Die Video-App Musical.ly steht bei Kindern und Jugendlichen hoch im Kurs. Schaut man aber genau hin, finden sich auch freizügigere Clips, nicht selten von jungen Nutzerinnen. Experten warnen vor Missbrauch. Das Unternehmen spricht von einem „komplexen Problem“.
Per Smartphone zum Star. Davon träumen viele Jugendliche. Besonders beliebt bei Teenagern ist die App Musical.ly, auf der kurze Playback-Clips gedreht und mit anderen geteilt werden können. Vorbild für viele sind die schwäbischen Zwillinge Lisa und Lena. Dank ihrer lustigen Clips wurden sie weltweit bekannt. Mit mehr als 28,5 Millionen Fans sind die beiden die erfolgreichsten „Muser“, so nennen sich die Nutzer der App.
Doch längst nicht alle Videos sind so harmlos, wie die Filmchen der berühmten Zwillinge mit den Zahnspangen. Schaut man genauer hin, finden sich unter den Milliarden Clips auch vereinzelt freizügigere Aufnahmen, nicht selten von jungen Nutzerinnen. „Ein Weg zu großer Aufmerksamkeit und Anerkennung, da funktioniert Musical.ly nicht anders als das professionelle Showgeschäft, ist das Zeigen von sehr viel Haut. Bei Musical.ly handelt es sich erschreckend oft um die Haut sehr junger Mädchen“, berichtete das von der Bundesregierung unterstützte Infoportal mobilsicher.de am Wochenende. Die Verbraucherschützer warnten vor Missbrauch und sexueller Nötigung.
Und in der Tat: Sucht man mit einschlägigen Hashtags wie etwa #bellydancing, #bottom oder #bikini fanden sich bis Montagnachmittag Zehntausende Videos auf der Plattform. Zu sehen gab es Mädchen in knappen Hotpants auf ihrem Bett oder bauchfrei bei aufreizenden Tanzbewegungen. In den Kommentarleisten erhielten sie von Nutzern wie „daddys_girlz29“ oder „loveyourbelly13“ Komplimente wie „Du bist so heiß!“. Oder sie fordern die Mädchen auf, ihnen das Video gleich per Direktnachricht zuzuschicken, damit sie es auf ihrer Seite bewerben können.
„Einige Nutzer erstellen Sammlungen, die sich nur auf aufreizende Selbstdarstellungen von Kindern konzentrieren“, erklärt Inga Pöting von mobilsicher.de. Andere würden versuchen, direkt zu den jungen Mädchen Kontakt aufzunehmen – etwa indem sie eine Telefonnummer schicken oder sie auffordern, per Messenger weiter zu kommunizieren. Einige Mädchen seien nicht älter als sieben oder acht Jahre.
Am Montag bat die Deutsche Presse-Agentur Musical.ly um eine Stellungnahme. Wenige Stunden später war ein Teil der zitierten Hashtags nicht mehr abrufbar. Am Dienstag sprach das Unternehmen, das im November von der chinesische Medienfirma für rund eine Milliarde Euro gekauft worden war, von einem „komplexen Problem“, das es als Branche zu lösen gelte.
Und: „Musical.ly verfügt über eine Vielzahl an Schutzmaßnahmen und gewährleistet eine Moderation rund um die Uhr, um die Möglichkeiten einer missbräuchlichen Nutzung der App zu reduzieren“, hieß es. Leider seien diese Schutzmaßnahmen nicht immer tadellos. Solche Missbrauchsbeispiele spielgelten aber nicht die typischen Inhalte oder Nutzungsmuster der App wider.
Das Unternehmen versprach zudem, seine Schutzmaßnahmen weiter auszubauen. Tatsache ist dennoch, dass die Anmeldung kinderleicht ist und es keinerlei Kontrollen gibt. Zwar dürften unter 13-Jährige laut Nutzungsbedingungen nicht dabei sein, doch wird weder das angegebene Geburtsdatum noch die E-Mail-Adresse überprüft. Und: Jeder neu angelegte Account ist standardmäßig auf öffentlich eingestellt.
Musical.ly wurde 2014 gegründet und vor allem durch kurze selbstgefilmten Clips populär, bei denen die Nutzer ihre Lippen synchron zu bekannten Popsongs oder Filmzitaten bewegen. Inzwischen zählt die App mehr als 200 Millionen Nutzer weltweit.
Popstar spielen und sich zu präsentieren sei kein neues Phänomen, sondern alterstypisch bei Kindern und Jugendlichen, sagt Iren Schulz, Expertin der Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht.“. „Was früher im Freundeskreis oder bei Familienfeiern stattfand, hat jetzt über die sozialen Medien eine größere Bühne bekommen – mit weiterreichenden Konsequenzen, wenn man nicht auf seine Daten und Profile aufpasst.“
Laut Schulz fehlt einigen jungen Nutzern das kritische Bewusstsein: „Wenn sie die Videos machen, haben viele nur ihre besten Freundinnen oder die Jungs in der Klasse vor Augen. Sie denken nicht an das große Publikum, das sich da sonst noch rumtreibt, das ist eine enorme Gefahr.“ Sie appelliert an die Eltern, ihre Kinder auf Social-Media-Plattformen zu begleiten, ein Konto gemeinsam einzurichten und die wichtigsten Privateinstellungen vorzunehmen.
Medienpädagoge Martin Müsgens von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen rät den Nutzern die Privateinstellungen von Profilen grundsätzlich genau zu überprüfen und auch die Standortdaten zu deaktivieren. Vor allem sensible Inhalte sollten nur mit engsten Freunden geteilt werden, sagt er. „Je größer der Kreis, desto schneller kann der Beitrag außer Kontrolle geraten und in Portalen landen, wo ich ihn nicht haben will.“ Und grundsätzlich sollte man sich immer fragen, ob einem ein Beitrag irgendwann mal peinlich sein könnte. Das Netz vergesse nicht. Und: „Je mehr ich von mir präsentiere, desto angreifbarer mache ich mich.“
[Jenny Tobien]
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