Ob Social Media oder Online-Versand – Big Data ist in Europa längst zum alltäglichen Phänomen geworden. Doch einheitliche Regeln zum Datenschutz fehlen bislang. EU-Kommissar Oettinger hegt ehrgeizige Pläne, noch innerhalb des laufenden Jahres ein europaweit verbindliches Regelwerk für die digitale Wirtschaft zu präsentieren.
Das Ziel ist ehrgeizig. Der neue EU-Internetkommissar Günther Oettinger will Ordnung in das digitale Regelchaos der Europäischen Union bringen. Noch in diesem Jahr soll es einheitliche Datenschutzregeln geben. Für Orangensaft, Wein oder Wurst gebe es bereits einen einheitlichen EU-Markt – für die digitale Wirtschaft fehle das. „Wir haben 28 einzelne Märkte, 28 Datenschutzregeln, 28 Regulatoren“, sagte Oettinger am Dienstag in München auf der Internetkonferenz DLD. In einem weiteren Schritt soll das Urheberrecht folgen. Es sind dicke Bretter, die sich der frühere Energiekommissar vorgenommen hat.
Europa müsse gegenüber den USA wettbewerbsfähig werden. Bisher habe der Kontinent in der digitalen Wirtschaft gegen Amerika verloren – nun drohe das auch für die übrige Wirtschaft. „Wer wird in 10 Jahren Autos bauen? BMW? Google? Oder BMW und Google zusammen? Es ist eine ernste und gefährliche Situation“, sagte Oettinger. Es gehe ihm nicht um mehr Regeln, sondern um Einheitlichkeit. Die Europäer bräuchten vor allem zweierlei: Klare, unbürokratische Regeln und Chancengleichheit. „Es ist keine Schlacht. Es ist Wettbewerb und Kooperation.“
Das gelte nicht nur für bestehende Unternehmen, sondern auch für Firmengründer. „Der europäische Markt ist nicht sehr attraktiv für Start-ups, für Investoren“, sagte Oettinger. Die USA seien dabei die Messlatte. Europa müsse dringend attraktiver werden. Der Applaus der heimischen Wirtschaft ist ihm sicher. „Wir brauchen dringend einheitliche europäische Regeln etwa für den Datenschutz“, sagte Telefónica Deutschland-Chef Thorsten Dirks am Rande der DLD. „Mein Eindruck ist, dass die neue EU-Kommission das auch erkannt hat.“
Doch gerade strengere Datenschutzregeln dürften bei Google, Amazon oder Facebook nicht gut ankommen, denn Daten sind längst ihre wichtigste Währung im Netz. Und dabei geht es schon lange nicht mehr nur um Namen, Adressen oder Telefonnummern. Es geht um alles, was Menschen bewegt. Welche Farben sie mögen, oder welche Mode, wo sie einkaufen, wie lange sie schlafen, welche Wege sie nehmen, was sie lesen. Alles wird gescannt, gespeichert und gesammelt.
Ohne diese Datenmengen wären Google, Amazon oder Facebook nicht denkbar. Und viele Kunden geben gerne diesen Rohstoff her. „Unternehmen brauchen heute langfristige Beziehungen zu ihren Kunden. Und dafür müssen wir unsere Angebote personalisieren. Dafür brauchen wir Daten“, sagte Amazon-Technikchef Werner Vogels auf der DLD.
Dabei müsse man nicht mehr über das Ob der Verwendung all dieser Datenmengen sprechen, sagte Wes Nichols von der Marketing-Beratung MarketShare. Big Data sei schlicht Alltag. „Wie die Elektrizität.“ Es gehe nur noch darum, damit umzugehen. Das sieht auch Oettinger so. Die Zeit dränge. „Am Ende müssen wir pragmatisch sein. Es ist ein globaler Wettbewerb“, sagte der CDU-Politiker.
Schon längst machen die US-Internetkonzerne ganzen Branchen das Leben schwer. Den Medien, dem Einzel- und dem Buchhandel oder Telekom-Anbietern. Kostenlose Messenger-Dienste haben die SMS verdrängt, Textnachrichten verdrängen den Anruf. „Und wir haben dabei noch zugesehen“, sagt ein Manager. Unternehmen wie die Deutsche Telekom sehen sich im Hintertreffen. Es gebe keine Waffengleichheit, beklagte Konzernchef Timotheus Höttges auf der DLD zwei Tage vor Oettingers Auftritt. „Niemand von uns kann mit diesen Jungs auf gleicher Ebene konkurrieren.“ Dabei mache er den Unternehmen nicht mal einen Vorwurf. „Gebe ich den Jungs im Valley die Schuld? Nein!“
Derzeit verfalle etwa beim Autobahnmaut-System Toll Collect eine Menge von Daten, die zur besseren Steuerung der Verkehrsströme genutzt werden könnten – weil ihre Verwendung dafür datenschutzrechtlich untersagt sei. Für ihn gelte das Fernmeldegeheimnis, während sich Facebook oder Google frei bedienen könnten. „Wir brauchen Big Data und Regulierung“, sagte Höttges. [Sebastian Raabe/Andrej Sokolow/kh]
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