Auf der Gamescom spielt die neue Konsolengeneration, insbesondere durch das Fernbleiben Nintendos, kaum eine Rolle, dennoch fällt noch 2012 der Startschuss in ein neues Gaming-Zeitalter. Folgen Sie uns in die Zukunft der Videospiele.
Als Erster der großen Drei wagt Nintendo den Sprung in eine neue Konsolengeneration. Dabei schwelgt das Unternehmen augenscheinlich in Erinnerungen und versucht, mit der Wii U den Erfolg der Wii zu kopieren. Wie gewohnt kommt eine verhältnismäßig durchwachsene Hardware zum Einsatz, die am Erscheinungstag kaum mehr grafische Möglichkeiten eröffnet als vorhandene PS3- und Xbox-360-Konsolen. Immerhin ist Nintendos Wii U wieder angenehm kompakt, leise und arbeitet äußerst energieeffizient.
Die Besonderheit ist einmal mehr nicht die Konsole selbst, sondern das mitgelieferte Zubehör: Der Controller. War bei der Wii die Bewegungssteuerung trendy (bleibt weiterhin kompatibel), so ist es bei der Wii U der Zweitbildschirm. Dadurch können Eingaben unabhängig zu den angezeigten Symbolen des Fernsehers erfolgen, zusätzliche Minikarten oder abweichende Perspektiven eingeblendet werden oder es kann schlicht gespielt werden, ohne den Fernseher einschalten zu müssen.
Die Wii U ist innerhalb der eigenen vier Wände eine Art tragbare Konsole und bietet faszinierende Technik für Mehrspielerpartien: Während der erste Spieler auf dem Fernseher das Geschehen beobachtet, sieht der zweite Spieler auf dem Display des Controllers ein völlig anderes Bild. So reizvoll dieser Ansatz, so komplex das Resultat: Einzelspieler werden zukünftig den Minibildschirm und das Fernsehbild im Blick behalten müssen – teilweise verwischen gar die Grenzen, wenn der Controller ins Blickfeld des Fernsehbildes wandert und sich beide Bildinformationen „überlappen“. Dies ergibt zwar unzählige Möglichkeiten, strengt aber gleichermaßen an und kann in reaktionsschnellen Situationen schlicht überfordern oder vom Spielinhalt ablenken. Zudem ist die Unterstützung wieder einmal von den Herstellern abhängig.
Nintendos größter Trumpf, dass das Zweitdisplay jeder Konsole beiliegt, ist gleichzeitig die größte Schwäche: Wird die Innovation nur unzureichend genutzt, verfällt der einzige echte Mehrwert der neuen Konsole. Wii-Spieler attestierten der Vorgängerkonsole bereits starke Abnutzungserscheinungen: Wirklich sinnvoll wurde die Bewegungssteuerung nur selten eingesetzt, vielmehr stachen die technischen Unzulänglichkeiten im HD-Zeitalter immer deutlicher ins Auge. Viele Spieler wechselten deshalb ins Xbox-360-Lager und werden sich von der Technik der Wii U kaum angezogen fühlen.
Zudem sind Nintendos Marken nicht mehr unantastbar: Neue „Super Mario“-Titel oder die Vorstellung von „Pikmin 3“ lassen nicht mehr alle Kritikerdaumen vorbehaltlos nach oben schnellen. Weiterhin krankt Nintendos Wachstum am Kernproblem einer nach wie vor aufstrebenden Videospielindustrie: Blockbustergames im HD-Zeitalter verschlingen ein Vielfaches der Entwicklungskosten im Vergleich zu den Vorgängertiteln, generieren aber kaum mehr Umsatz. Der Ausbau des Nintendo-Onlinestores, um einfacher zu entwickelnde Minispiele schneller zu vermarkten, könnte deshalb das Überleben von „Zelda“ und „Metroid“ sichern. Der lukrative Minigames-Verkauf als wirtschaftlicher Airbag gegen Kostenexplosionen im AAA-Game-Sektor? Warum nicht!Eine Konsole für alles
Microsoft scheint es mit der nächsten Xbox allen recht machen zu wollen: Die Hardware ist voraussichtlich leistungsfähig genug, um eine grafische Weiterentwicklung deutlich zu erkennen. Gleichwohl sind die Komponenten günstig und der Fokus geht eher in Richtung Multimedia als Spielekonsole. Durch den Erfolg der Zusatzkamera Kinect ist es zudem einleuchtend, dass dieses Zubehör jeder neuen Xbox beiliegen wird und Zusatzdienste wie die Videotelefonie Skype Einzug halten werden.
Doch Microsoft will noch mehr: Flexible Zahlungssysteme für die Hardware in Verbindung mit Content-Abos sind ebenso denkbar wie aufrüstbare Hardwarekomponenten. Zudem soll die neue Xbox ein für alle Mal zur einzig wahren Multimediaplattform im Wohnzimmer werden und Filme auf Blu-ray Disc ebenso abspielen wie aus dem Internet. Passend dazu stellt Microsoft kompatible Software für Tablets zur Verfügung und bringt mit dem „Surface“ gar eine eigene Tablet-Hardware auf den Markt.
