Free-TV mit digitalen Fußfesseln
In der Vergangenheit haben ARD und ZDF keine Gelegenheit ausgelassen, technische Sperren der privaten Konkurrenten als Zumutung für die Verbraucher zu geißeln. Wie DIGITAL FERNSEHEN enthüllt, arbeiten beide Sender aber heimlich selbst an einem System, mit dem digitale Aufzeichnungssperren in deutsche Wohnzimmer Einzug halten.
Die Tage des unverschlüsselten Fernsehempfangs in Deutschland könnten gezählt sein. Mit ARD und ZDF prüfen ausgerechnet die größten Verfechter des Free-TV eine Art Grundverschlüsselung ihrer Inhalte. Wie DIGITAL FERNSEHEN aus dem Senderumfeld erfuhr, üben insbesondere die großen Hollywood-Studios wie Warner, Sony, MGM und 20th Century Fox massiven Druck auf die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten aus.
Der Streitpunkt
Aktuelle Kinofilme und sportliche Großereignisse sollen hochauflösend nicht länger ohne digitalen Signalschutz auf dem Bildschirm des Zuschauers landen. Die Möglichkeit, über USB-Schnittstelle oder das Auslesen von Festplatten verlustfreie digitale Kopien auf Blu-ray-Rohlinge auszulagern, bringt die Verantwortlichen in Rage. „Einzelne Rechteinhaber fordern in Lizenzverhandlungen gerade über HD-Inhalte in der Tat die Anwendung von sogenannten Digital Rights Management Systems (DRM), die auch einen wirksamen Kopierschutz beinhalten sollen“, bestätigte ZDF-Sprecher Alexander Stock „in Abstimmung mit den Kollegen der ARD“ entsprechende Vorgaben auf Anfrage. Dabei führen die Verhandlungspartner offenbar unterschwellig die Drohung ins Feld, bei einem Verzicht auf entsprechende Schutzmaßnahmen ARD und ZDF bei der Vergabe hochauflösender Film- und Sportrechte künftig nicht mehr zu berücksichtigen. Bei Stock liest sich das dann so: „Grundsätzlich verfolgen ZDF und ARD die Politik einer unverschlüsselten Ausstrahlung ihrer Programme über die verschiedenen Verbreitungswege.
Neben dem ungehinderten Zugang zu unseren Inhalten soll damit auch ein offener Endgerätemarkt befördert werden. Umgekehrt sind aber die berechtigten Interessen der Rechteinhaber im Kampf gegen Piraterie zu berücksichtigen.“ Zu einigen als „heikel“ bezeichneten Detailfragen wollte sich der Sprecher hingegen nicht äußern. Kein Wunder, das Thema trifft einen empfindlichen Nerv beim Zuschauer. Ohnehin entspricht das jüngste Statement einer 180-Grad-Wende gegenüber der bisher von der bisher von den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vertretenen Position. Noch im Dezember 2009 hatte ARD-Pressesprecher Burchard Röver im Vorfeld des Starts von Das Erste HD auf die Frage, ob der Sender dauerhaft Hollywood-Blockbuster ohne Kopierschutz und sonstige Restriktionen gegenüber dem Zuschauer ausstrahlen könne, unmissverständlich erklärt: „Das ist möglich. Die ARD plant keinen Kopierschutz für Spielfilme in HD.“
Auch Stocks ZDF-Kollege Peter Gruhne hatte im Mai 2008 die Frage von DIGITAL FERNSEHEN nach der Einführung eines HD-Kopierschutzes kategorisch verneint. Der Sender plane „keinerlei Maßnahmen, die eine Aufzeichnung oder Vervielfältigung seiner Sendungen zu privaten Zwecken unterbinden würden“. Auch von entsprechenden Vorgaben seitens der Rechteinhaber wollte Gruhne seinerzeit nichts gehört haben: „Generelle Forderungen durch Lizenzgeber nach Verschlüsselung oder sonstigen Maßnahmen zur Verhinderung privater Aufzeichnungen sind dem ZDF nicht bekannt.“
CPCM: Das steckt dahinter
