Klinikum abspielt, in der man durch einige Radiologien Paul entdeckt und dann mich nebenan sowie die anderen Assistenten. Philippe hat sehr viel recherchiert. Er hatte einen guten Neurochirurgen-Kollegen mehrmals in Paris besucht und hat auch OPs mitgefilmt. Und ich selbst war ebenfalls in der Charité in Berlin, das war schon eine Aufgabe sozusagen, sich dann doch sehr da reinzuarbeiten. Weil er das so interessant fand, was in den Köpfen der Leute so vorgeht. Gerard ist ja an sich ein Psychiater. Da geht es ebenfalls viel um dieses Innen und Außen. Was ist die Innenwelt, was die Außenwelt? Was behält man für sich und was gibt man nach außen Preis. Das sollte meiner Meinung nach eine Metapher dafür sein, wie diese Leute überhaupt kommunizieren.
Wie hat Ihnen Ihr medizinischer Hintergrund bei der Rolle geholfen?
Es gibt da so zwei Komponenten. Auf der einen Seite habe ich selbst auch Psychologie und Psychoanalyse neben der Schauspielschule studiert. Und viele Schauspielkollegen haben damals, als ich in Paris gelebt habe, Psychoanalyse studiert – das gehörte fast schon ein bisschen zur Pariser Intelligenz dazu. Und für mich schloss sich da irgendwie der Kreis, weil ich denke, meine Eltern in meiner Kindheit haben sich immer gewünscht, dass ich auch eine Ärztin werde. Ich habe den Weg aber nicht verfolgt. Daher fand ich es schön, dass ich in diesem Film eine Fachärztin spielen konnte. Das hatte etwas Emotionales. Und ich konnte ein Häkchen an die Rolle machen. Die zweite Komponente ist: Ich bin in Krankenhäusern groß geworden, weil meine Eltern mich immer mitgenommen haben. Wie diese Ärzte gehen in dieser Bluse, wie man Kollegen begrüßt, wie man Visiten durch die Zimmer der Patienten macht, das habe ich wirklich von ganz klein an beobachten können.
Es gibt sehr viele Frauenrollen in diesem Film, die alle in Beziehung zu Paul stehen. In welcher Beziehung steht Ihr Charakter Zoé zu Paul?
Die ersten Gespräche, die ich mit Philippe Claudel hatte, da ging es eher darum – In seiner Vision, war es eher so, dass es in Pauls Leben drei Frauen gibt, die drei Lebens-Akten sozusagen abzeichnen. Da wäre seine Ehefrau. Als zweites Zoé, die die Frau in der Arbeitswelt ist. Die auch, wenn es gar keine Liebesbeziehung gibt, auf Mentor-Schüler-Ebene eine wichtige Person für Paul ist. Und dann gibt es natürlich Lou, die so eine Art Femme Fatal ist, die alles ins Wanken bringt. Und manchmal ist die Erfahrung, die ich mache, wenn ich auf Festivals gehe und mir die Zuschauer anhöre, dass die Meinung immer sehr gespalten ist. Es gibt Leute, die meine Rolle sehr gut verstehen und da auch mitfiebern, die diese Beziehung zwischen Paul und Zoé als sehr stark empfinden. Und dann gibt es Leute, die machen das zu einer sehr kleinen Rolle. Sie sind irritiert von dieser dritten Beziehung. Für Philippe war diese Beziehung unheimlich wichtig. Er wollte, dass durch diese Beziehung das Emotionale rüberkommt. Und dieser Winter, der kommen wird, spielt sich ja zum großen Teil auch in dieser Beziehung ab. Da wird halt der Wechsel kommen. Er wird nicht bis zum Schluss der Professor der Neurochirurgie bleiben. Zoé nimmt seinen Platz ein. Und ich muss sagen, dass wahr sehr schön zu spielen. Daniel Auteuil war sowieso der große Mentor, weil er wirklich der Schauspieler ist, den ich entdeckt habe als kleines Kind. Durch den Film, den ich mit ihm gesehen hatte – „Am achten Tag“ (1996) – wollte ich Schauspielerin werden. Und es war so schön, Jahre später mit ihm vor der Kamera zu stehen und auch so eine Mentor-Lehrling-Situation spielen zu können.
Wie war die Zusammenarbeit mit Kristin Scott Thomas?
Philippe Claudel begleitet den Film in Deutschland leider nicht so wie in Frankreich, aber ich benutze mal seine Worte: Er hat immer gesagt, dass er der einzige Regisseur ist, der zwei Mal mit ihr gearbeitet hat. Und dass dies auch das letzte Mal sein wird. Er war da sehr harsch. Ich denke er ist mit dem Endresultat vollkommen zufrieden. Aber er hat gesagt, die Arbeit mit ihr wäre sehr schwierig gewesen. Sie ist z. B. mehrmals vom Set gegangen und wollte dann nicht mehr. Ich muss sagen, ich habe mit ihr nur am ersten Tag gedreht: Diese Schlussszene am Esstisch, wo wir alle beisammen sitzen. Und an dem Tag war sie sehr nett. Ich finde, sie ist eine sehr intelligente Frau und eine wahnsinnig gute Schauspielerin.
Das Ende bleibt relativ offen. Wie haben Sie denn das Ende gesehen. Eher positiv oder negativ?
Ich weiß nicht, ob ich das jetzt so in Schwarz oder Weiß kategorisieren möchte. Ein Happy-End ist es ganz sicher nicht. Aber die dunklen Töne sind eher Grautöne als pures Schwarz. Ich denke, dass die heile Welt, die sie hatten, zerbröckelt ist. Aber es ist ja sehr unterschiedlich. Zum Beispiel merkt man bei diesem letzten Tennisspiel, dass die Beziehung zwischen Jérôme und Vicky Krieps, sein Sohn und die Schwiegertochter, sich eher zum Positiven gewendet hat. Man kann sich vorstellen, dass das, was die Eltern nicht hingekriegt haben, in der Beziehung miteinander zu reden, dass die jüngere Generation da aber vielleicht etwas aufgegriffen hat. Es gibt verschiedene Leute im Film, die einen Weg gefunden haben. Für Lucie und Paul – ist es nicht wirklich verarbeitet. Ich finde es deshalb so spannend, weil es den Zuschauer zurück lässt mit seiner eigenen Geschichte. Vielen Dank für das Gespräch.
Trailer zu „Bevor der Winter kommt“:
(Falko Theuner)