Mit Sky kann Microsoft hierzulande auf einen starken Partner im Bereich Pay-TV-Ambitionen zurückgreifen und dank der nicht enden wollenden Kapitalrücklagen des Windows-Konzerns sind weitere Exklusivdeals nur eine Frage der Zeit. Doch Microsoft läuft immer stärker Gefahr, diejenigen zu verlieren, die den Erfolg der Xbox und Xbox 360 vorangetrieben haben: die Spieler. Unter den drei großen Hardwareherstellern weist Microsoft das schwächste Exklusiv-Portfolio auf, angedachte Premiummarken wie „Rare“, „Lionhead“ oder „Ensemble Studios“ verkümmerten gar unter Microsofts Mainstream-Politik und selbst die unantastbaren Vorzeigetitel wie „Gears Of War“ zeigen erste Abnutzungserscheinungen.
Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Microsoft mit der nächsten Xbox so viele Konsolen verkaufen könnte wie noch nie in der Geschichte des Konzerns. Gleichzeitig könnten Core-Gamer, die Blockbustergames mit kreativem Anspruch schätzen, nur noch eine wenig lukrative Randgruppe ausmachen.Abwarten und auf PS3 vertrauen
Die größte Unbekannte im Rennen um die nächste Konsolengeneration ist Sony. Zwar deuteten erste Informationen auf eine ähnliche Hardwarestruktur wie bei Microsofts Xbox-Nachfolger hin, doch neuerliche Terminverschiebungen bieten ausreichenden Raum für Spekulationen. Nur eine Entwicklung scheint vorgezeichnet: Weg von schwer programmierbarer Spezialhardware, hin zu alltäglichen PC-Komponenten, die insbesondere Umsetzungen von Drittherstellern erleichtern sollen.
Die PS Vita weist hier den Weg, entbindet Sony aber nicht von der Verantwortung, die eigene Hardware ins richtige Licht zu rücken – so schwach wie die PS Vita startete noch keine Sony-Hardware. Da der Konzern in finanziellen Nöten steckt, wird auch den Multimediaträumereien ein Riegel vorgeschoben: Einen Blu-ray-Nachfolger samt neuen Datenträgern wird es ebenso wenig geben wie den Ausbau der Playstation-Konsole zur Eier legenden Wollmilchsau. Der Kauf des Onlinestreamingspezialisten Gaikai eröffnet dagegen neue Vermarktungsstrategien: Ein kostenloses Antesten von Spielen ohne Installation ist ebenso denkbar wie das Streaming von Inhalten zwischen Playstation-Konsole und PS Vita. Einen eklatanten Fehler der Vergangenheit könnte Sony dank Gaikai ebenso kompensieren: die fehlende Abwärtskompatibilität zu älteren Playstationgenerationen.
Insbesondere für Fans ist die Nichtabspielbarkeit ein echtes Ärgernis, die digitale Verfügbarkeit aller beliebten Spiele zumindest ein gangbarer Zwischenweg. Allerdings ist es um den Nostalgienachschub gerade im deutschen PSN eher schlecht bestellt und auch die PS Vita krankt an der Nichtabspielbarkeit beliebter PS1-Klassiker, die auf der PSP noch problemlos liefen.
Die schwachen Anfangsverkäufe der PS3 und PS Vita sollten Sony für dieses Thema sensibilisieren, denn der Mehrwert einer neuen Konsolengeneration kann auch darin liegen, die eigenen Lieblingsspiele in besserer Qualität erleben zu dürfen, so, wie es im PC-Bereich seit jeher praktiziert wird. Ein „Uncharted 3“ oder „Gran Turismo 5“ mit besserer Auflösung, stabilerer Bildrate und Kantenglättung wäre für Technikfans Grund genug, eine PS3 gegen die Nachfolgekonsole einzutauschen. Dass alte Titel nicht auf Nachfolgekonsolen laufen, beflügelt zudem den Gebrauchtwarenmarkt, den alle Anbieter derzeit vehement bekämpfen – paradoxer geht es kaum. Innovation auf Rezept
Nintendo macht mit der Wii U und dem integrierten Zweitbildschirm den Anfang, Microsoft und Sony könnten das Konzept durch Tablets, die PS Vita und per Softwarelösung kopieren. Bei aller Euphorie über die zusätzlichen Möglichkeiten dieser neuen Eingabeform werden viele Spielehersteller schnell erkennen, dass mehr Möglichkeiten aufseiten der Eingabe nicht automatisch mit einer Verbesserung des Spielerlebnisses einhergehen.
Während die Bewegungssteuerung oder die 3D-Wiedergabe zumindest das theoretische Potenzial besitzt, Spiele noch intensiver zu erleben, macht ein Zweitdisplay vor allem eines: Es lenkt vom Hauptgeschehen ab. Ob diese Ablenkung Abwechslung oder eher Chaos im Spielalltag verspricht, wird nicht zuletzt Nintendos Entwicklungsgeschick beweisen, denn wieder einmal muss eine Branche vom Mehrwert einer neuen Steuerungslösung erst überzeugt werden. [Christian Trozinski]
Bildquelle:
- Technik_Web_Artikelbild: © Victoria - Fotolia.com