Der Widerstand gegen die geplanten US-Gesetze zur Kontrolle des Internets geht in die nächste Runde: Die englischsprachige Version von Wikipedia protestiert mit einem 24-stündigen Blackout gegen Netzsperren. Auch Google trägt Schwarz, geht aber nicht offline.
Im Internet wird gestreikt: Die englischsprachige Version des Online-Lexikons Wikipedia ist für einen Tag vom Netz gegangen. Die Macher der Web-Enzyklopädie wollen damit gegen zwei geplante US-Gesetze protestieren, die im Kampf gegen Raubkopien im Internet auch drastische Maßnahmen wie Netzsperren vorsehen. Kritiker argumentieren, dass mit der geplanten Infrastruktur missliebige Inhalte zensiert und Internet-Anwender gegängelt werden könnten.
An ähnlichen Einwänden waren im vergangenen Jahr auch die Netzsperren-Pläne in Deutschland gescheitert. Hierzulande standen allerdings nicht Urheberrechtsverletzungen im Fokus, sondern der Kampf gegen die Kinderpornografie. Die verbotenen Inhalte sollen jetzt direkt gelöscht werden, damit Netzsperren nicht mehr notwendig sind. Die Musik- und Filmindustrie setzt sich allerdings auch in Europa weiterhin für Sperren gegen Raubkopien im Netz ein.
Bei Wikipedia wird nun anstelle der üblichen englischsprachigen Einträge eine dunkle Seite mit einer Protest-Erklärung angezeigt. Auch einige andere Online-Dienste schlossen sich der Aktion an. Google platzierte unter seinem Suchfenster den Link zu einer Online-Petition gegen das Gesetz. Für Nutzer in den USA war das bunte Google-Logo mit einem schwarzen Viereck verdeckt. Ganz vom Netz ging auch der populäre Netzwelt-Blogger „Boing Boing“. Die Homepage der
Blog-Plattform WordPress war voller schwarzer Blöcke mit der Aufschrift „zensiert“.
In Deutschland sah man aus Solidarität unter anderem auf der Website der Grünen schwarz. Man wehre sich gegen „Politik, die unverhältnismäßig die Grundrechte einschränkt und eine Gefahr für den Informations- und Wissensaustausch bedeutet“, hieß es dort. Vom Netz ging zum Beispiel auch die Blogger-Seite Spreeblick. Die Piratenpartei kritisierte, das Gesetz würde Online-Dienste zur Überwachung ihrer Nutzer zwingen. Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Sebastian Nerz, verglich die geplanten Maßnahmen in den USA mit der Netz-Zensur in China.
Die Kritiker werfen den Gesetzesinitiativen mit den Bezeichnungen SOPA (Stop Online Piracy Act) im Repräsentantenhaus und PIPA (Protect IP Act) im Senat vor, einer Zensur des Netzes den Weg zu bereiten und dessen offene Struktur zu unterdrücken. Stein des Anstoßes ist die Möglichkeit, den Zugang zu ausländischen Webseiten zu sperren, die illegal geschützte Werke anbieten. Mit der geplanten Infrastruktur zur Blockade von Websites könne das Netz auch ohne Bezug auf Urheberrechtsverletzungen zensiert werden, fürchten die SOPA-Kritiker. Kritisiert wurden die Gesetzesinitiativen auch von der US-Regierung unter Präsident Barack Obama, der im Repräsentantenhaus aber keine Mehrheit mehr hinter sich hat (DIGITALFERNSEHEN.de berichtete).
Der Autor des SOPA-Gesetzes, der republikanische Abgeordnete Lamar Smith, setzte demonstrativ wenige Stunden vor der Protestaktion die nächste Sitzung des von ihm angeführten Justizausschusses zu dem Thema für Februar an. Smith hatte unter dem Druck der Kritik eine gewisse Kompromissbereitschaft bei den Netzsperren signalisiert, das Gesetz ist aber noch lange nicht vom Tisch.
Mit dem 24-stündigen Blackout erreichen die Proteste von Netzaktivisten und Internet-Wirtschaft ihren Höhepunkt. Auch Branchen-Schwergewichte wie Facebook hatten sich offen auf die Seite der Kritiker gestellt. Dagegen unterstützt etwa der amerikanische Filmverband MPAA die Gesetzespläne. Medienmogul Rupert Murdoch wetterte über den Kurznachrichtendienst Twitter, Google sei selbst „führend bei Piraterie“ und die Sperrung von Inhalten jetzt schon ein gängiges Mittel, das keine Zensur nach sich ziehe.
Der Gesetzentwurf für SOPA wurde am 26. Oktober 2011 vorgelegt. Der Senat, die zweite Kongresskammer, stimmt am 24. Januar zunächst über Verfahrensfragen bei der Behandlung eines ähnlichen Gesetzesvorhabens ab: PIPA (Protect IP Act) soll ebenfalls Maßnahmen gegen Web-Anbieter im Ausland ermöglichen, die das geistige Eigentum (intellectual property, IP) verletzen. Eingebracht wurde PIPA vom demokratischen Senator Patrick Leahy in Vermont.“
„Bei einer Verabschiedung hätten beide Gesetze verheerende Folgen für das freie und offene Web», erklärte die Wikimedia Foundation, die Wikipedia betreibt. Die englischen Einträge zu SOPA und PIPA sind noch erreichbar. Die deutschsprachige Wikipedia ist weiter zugänglich und weist mit einem Protestbanner auf die Aktion in den USA hin. [dpa/sv]
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