Der Fernseher wird weiterhin das Wohnzimmer dominieren – jedoch mit deutlich veränderter Nutzung. Dieser Ansicht ist Oliver Kaltner, Mitglied der Geschäftsführung bei Microsoft Deutschland. DIGITAL FERNSEHEN sprach mit dem Chef der Consumer Channels Group des Unternehmens über die abnehmende Bedeutung des linearen Fernsehens sowie die Zukunft des TV-Geräts als Unterhaltungszentrale.
Herr Kaltner, wie lange wird es das Fernsehen so wie wir es kennen noch geben? Im Grunde ist der „Tatort“ um 20.15 ja fest im Lebensrythmus verankert, wenngleich der zeitungebundene Abruf über die Online-Mediatheken der TV-Sender eine immer größere Rolle spielt.
Oliver Kaltner: Ich bin davon überzeugt, dass Fernsehen in seiner heutigen Form und mit dem vorgegebenen, festen Zeitrastern schon bald eine immer weniger relevante Rolle spielen wird. Die Entwicklung der Einschaltquoten stützt diese These. Der Konsument selbst wird zum Programmmanager. Nur er bestimmt, was und vor allem wann er etwas sehen möchte. Provokant gesagt, sind Programmzeiten nur noch wichtig, um das HD-Recording richtig einzustellen. Aktuelle Studien zeigen diese starke Nutzungsveränderung. Innerhalb der Primetime wird vermehrt auf Aufzeichnungen zurückgegriffen und Streaming kam in den letzten Jahren hinzu. Live TV nimmt mehr und mehr ab. Kein Wunder, denn die Vielzahl an Geräten und Plattformen lässt die Nutzung sämtlicher Medienkanäle zu: Radiosendungen können per Cast gestreamt werden, Mediatheken bieten Fernsehbeiträge an, es gibt Zeitungsabonnements, die den Konsum auf jedem Bildschirm ob PC, Tablet oder Smartphone erlauben. Diese Across-All-Screens Entwicklung gilt auch für Filme und Musik und jede Plattform bietet mittlerweile zudem eine Vielzahl von Videospielen zur Unterhaltung an. Entertainment kann aus meiner Sicht heute also nicht mehr als einfaches, in sich geschlossenes Produkt funktionieren, sondern muss konsequent als Service weitergedacht werden.
Hierzulande gestaltet sich der zeitlich ungebundene Abruf von hochwertigen Inhalten in HD-Auflösung aufgrund von rechtlichen Problemen als schwierig bis unmöglich. Welche Entwicklung können wir hier Ihrer Ansicht nach in nächster Zeit erwarten?
Kaltner: In den Vereinigten Staaten bieten Freemium-Dienste wie Hulu oder Abo-Anbieter wie Netflix nutzerfreundliche Geschäftsmodelle an, indem sie beispielsweise neueste Folgen beliebter Serien zum Streaming bereitstellen und eine umfassende Entertainment-Mediathek auf Abruf vorhalten. Der Erfolg gibt ihnen Recht: Es gibt eine Alternative zu illegalen Angeboten. Der Verbraucher ist unstrittig bereit, für gutes Entertainment zu bezahlen – sofern das Angebot kundenfreundlich und zeitgemäß gestaltet ist. Microsoft geht diesen Schritt mit der Xbox 360. Mit der Online-Videothek Lovefilm, mit Sky Go, der ZDF-Mediathek sowie mit YouTube lassen sich individuell und zu jeder Zeit Inhalte abrufen. Zudem erhalten Sky-Abonnenten bereits seit einem Jahr über die Xbox Zugang zu Filmen, Sport und Unterhaltung und mit weiteren Fernsehsendern führen wir Gespräche über die Einbindung ihrer Abrufangebote in die Xbox 360.
Wird es die Blu-ray Disc als physikalisches Medium für Blockbuster noch lange geben?
Kaltner: Die Zukunft liegt im Video-on-Demand. Nicht mehr der Besitz von Entertainment-Inhalten ist für Konsumenten wichtig, sondern der zeit-und ortsunabhängige Zugang zu ihnen. Die Nachfrage wächst seit Jahren kontinuierlich. Der Umsatz durch VoD hat sich gegenüber 2011 in diesem Jahr noch einmal verdoppelt.
Welche Rolle spielt das Tablet oder Smartphone als Second Screen im Wohnzimmer des 21. Jahrhunderts?
