Monatelang wurde heftig über die Copyright-Reform gestritten. Nun ist eine Einigung auf EU-Ebene in noch weitere Ferne gerückt. Kann es mit der Reform bis zur Europawahl überhaupt noch klappen?
Dass der Internet-Riese Google sich so prominent in die europäische Gesetzgebung einmischt, kommt selten vor. Vor kurzem sah sich der US-Konzern dennoch dazu berufen, ganzseitige Anzeigen in überregionalen Medien zu schalten: Man befürchte, dass die Reform des EU-Urheberrechts „die Vielfalt der Nachrichten und Meinungen, die Sie bei Ihrer Online-Suche finden, verringern könnte“, hieß es dort warnend.
Jetzt können die Verantwortlichen bei dem Tech-Giganten aufatmen – zumindest erst einmal. Die für diesen Montag angesetzten Verhandlungen zwischen EU-Staaten, Europaparlament und EU-Kommission wurden abgesagt. „Ich kann bestätigen, dass der Trilog nicht stattfinden wird“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Montag in Brüssel. Und betonte gleichzeitig den Stellenwert der Reform: „Unser Ziel ist, handfesten Nutzen für Kreative, Künstler, Journalisten, Presseverlage, Forscher, Kulturerbe-Institutionen und EU-Bürger zu erreichen.“
Die Verhandlungen der umfangreichen Reform – inklusive Leistungsschutzrecht für Presseverleger – könnten allerdings noch Monate dauern. Oder komplett scheitern. Für Google und Facebook und die Reformgegner unter den Internetnutzern, sind das gute Nachrichten.
Dabei hatte die EU-Kommission unter dem damaligen Digital-Kommissar Günther Oettinger das Gesetz 2016 vorgeschlagen, um das verstaubte Urheberrecht ans digitale Zeitalter anzupassen. Doch die Diskussionen waren ungewöhnlich scharf. Eine erste Abstimmung im Plenum des Europaparlaments über eine gemeinsame Position scheiterte. Lobbyverbände machten Stimmung und warnten vor Zensur. Google und Wikipedia sprachen sich gegen bestimmte Teile der Reform aus.
Besonders umstritten sind Artikel 11 und 13. Letzterer soll Youtube & Co. stärker in die Pflicht nehmen, damit weniger urheberrechtlich geschützte Werke ohne Erlaubnis im Netz landen. Kritiker bemängeln, die Plattformen müssten deshalb Upload-Filter einführen. Damit können sie schon beim Hochladen der Inhalte prüfen, ob sie Lizenzen für die jeweiligen Werke erworben haben. Aber können die Filter auch Parodien, Zitate oder Satire erkennen, deren Upload erlaubt ist? Kritiker bezweifeln das.
Artikel 11 sieht die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger vor. Danach sollen Nachrichten-Suchmaschinen wie Google News künftig Geld an die Verlage für das Anzeigen von Artikel-Ausschnitten zahlen. Um zum Beispiel Start-ups zu schützen, wollte Deutschland, dass kleine Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 20 Millionen Euro von der Regel ausgenommen werden.
Unter anderem an dieser Frage – Ausnahme oder nicht? – scheiterten die Verhandlungen am Freitag, wie mehrere EU-Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel sagten. Zudem ging es um die Frage, wie die Ausnahmen beim Leistungsschutzrecht aussehen sollten. „Alle waren überrascht, dass das nicht durchgeht“, sagte ein EU-Diplomat. Erforderlich wäre eine qualifizierte Mehrheit gewesen – also 55 Prozent der EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Mehrere Länder, unter ihnen die beiden großen Deutschland und Italien, stimmten gegen den rumänischen Kompromissvorschlag.
Aber wie weiter – vor allem, da die Zeit drängt? Ende Mai ist Europawahl. Nach der Wahl könnte ein neu gewähltes EU-Parlament – womöglich mit anderen Kräfteverhältnissen – die Zustimmung zu einer von den bisherigen Unterhändlern erzielten Einigung verweigern. Zuvor müssten sich die EU-Staaten jedoch erst einmal auf eine Position verständigen, über die sie mit dem Parlament verhandeln können.
Die Abgeordnete Julia Reda (Piraten) – eine prominente Gegnerin von Leistungsschutzrecht und Upload-Filtern – hält diese Einigung für schwierig. Eine Seite wolle den Vorschlag der Ratspräsidentschaft verschärfen, die andere halte ihn für zu extrem. „Wie soll der Rat diese Widersprüche überwinden?“ Die gescheiterten Gespräche vom Freitag machten den Abschluss der Reform unwahrscheinlicher.
Bei aller Kritik gibt es allerdings auch viele Befürworter der Reform. Denn Zeitungsverlage, Autoren, Plattenfirmen und andere Rechte-Inhaber erstellen unter großem Aufwand Inhalte – verdienen daran aber teils wenig.
Sowohl die Initiative Urheberrecht, die eigenen Angaben zufolge rund 140 000 Urheber und Künstler vertritt, als auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels appellierten am Montag an die Verhandlungspartner, doch noch einen Kompromiss zu finden, damit die Reform noch in dieser Legislaturperiode zu Ende gebracht werden kann.
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger teilte mit, durch die überraschende Blockadehaltung der Bundesregierung, der Rumänischen Ratspräsidentschaft ein Verhandlungsmandat für die Urheberrechtsrichtlinie zu erteilen, gerate der ohnehin knappe Zeitplan, die Reform bis zur Europa-Wahl zu beschließen, weiter unter erheblichen Druck. Es sei falsch, wenn die Bundesregierung einerseits kleine und mittlere Plattformen von der Haftung für rechtswidrig geladene Inhalte freistellen wolle, dadurch andererseits aber die Interessen der vielen hundert kleineren und mittleren Verlage gefährde, die dringend eine klare Rechtsgrundlage für die Nutzung ihrer journalistisch-redaktionellen Inhalte benötigten.
„Wir sind kurz davor, die historische Chance zu verspielen, die journalistischen Angebote von Zeitungen und Zeitschriften mit den US-amerikanischen Tech-Plattformen durch einen angemessenen Rechtsrahmen auf Augenhöhe zu bringen“, so der BDZV. „Ein Scheitern der Urheberrechtsreform wäre ein nicht wieder gut zu machender Schaden für die Pressevielfalt in der digitalen Welt.“
Und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) teilte mit: „Es darf nicht sein, dass wegen einer unsinnigen Nebensächlichkeit grundsätzliche Problemlösungen, die zum Greifen nahe sind, verweigert werden.“[Michel Winde]
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