DVB-CPCM (Digital Video Broadcasting – Content Copy and Protection Management) ist ein globales System für Inhalte- und Kopierschutz bei digitalen Ausstrahlungen an TV-Zuschauer, das neben den Verbreitungswegen Kabel, Satellit und Terrestrik auch für mobiles Fernsehen und IPTV ausgelegt ist. Im Mittelpunkt steht die Kontrolle der Weitergabe von Inhalten. Insgesamt zehn Kernelemente wurden im Februar und Juni 2008 vom DVB Steering Board genehmigt und durch das Normierungsgremium ETSI als Standard (TS 102 825) verabschiedet. Im Oktober 2008 sowie im Juli und Oktober 2009 folgten weitere Ergänzungen. CPCM setzt anders als Conditional Access (CA) oder Digital Rights Management (DRM) erst an, wenn die Inhalte beim Kunden angelangt sind. Innerhalb der sogenannten Authorised Domain im Empfangshaushalt können spezifische Nutzungsrechte festgelegt werden. Die sogenannte Usage State Information (USI) im digitalen Strom erlaubt oder unterbindet Wiedergabe, Kopie und externe Archivierung. Das 184-seitige DVB BlueBook A9412 dokumentiert beispielsweise zeitgesteuerte Löschungen von Festplattenaufnahmen, das Unterbinden von Streaming oder den eingeschränkten Export ausschließlich an andere CPCM-taugliche Endgeräte.
Neue Positionen
Davon will Stock inzwischen nichts mehr wissen und bestätigt gegenüber DIGITAL FERNSEHEN unverhohlen, dass das Thema schon seit Jahren intern diskutiert wird – sogar mit konkreten Ergebnissen. Man habe „mit der EBU, Rechteinhabern und der Geräteindustrie an einem Standard gearbeitet, der die unautorisierte Verbreitung von Inhalten über das Internet verhindern soll“. Der ZDF-Repräsentant gibt dem über dem deutschen Free-TV schwebenden Damoklesschwert auch gleich einen Namen: „Das von DVB entwickelte und von ETSI (European Telecommunications Standards Institute, Anm. d. Red.) inzwischen standardisierte CPCM-System sieht die Möglichkeit der verschlüsselten ebenso wie die der unverschlüsselten Ausstrahlung vor.“ CPCM ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Europa längst keine unbekannte Größe mehr: Unter anderem nutzen BBC und ITV bei der terrestrischen Digitalplattform Freeview in Großbritannien seit Juni 2010 Teil des vollständig DVBCPCM getauften Standards, der ausgeschrieben „Digital Video Broadcasting – Content Protection and Copy Management“ bedeutet.
Nach massivem Widerstand seitens der Open Rights Group hatte der Regulierer Ofcom entsprechende Planungen durchgewunken. Dabei bleiben BBC HD und ITV HD grundsätzlich unverschlüsselt auf Sendung. Der Kniff auf der Insel besteht darin, die programmbegleitenden EPG-Informationen mit einem speziellen Algorithmus zu verschlüsseln, der Receiver ohne entsprechende Implementierung aus dem Tritt bringt. Nur Hersteller, die für ihre Geräte die Einhaltung der digitalen Schutzmaßnahmen gewährleisten, erhalten den „Gegenschlüssel“, der den Zugriff auf die Programmdaten freigibt. Die Lizenz wird kostenlos abgegeben, entsprechend sah die Ofcom als zuständige Aufsichtsbehörde keine Angriffsfläche, um das umstrittene Projekt zu kippen.
Das CPCM-System kann dabei aber deutlich mehr, als nur den Zugriff auf SI-Daten zu unterbinden. Es erlaubt den Inhalteanbietern über eine Reihe von Flags, die im digitalen Datenstrom übermittelt werden, weitgehende Einschränkungen der Nutzungsrechte. Ähnlich wie bei der in die Kritik geratenen HD-Plus-Plattform von SES Astra können dabei Datenübertragungen oder Kopien an andere CPCM-taugliche Geräte genehmigt oder unterbunden werden. Es ist auch möglich, Aufzeichnungen nur für einen beschränkten Zeitraum abspielbar zu machen oder die gleichzeitige Wiedergabe auf zwei Empfängern zu verhindern.