Kaltner: Laut Bitkom-Studie surfen über drei Viertel der deutschen Nutzer im Internet während sie fernsehen. Die Realität des Medienkonsums ist längst transdigital, also geräte- und plattformübergreifend. Hier liegt noch sehr viel Potential. Inhalte werden „cross-platform“ genutzt. Mit Microsoft Xbox SmartGlass werden wir schon heute dieser Entwicklung mittels technischer Lösung gerecht. Die Entertainment-App macht es möglich zum Beispiel zu einem Film, den ich mir per Xbox auf dem Fernseher anschaue, weiterführende Inhalte und Informationen auf einem zweiten Screen wie einem Tablet oder Smartphone zu erhalten. So können sowohl Mobiltelefone als auch Computer und Tablets mit der Xbox 360 Konsole verknüpft und Inhalte transdigital genutzt werden.
Welche Entertainment-Asse hat Microsoft in der nahen Zukunft noch in der Hand?
Kaltner: Markante Entertainment Innovationen sehe ich in den kommenden Jahren darin, komplexe Elemente wie eine optimierte Bedienbarkeit oder ein homogenes digitales Ökosystem einfacher und intuitiver zu machen und gleichzeitig die Nutzererfahrung um neue Dimensionen und Social Media zu erweitern. Ich sehe deswegen drei Trends für die Zukunft: Zum einen wird sich die digitale Technologie auf den Nutzer einstellen müssen. Nicht umgekehrt. Dieser „People Centric Approach“ ist auch der Grund, warum geschlossene System es in Zukunft immer schwieriger haben werden, sich im Markt zu behaupten.
In Natural User Interfaces (NUI) steckt für mich der zweite Trend. NUI ist die Zukunft moderner Endverbraucher-Technologie und wird herkömmliche Eingabemethoden schon bald vollständig ersetzen. In der Entertainmentbranche ist zum Beispiel für Videospiele die Grafik auf einem solch hohen Niveau, dass in der Entwicklung nun vermehrt auf eine intuitive, innovative Steuerung fokussiert wird. Den dritten Trend nennen wir „Creation & Consumption“. Moderne Devices wie Smartphones oder Tablets haben den Content-Konsum nahezu perfektioniert, erlauben aber nur eingeschränkt selbst kreativ zu werden. Dies muss und wird sich ändern. Leidenschaft, Engagement und Kreativität dürfen nicht mehr auf nine-to-five beschränkt sein. Schließlich entstehen ungewöhnliche Ideen oft an ungewöhnlichen Orten, und genau da müssen sie auch umgesetzt werden können. Ein Gedanke, der Pate bei der Entwicklung des Microsoft Surface stand. Ein Tablet, das wie ein PC benutzt werden kann und ein PC, der wie ein Tablet funktioniert. Diese Omnifunktionalität wird ein entscheidender Faktor für den Erfolg kommender Endgeräte, denn ein Produkt für „Kreative“, das sich zur Kreation wenig eignet, hat am Markt keine Zukunft.
Welches Wiedergabegerät sehen Sie als Mittelpunkt des Wohnzimmers an? Aktuelle Smart TVs wandeln sich ja auch immer mehr zum Unterhaltungslieferanten.
Kaltner: Der Fernseher dominiert auch in Zukunft nach dem Displaydominanzprinzip die Wohnzimmer, jedoch wird sich die klassische Nutzung stark verändern hin zu noch mehr Interaktivität und einem breiteren Anwendungsspektrum. Im kommenden Jahr werden mehr als 6 Millionen aller TVs im Haushalt Connected Devices sein und über eine Internetverbindung verfügen. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten im Hinblick auf die Art der Inhalte, Interaktivität in Echtzeit und New-Content.
Online-Videotheken locken mit einem üppigen hochauflösenden und vor allem auch aktuellen Filmangebot. Im Schnitt sind die Ausleihgebühren mit rund 6 Euro pro Film aber unverhältnismäßig hoch. An welchen Schrauben kann hier gedreht werden.
Märkte regulieren sich selbst auf der Basis von Konsumentennachfrage und -verhalten. Rechteverwerter werden in Europa der Dynamik des Marktes derzeit nicht vollends gerecht. Sie machen den digitalen Vertrieb zu aufwändig, zu teuer und zu umständlich. Die Vielfalt der geeigneten Plattformen und die Möglichkeiten für ein geräteübergreifendes Entertainment-Erlebnis fordern die Entertainment-Branche durchaus heraus: Inhalte konsequent digital verfügbar machen und als Kreativwirtschaft über alle Plattformen und Kanäle hinweg erstklassige Unterhaltung bieten und Menschen begeistern.
Vielen Dank für das Gespräch.[red]
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