Avatar, Teil 4
Was ist Traum und was Wirklichkeit?
„What the fuck are you talking about?“ (James Cameron)
„Avatar“ einen tiefergreifenden Anspruch zu bescheinigen, geht bei aller Liebe nicht. Der Handlungsaufbau ist simpel und läuft nahezu zwanghaft auf eine epische Schlacht hinaus. Selbst James Cameron empfindet „Avatar“ nicht als solch “ (…) komplexen Film wie ‚Titanic‘, der ein historisches Ereignis beschreibt.“ Es sei kein Film für Kritiker, sondern ein Streifen für die breite Masse, etwa in der Richtung von „Terminator 2“. Vergleicht man „Avatar“ jedoch mit anderen Filmen wie „Der mit dem Wolf tanzt“, „The Last Samurai“ oder „Pocahontas“, reagiert der 55-jährige Regisseur empfindlich, gar aggressiv. Während der Pressekonferenz stellte man die Frage gleich doppelt, was den Fragenden zur Erheiterung der Anwesenden diverse Kraftausdrücke seitens des Regisseurs einbrachte.
Insgesamt argumentierte Cameron jedoch sachlich. Dass die Grundstruktur klassisch sei und es bereits Filme gab, in denen sich ein Mann von seiner Kultur trennt und die durch eine Minderheit vertretene Kultur als sinnvoller erachtet, sähe er noch ein. Doch es seien die Details, die den Unterschied ausmachten. Und damit hat Cameron vollkommen Recht, denn einen Realfilm, der zentral die Seelenwanderung thematisiert und auf einem völlig fremden Planeten spielt, brachte die Traumfabrik in diesem Maße noch nicht hervor.
Trotz aller Einfachheit verbergen sich am Rande zahllose Abstrakta wie die emotionale Verbindung zwischen den Lebewesen oder überhaupt die Frage nach der Realität. Was ist eigentlich Traum und was Wirklichkeit? Ist Jake nun eher Na’vi oder Mensch?
„Ich denke, das Thema ist es, das nach dem Film bleibt. Der Plot hingegen verweilt im Kino.“ (John Landau)
Handlungsschwerpunkt des Films ist die Entwicklung des simpel gestrickten Jake Sully. Aus dem charakterlosen US-Marine, der an den Rollstuhl gefesselt blind den Befehlen seiner Vorgesetzten folgt, entsteht ein neues Wesen: Stark, aktiv, unabhängig, neugierig und fähig zur Liebe. All das lässt ihn plötzlich selbst Partei ergreifen und für seine eigene Überzeugung kämpfen. An dieser Stelle beweist Cameron durchaus erzählerisches Geschick, um die Dinge einfach zu halten. Statt einer qualvollen Konditionierung, stellt er heraus, dass Menschen, die keine große Bindung zur eigenen Kultur besitzen, eine andere Kultur viel schneller akzeptieren können. Da ist ein ungebildeter und ebenso physisch lädierter Soldat natürlich perfekt, um als leeres Gefäß mit umweltkonformem Wissen gefüllt zu werden. Dass Sully nach einer Weile automatisch den strahlenden Helden raushängen lässt, überrascht dabei kaum. Immerhin hat sich das westliche Publikum an Hollywoods egomanische Identifikationsfiguren seit Langem gewöhnt.
Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es immer wieder eine Kultur, die mit ihrer Technik eine andere Kultur zerstörte. Es macht keinen Unterschied, ob wir in die jüngste Vergangenheit schauen oder noch weiter zurück. Die Entwicklung der westlichen Zivilisation ging stets mit einem verringerten Respekt vor der Natur einher. Und irgendetwas muss sich daran ändern. (…) Es geht einfach darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen, wie wir miteinander umgehen und wie wir die Welt behandeln“, so James Cameron. Dieser Meinung ist auch John Landau, der in seinem Interview weiter ergänzt: „Jim ist ein sehr großer Science-Fiction-Fan. Jeden Tag während seiner Schulzeit las er ein Science-Fiction-Buch. Und ich denke, Avatar ist eine Kombination aus all unseren bisherigen Erfahrungen und einem philosophischen Statement, das wie wir denken nötig ist – „Öffne Deine Augen“. Es gibt ein unausgesprochenes Zitat im Film, das den Kern, die Essenz des Ganzen ausmacht. Es lautet: ‚Wenn Du nichts siehst, siehst du alles.‘ Und ich denke, dass sich das den ganzen Film durchzieht. Der Film beginnt mit dem Öffnen der Augen und er endet mit dem Öffnen von Augen. Wenn wir die Leute bewegen können, ihre Augen zu öffnen, damit sie zurückblicken und sehen, was sie zuvor nicht sahen, haben wir etwas geprägt.“
„Ich nehme an, es war das starke Vorbild meiner Mutter, weshalb ich schon mein ganzes Leben lang Respekt vor Frauen habe.“ (James Cameron)