Als wegweisende Spielerfahrung angekündigt, muss der mehrfach verschobene PS4-Titel „The Order 1886“ nun beweisen, aus welchem Design er geschnitzt ist. Wir machen den Test.
Wow! „The Order 1886“ macht von Anfang an klar, dass man hier einen „Next-Gen“-Titel vor sich hat. Der filmische Look des Spiels überträgt sich nahtlos von den Zwischensequenzen auf das Gameplay. Unschärfefilter, Licht- und Schatteneffekte, knackscharfe Texturen (die nur in den Gameplay-Videos durch die Kompression etwas weich erscheinen) und ausgeblichene Farben vermitteln den Eindruck eines animierten Gemäldes.
Bevor „The Order 1886“ zur Hochform aufläuft, heißt es den gemächlichen Spieleinstieg zu meistern. Die Wege sind stets übersichtlich gestaltet, der Wechsel zwischen Außen- und Innenräumen geht nahtlos vonstatten. Sehr schön: Störende Ladezeiten gibt es im gesamten Spiel nicht und Sie können jedes der insgesamt 16 Spielekapitel und sogar einzelne Sequenz aus dem Hauptmenü direkt aufrufen. Obwohl die Grafik Staunen hervorruft, bleibt die Interaktion stets limitiert. Neben Zeitungen, auf denen die Titelseite ablesbar ist, können Sie zum Beispiel Fotos begutachten und dies nicht nur von vorn, sondern auch von der Rückseite.
Weitere interessante Hintergrundinfos abseits der Hauptgeschichte verraten die im Spiel verteilten Phonographen-Zylinder, die aber erst umständlich im Menübildschirm angespielt werden müssen und nicht, wie zum Beispiel Tonbandaufnahmen in „Bioshock“, einfach im Hintergrund während des Spiels wiedergegeben werden können. Wann Sie Springen, Rennen oder sich schlicht im Schritttempo bewegen dürfen, wird vom Spiel strikt vorgegeben. Dabei gilt: Können Sie nicht rennen, sind Sie in Sicherheit. Bereits nach wenigen Minuten dämmert dem Spieler: Dieses virtuelle London sieht verdammt gut aus, doch man fühlt sich wie ein Museumsbesucher, der alles anschauen, aber nichts anfassen darf.
Nicht nur zu Lande, auch in der Luft inszeniert „The Order 1886“ großes Schauspiel: Die Infiltrierung eines Zeppelins ist einer der Höhepunkte des Spiels, die Übergänge von selbständig ablaufenden Sequenzen und tatsächlichen Gameplay-Szenen kommen ohne störende Wartezeit aus. Meist erkennen Sie anhand der Tasteneinblendung, dass Sie die Figuren tatsächlich via Stick steuern können – die grandiose Grafik vermittelt hingegen den Eindruck, einen komplett vorgerenderten Film zu bestaunen. Je weiter man in den Zeppelin vordringt, desto mehr vermisst man allerdings Spieldynamik. Wem der Kampf auf einem sinkenden Schiff in „Uncharted 3“ noch bestens in Erinnerung geblieben ist, der wünscht sich mehr Spektakel – derlei Schmankerl erwarten Sie in „The Order 1886“ nicht.Kulissenhaftes Design
Das kulissenhafte Design stört mit fortlaufender Spieldauer immer mehr: Nur zu gern würden wir in Teslas Werkstatt ein wenig Unruhe stiften, doch mehr als uns umzuschauen dürfen wir auch in diesem Fall nicht. Haben wir den Rundgang beendet, ruft uns Tesla zu sich: Obwohl wir direkt vor ihm stehen, „bemerkt“ er uns erst Sekunden später. Die Sequenz gerät ins Stocken, wir warten auf das Einblenden der Dreiecktaste, um die Sequenz zum Abschluss zu bringen.
