Ob das Internet den klassischen TV-Anbietern auf Dauer die Zuschauer abjagt, darüber diskutierten Plattformbetreiber, Sendervertreter und Medienhüter am Dienstagmittag auf dem Fernsehgipfel der Anga Cable in Köln.
Anga-PräsidentThomas Braun widersprach zu Beginn der Elefantenrunde „TV goes online -Chancen und Risiken“ zunächst der Einschätzung von Moderator FrankThomsen, das Wachstum der Messe deute auf eine Goldgräberstimmung in derBranche hin. Diese sei in der Regel „kurz und heiß“, die Anga Cable unddie Branche gleichermaßen setzten hingegen auf „bedarfsgerechteExpansion“.
ZDF-JustiziarCarl-Eugen Eberle, seit 21 Jahren – und damit laut Thomsen „fast schonseit dem Stummfilmzeitalter“ – beim öffentlich-rechtlichen Sender tätig,sagte, es werde zunehmend schwieriger, Marken wie „Wetten, dass..?“ füreine Klientel von 6 bis 99 Jahren aufzubauen. Junge Leute würdenzunehmend Spartenkanäle nutzen, der Markt fragmentiere sich. Hier kämenZDF Neo oder ZDF Kultur der Verlagerung vom TV-Lagerfeuer hin zurSpezialisierung entgegen. Auch Arte sei zu einer starken Marke gereift.ZDF will jüngere Zuschauer im Netz abholen
Außerdem wolle man zunehmend die Jüngeren im Netz abholen. Dabei halte man sich an die medienrechtlichen Bedingungen, weshalb man bei der Einführung zögerlich reagiere und erst in den nächsten Monaten die ZDF-Mediathek und heute.de auf Tablet-PCs und Mobiltelefone zu bringe.
Bemüht sei man auch, Konkurrenten aus der Verlagsbranche nicht vor den Kopf zu stoßen. HbbTV bezeichnete er als „große Chance“ für das ZDF – etwa, um Nachrichtenthemen durch zusätzliche Inhalte interaktiv zu vertiefen. Auch Video-on-Demand beobachte man, getrieben durch das Interesse der Produzenten, aufmerksam, sagte Eberle. Hier werde auch der gewerbliche Vertrieb von Inhalten attraktiv. Er bestätigte, die kommerziellen Töchter von ARD und ZDF prüften gemeinsam mit den Inhalteproduzenten mehrere Varianten mit monatlichen Abrufgebühren, alternativ aber auch mit Gegenfinanzierung durch Werbung. Das in Medien kolportierte „Germany’s Gold“ (DIGITAL FERNSEHEN berichtete) sei ein Schritt, die Produzenten stärker an der Verwertung zu beteiligen. Verträge seien aber noch keine unterschrieben.
Hybridtechnologien wie HbbTV beurteilte Telekom-Repräsentant Christian P. Illek dagegen kritisch. Der Kunde müsse selbst entscheiden können, über welches Endgerät er Inhalte nutze. Hier sei ein agnostischer Einsatz von Technologie gefragt. Zudem mache sich hier ein Altersgefälle bemerkbar. Als junger Mensch nutze man interaktive Dienste verstärkt, bei älteren Kunden spiele zumindest heute das lineare Fernsehen die klar dominante Rolle. Hier müsse man beide Ansprüche bedienen.
Wolfgang Elsäßer, Deutschland-Geschäftsführer von SES Astra, führte aus, mit HD Plus Interactive biete man künftig ebenfalls eine Plattform für hybride Inhalte an und profitiere vom „Trend zur Interaktivität“. Entsprechende Einführungspläne für den Sommer hatte sein Unternehmen bereits Anfang Februar auf einer Tagung der Bayerischen Landesmedienanstalt kommuniziert (DIGITAL FERNSEHEN berichtete).RTL: Leuchttürme im Internet aufstellen
Marc Schröder, Geschäftsführer RTL Interactive, sagte, seine Sendergruppe nutze gezielt und proaktiv die Chancen der neuen Verbreitungswege. Die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton als Massenevent sei aber auch der Beweis, dass es die erwähnten TV-Lagerfeuer nach wie vor gebe.
RTL steuere mit „DSDS“ ein weiteres Lagerfeuer bei. Klar sei aber, dass das Medium Online neue Verlockungen biete. Mit RTL wolle man mit Plattformen wie RTL Now und mobilen Apps nach Möglichkeit überall vertreten sein, setze hier aber auf klare Regeln: „Niemand darf mit unserem Bild ein eigenes Geschäftsmodell aufbauen“, kritisierte er mit Blick auf Google TV. Zudem brauche der Kunde Leuchttürme in Form von Marken. Deshalb stehe bei allen Aktivitäten das Senderlabel im Mittelpunkt.
Telekom-Marketingchef Illek outete sich als Fan des Morgenmagazins von ARD und ZDF, das er quasi rituell nutze, um sich nach dem Aufstehen über das Weltgeschehen zu informieren, das Internet nutze er eher begleitend. Ansonsten gestand er ein, die Kabelnetzbranche werde zunehmend zum ernsthaften Konkurrenten. Mit VDSL sei bei 50 MBit/s das Ende der Fahnenstange erreicht. Entsprechend setze man zunehmend auf Glasfaser, um bis Jahresende 160 000 Haushalte im Rahmen einer „Lernschleife“ mit 100 MBit/s zu versorgen.
