Mit der angekündigten Xbox One wagt Microsoft einen riskanten Schritt. Nach den Eindrücken der ersten Präsentation scheint das Gerät mehr Set-Top-Box als Spielekonsole zu sein und damit auf einen neuen Markt abzuzielen, der jedoch seinerseits hart umkämpft ist. Für die Redmonder besteht die Gefahr, sich mit dem Xbox-360-Nachfolger zwischen alle Stühle zu setzen.
Ein „All in One System“ wollte Microsoft mit der neuen Xbox One vorstellen, die am Dienstag erstmals präsentiert wurde. Eine Konsole, die gleichzeitig auch als Home-Entertainment-Center funktioniert und damit weit über das hinausgeht, was bisher gemeinhin als Videospielekonsole verstanden wurde. Ein gewagter Schritt für den Hersteller. Doch spätestens seit Microsoft auf der letztjährigen Electronic Entertainment Expo (E3) seine Pläne bekannt gegeben hatte, seine Konsolen in Zukunft stärker zur Unterhaltungsplattform ausbauen zu wollen, war dieser durchaus absehbar gewesen.
Mit der Neuausrichtung zielt das US-Unternehmen auf einen Markt, der im Gegensatz zum Videospielesektor noch jung ist und dem von praktisch allen Seiten ein riesiges Wachstumspotential vorausgesagt wird: Die Rede ist vom Smart-TV-Markt, der die Inhalte des Internets, allen voran die Videoinhalte und sozialen Dienste, auf den Fernsehbildschirm bringen will. Diesen Markt könnte der beherrschen, dem es gelingt, als erster Anbieter einen Großteil der Inhalte auf leicht zu bedienenden Plattformen mit den Kernfunktionen des TV-Gerätes zu vereinen – ähnlich wie Apple und Google dies in den letzten Jahren auf dem Smartphone-Markt gelungen ist.
Doch während diesen beiden Schwergewichten sowohl Inhalte, als auch die geeignete Hardware, fehlen um auf dem TV-Markt als Big-Player einzusteigen, besitzt Microsoft zumindest Letzteres. Gemeint ist die Spielekonsole Xbox, die in der derzeitigen zweiten Generation bereist mehr als 70 Millionen mal verkauft und die im Laufe ihres Lebenszyklus bereits erfolgreich um immer neue Multimedia-Funktionen erweitert wurde. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Geräte über die eigens vom Hersteller betriebene Plattform Xbox Live bereits mit dem Internet verbunden ist. Ein Potential, das Microsoft mit der neuen Hardware-Generation nun offensichtlich noch besser ausnutzen will.
Und so stand im Mittelpunkt der Präsentation vom Dienstag nicht die Spielekonsole, sondern die Set-Top-Box. Während die für Gamer relevanten Hardware-Daten und Spieleankündigungen auf ein Minimum beschränkt wurden, widmete sich Microsoft ausführlich den neuen Features zur Verknüpfung von Spiel, klassischem TV und Internet. Nicht zuletzt wurde dabei mit exklusiven Inhalten geworben, die über die neue Xbox One verfügbar sein sollen. Dabei macht es durchaus Sinn, dass Microsoft hier vor allem auf den US-Markt abzielt. Denn die TV-Märkte sind national zersplittert und dem amerikanischen Heimatmarkt kommt hier eine Schlüsselstellung zu: Wer hier einmal stark etabliert ist, dem dürfte es später leichter fallen, auch auf andere Märkte zu expandieren.
Eines jedenfalls scheint schon jetzt klar, Videospiele werden nur noch eines von mehreren Features sein, die auf der neuen Xbox One eine Rolle spielen. Ob das letztlich reicht, um die Gamer bei Laune zu halten wird sich zeigen, zumal Microsoft seine Stammkunden mit der immer wahrscheinlicher werdenden Blockade von Gebrauchtspielen vor den Kopf stoßen dürfte. Eine riskante Strategie, die der Hersteller offensichtlich fährt. Sollte sie aufgehen, könnte Microsoft Mitbewerbern wie Apple oder Google im Smart-TV-Markt ein Schnippchen schlagen. Gleichzeitig droht jedoch eine deutliche Schlappe im Kampf um die sogenannten Core-Gamer. Etwas ähnliches musste Nintendo in den letzten Jahren mit der Wii erleben.
Die größte Gefahr für das Unternehmen aus Redmond dürfte jedoch darin bestehen, sich mit der Xbox One zwischen alle Stühle zu setzen und letztlich keiner Zielgruppe wirklich gerecht zu werden. Immerhin schläft die Konkurrenz auch auf dem Smart-TV-Markt nicht und Gestensteuerung, Video-on-Demand sowie Apps sind auf jüngeren TV-Geräten längst präsent. Hoffnung macht, dass Microsoft mit der Präsentation sein ganzes Arsenal insbesondere im Gaming-Bereich noch nicht abgefeuert hat und hier auf der E3 im Juni nachlegen kann. Das gilt allerdings auch für die Konkurrenz. [Patrick Schulze]
Bildquelle:
- Technik_Web_Artikelbild: © Victoria - Fotolia.com