Wie filmische Sequenzen und limitierte Tasteneingaben dynamisch umgesetzt werden, haben Spiele wie „Heavy Rain“ oder „Beyond: Two Souls“ bereits erfolgreich bewiesen, in „The Order 1886“ wirken die Quicktime-Events plump und deplatziert. Richtig wütend machte uns das Spiel, als eine wehrlose Person auf dem Boden liegend zusammengeschlagen wurde und wir als Ritter der Tafelrunde nicht eingreifen können. Nach ein paar Sekunden verstummen die Stimmen und die Szene friert förmlich ein. Dieses Schema, dass die Bewohner Londons nur wenige Sätze beherrschen und dann wie ein Fremdkörper erscheinen, zieht sich durch das gesamte Spiel. Grotesk erscheint das Bild eines Marktplatzes, der nach großer Aufruhr gänzlich zum Stillleben wird.Shooter mit Schwachstellen
Im Kern ist „The Order 1886“ natürlich kein Adventure, sondern ein Shooter und genau in diesen Sequenzen ist der Spielfluss am besten, wenn auch nicht perfekt. Die Kamera bleibt immer nah am Charakter, der Blickwinkel erinnert stark an „Resident Evil 4“. Das Ballern aus der Deckung klappt reibungslos, ein paar kreative Waffen geben dem Spielprinzip die richtige Würze. Die Areale sind aber derart klein und eng, dass Taktik nur eine untergeordnete Rolle spielt. Unglücklich: Sollten Sie Munition nicht aufnehmen können und entfernen Sie sich ein paar Meter vom Standort, sind sowohl die erledigten Feinde als auch die Munition verschwunden. In dunklen Tunneln schreibt das Spiel die Verwendung einer Lampe vor, was die Waffenauswahl auf Pistolen limitiert und zugleich das Spieldesign über den Haufen wirft: In Deckung gehen können Sie mit einer Lampe nämlich nicht.
Sämtliche Shooter-Klischees erfüllt „The Order 1886“ mit Bravour: Hinter Geschützen ballern Sie Gegnermassen mit unendlichem Munitionsvorrat nieder, in den engen Kampfgebieten rücken die Gegnergruppen vom gleichen Standort nach. Die Gewaltdarstellung ist stets explizit, teilweise überspannen die Macher den Bogen: Wenn Sie in Ego-Ansicht und Nahaufnahme einen Gegner zu Tode prügeln, erinnert das an die Gewaltexzesse von Kratos aus „God Of War“, nur wirken diese in „The Order 1886“ schlichtweg deplatziert.
Das Zusammenspiel zwischen Schießereien und selbständig ablaufenden Actionsequenzen gerät ein ums andere Mal ins Stocken: Wollen Sie in einer Szene einem Verbrecher folgen, das Tor aufstoßen und die Geisel retten, müssen Sie erst abwarten, bis Sie von Ihren Mitstreitern darauf hingewiesen werden und nach ein paar Sekunden die Dreieckstaste eingeblendet wird – erst dann dürfen Sie einschreiten. In besonders brenzlichen Situationen schaltet das Spiel auf Quicktimeevents um – ein falscher oder zu spät ausgeführter Tastendruck, und Sie müssen die Sequenz wiederholen, immer und immer wieder. Das haben Spiele wie „The Walking Dead“ deutlich cleverer gelöst, indem selbst Fehleingaben nicht automatisch einen Spielabbruch nach sich ziehen.
Wurden Sie in Gefechten zu stark verwundet, können Sie sich zurückziehen und einen Schluck vom Zauberwasser nehmen. Gegner verhalten sich nur selten intelligent und das Spieldesign wirft Fragen auf: In einer Szene reicht der Druck auf die Dreiecktaste aus, um einen Gegner auszuschalten, in einer anderen vergleichbaren Szene müssen Sie die Dreieckstaste dagegen zum richtigen Zeitpunkt (nicht zu früh und nicht zu spät) drücken. Geht der Munitionsvorrat gänzlich zur Neige, stellen sich dem Spieler spätestens dann Fragen, wenn eine Actionsequenz eingeleitet wird und aus der Deckung heraus geschossen werden soll – ohne Munition? Die Lösung des Rätsels: Wird eine neue Sequenz eingeleitet, ist der Munitionsvorrat automatisch wieder aufgefüllt. Dies erkennt man aber erst, wenn die Sequenz wiederholt werden muss.