Tele-Columbus-Vorstand Dietmar Schickel, seit 25 Jahren in der Branche, kritisierte die Telekom. Sein Unternehmen habe in vielen Städten massive Investitionen in die Netzstruktur getätigt. Dass die Telekom in den gleichen Märkten ein zweites, paralleles Angebot aufbaue, deute auf eine schlechte Marktanalyse hin. Illek widersprach: Man habe lange genug geplant, jetzt müsse man mit dem aktiven Ausbau beginnen, um zu sehen, wie sich der Markt entwickle.Digitalisierung als „Zwangsbeglückung“?
Astra-Deutschlandchef Wolfgang Elsäßer sagte zur Entwicklung der Satellitenplattform HD Plus, der Kunde honoriere, dass man ohne Sternchentexte ein faires, durchschaubares Angebotspaket schnüre. Auch das Interesse der Sender an HD Plus nehme zu. Glückliche Sender, glückliche Kunden – das sei eine perfekte Kombination.
Den analogen Switch-off bezeichnete Elsäßer als große Chance für de Digitalisierung. Viele Verbraucher hätten in den letzten zehn Jahren dabei ohne „Druck von oben“ aufgrund der Vorzüge des digitalen Fernsehens die Umstellung in Angriff genommen. Nun gelte es, die verbleibenden 15 Prozent der Satellitenzuschauer zu erreichen. Hier sehe man gute Chancen, das innerhalb der verbleibenden Zeit bis April 2012 mit Unterstützung von Sendern und Industrie zu schaffen.
Eberle sprach von einer breiten Allianz öffentlich-rechtlicher und privater Sender. IFA und Weihnachtsgeschäft würden sicherlich die Umstellung forcieren. Man stehe aber noch vor einer großen Herausforderung. Brautmeier zog Parallelen zur DVB-T-Einführung und widersprach dem Vorwurf einer „Zwangsbeglückung“. Allerdings „könnte es knapp werden“, alle Haushalte rechtzeitig umzustellen. Gerade der Wohnungswirtschaft warf er hier mangelndes Bewusstsein vor.
Die Vertreter der Kabelnetzindustrie konterten das Thema Zwangsbeglückung. Manuel Cubero, COO von Kabel Deutschland, sagte, man halte bewusst an der Analogverbreitung fest, weil viele ältere Zuschauer und eben auch die Wohnungswirtschaft dies wünschten. Auf den Kunden zu hören, sei ein Schlüssel des Erfolgs in den vegangenen Jahren gewesen. Trotzdem nutze man auch die Chancen digitaler Technologien. Da man nicht nur an TV-Diensten verdiene, sondern auch vom Internetwachstum profitiere, schlügen hier „zwei Herzen in seiner Brust“.HbbTV lässt Grenzen zwischen TV und Web verschmelzen
ZDF-RepräsentantEberle sagte, auch die geplante Verbreitung zahlreicher ARD-Dritten inHD-Qualität ab Mai 2012 biete einen klaren Mehrwert für den Zuschauerund damit einen Anreiz für den digitalen Umstieg. Auch das ZDF werde abdiesem Termin seine digitalen Spartensender parallel in einerhochauflösenden Variante anbieten, überraschte er die Anwesenden. DieKanäle biete man dem Zuschauer ohne Mehrkosten an, betonte er mitSeitenhieb in Richtung von HD Plus. Astra-Vertreter Elsäßer kontertesüffisant: „Bei Ihnen haben die Zuschauer das bereits im Rahmen derRundfunkgebühren gezahlt“.
Jürgen Brautmeier, Direktor der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt, wies unterdessen auf die Notwendigkeit hin, Internet-Anbietern Spielregeln vorzugeben. Das zeigten aktuelle Ereignisse wie Datenschutzlücken bei Google und Sony. Regulierungslücken könnten dabei zunehmend auch durch öffentlichen Druck geschlossen werden, indem Probleme publik würden und das Bewusstsein in der Bevölkerung wachse.
Brautmeier beschwor zudem ein Szenario herauf, bei dem Internet und Fernsehen zunehmend miteinander verschmelzen. Gerade bei HbbTV-Videoangeboten sei die Grenze für den Zuschauer fließend und nicht immer erkennbar, ob das gezeigte Videobild gerade aus dem Internet abgeholt werde oder es sich dabei um lineares Fernsehen handele.
Auch die kommerzielle Mediathek von ARD und ZDF begrüßte er. Hier gebe es „echte Schätze zu heben“. Er habe nichts dagegen, im Gegenzug die Rundfunkgebühren sinken zu sehen, ergänzte er schmunzelnd. Wolfgang Elsäßer von SES versicherte abschließend, es werde bei Astra nie eine Anschlussgebühr für den Satelliten geben. Allerdings würden mit Sky, HD Plus und anderen Plattformen zunehmend Mehrwertinhalte auf dem Markt eingeführt, für die der Kunde dann zunehmend bezahlen müsse und dazu offenkundig auch bereit sei.
Daran ändere auch die wachsende Konkurrenz aus dem Internet nichts. Schröder von RTL stimmte ihm zu. Der Zuschauer wolle nicht immer Programmdirektor sein, insofern spreche vieles auch für ein lineares Fernsehangebot in der Zukunft. Auch bei Facebook und Twitter werde letztlich über das Fernsehen diskutiert.
Update 22.09 Uhr: Angaben zu Panelteilnehmer von SES berichtigt. Wolfgang Elsäßer, Geschäftsführer der Astra Deutschland GmbH, hat den Satellitenbetreiber auf dem TV-Gipfel vertreten[ar]
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