Geradezu lächerlich erscheint der Spielablauf, wenn belanglose Gegenstände wie ein Apfel per in die Länge gezogener Actionsequenz dazu herhalten müssen, einen einzigen Gegner lautlos um die Ecke zu bringen. In einer anderen Szene weist uns der Bordellbesitzer hingegen darauf hin, dass Waffen nicht erwünscht sind. Also geben wir brav unsere Schusswaffen ab, behalten aber die gut sichtbaren „Fleischermesser“. Spannung und Dramatik kommen immer dann auf, wenn Ihnen die Lykaner an die Wäsche wollen. Auch in diesen Kämpfen dauert es aber nicht lange, bis das limitierte Spieldesign durchschaut ist – wer fleißig die Ausweichtaste drückt, dem kann so gut wie nichts passieren. Dies gilt seltsamerweise gleichermaßen für die Nahkampfsequenzen mit den Lykanern: Während Schlägereien in Quicktime-Events mit vergleichsweise harmlosen Wachen bei falsch gedrückter Taste den sofortigen Tod bedeuten, verkraften Sie von den überlebensgroßen werwolfähnlichen Wesen gleich mehrere todbringende Treffer.Eigene Ansprüche zu hoch
Dass „The Order 1886“ viel mehr hätte sein können als ein vorhersehbares, ultralineares Spielfimabenteuer mit verunglückten Quicktime-Events, zeigt sich in den zahlreichen Gadgets, die leider viel zu selten und nur an exakt vorgegebenen Punkten zum Einsatz kommen. Was in den Köpfen der Spieler hängen bleibt, ist die famose audiovisuelle Präsentation, das überragende Art-Design und eine Spielwelt, in der man sich nur zu gern verlieren möchte, wenn es das Spiel erlauben würde. Selbst die oft sträflich vernachlässigte deutsche Synchro kann sich abseits kleiner Ausrutscher und fehlender Akzente hören lassen. Wer das Spiel im englischen Original erleben möchte, muss die Systemsprache seiner PS4 ändern, eine Sprachauswahl im Spiel gibt es leider nicht.
„The Order 1886“ scheitert an den eigenen Ansprüchen: Die Story ist vorhersehbar, den Hintergrundgeschichten der Charaktere wird zu wenig Beachtung geschenkt und das Potenzial des Settings wird nur angedeutet. Die Hoffnung, die der erste Trailer schürte, einen Shooter mit einer interessanten Gruppendynamik spielen zu können, bewahrheitet sich leider viel zu selten, denn die Story schlägt einen gänzlich anderen Weg ein. Sie werden in die Spielwelt von „The Order 1886“ hineingeworfen und gegen Ende abrupt aus der Geschichte entlassen, ohne einen befriedigenden Abschluss erlebt zu haben. Viele Charaktere handeln nicht nachvollziehbar, was es umso schwieriger macht, die Herzen der Spieler zu erreichen. Mehr als ein Auftakt zu einer (angedeuteten) Spielserie ist „The Order 1886“ nicht geworden. Verglichen mit einer TV-Serie, wie „Penny Dreadful“, erleben Sie in den rund 8 Spielstunden viel Leerlauf und wenig Substanzielles. Betrachtet man das Gameplay, so erscheint ein „The Last Of Us“ im Vergleich fast wie ein Open-World-Actionsspiel.
Wir verleihen „The Order 1886“ 6 von 10 möglichen Ritterorden. [ct]
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