Es könnte ein wegweisendes Urteil werden: In Würzburg will ein Opfer von auf Facebook verbreiteten Falschnachrichten das soziale Netzwerk gerichtlich dazu zwingen, die betreffenden Fake News zu löschen.
„Obdachlosen angezündet – Merkel machte 2015 Selfie mit einem der Täter!“, verkündet der Facebook-Post in fetter weißer Schrift auf schwarzem Untergrund. Der Fall erregte Ende vergangenen Jahres die Gemüter: In einem Berliner U-Bahnhof hatten zunächst Unbekannte in der Nacht zum Ersten Weihnachtstag einen schlafenden Wohnungslosen in Brand gesetzt. Nur das Eingreifen Umstehender verhinderte Schlimmeres. Die Polizei veröffentlichte kurz nach der Tat Überwachungskamera-Bilder von mehreren jungen Verdächtigen. Ein Nutzer stellte die Fahndungsfotos auch auf Facebook. Er nahm sie und kreiste einen der jungen Männer ein. Daneben setzte er ein Selfie von Anis M. mit der Kanzlerin – und die obige Schlagzeile.
Dagegen wehrt sich Anis M. nun. Vor dem Landgericht Würzburg hat er einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung eingereicht, die Facebook zwingen soll, die falschen Posts zu löschen. „Ich möchte gerne den Beweis antreten, dass sich Opfer von Fake News mit den Mitteln der Justiz auch erfolgreich gegen Facebook und andere Nutzer zur Wehr setzen können“, sagt sein Würzburger Anwalt Chan-jo Jun.
In dem Prozess klagt Anis M. als Einzelner, weil er der Meinung ist, dass seine individuellen Persönlichkeitsrechte verletzt werden. In der Politik entbrannte dementgegen in den letzten Wochen eine Debatte über den generellen Umgang mit Fake News. Die Bundesregierung hatte angekündigt, stärker gegen Falschmeldungen vorgehen zu wollen. Wie Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte, sollen soziale Netzwerke dazu verpflichtet werden, binnen 24 Stunden auf Beschwerden zu reagieren. Der Digitalverband Bitkom hatte diesen Plan zurückgewiesen: Angesichts von bis zu einer Milliarde Posts pro Tag sei eine solche Pflicht „operativ schlechterdings nicht umsetzbar“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Eine Pflicht, Fake News zu löschen, würde zudem die Meinungsfreiheit massiv einschränken, fügte Rohleder hinzu. Eine Löschpflicht würde einen „dauerhaften Zensurmechanismus“ installieren. „Wollen wir das? Wahrscheinlich nicht.“
Obwohl die Würzburger Richter konkret nur über den Fall Anis M. entscheiden, könnte das Urteil dennoch wegweisend sein – weil es zeigt, wozu Facebook bei der aktuell geltenden Rechtslage schon verpflichtet werden kann. „Es kann auch sein, dass wir nur demonstrieren, dass wir gegen Facebook nicht ankommen“, sagt Anwalt Jun. Aber dann wüsste man wenigstens, welche Gesetze die Politik ändern müsse.
Jun (42) ist für Facebook kein Unbekannter. Das Verfahren am Montag in Würzburg ist die dritte Initiative, die der auf IT-Recht spezialisierte Anwalt gegen das Online-Netzwerk gestartet hat. Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte ein erstes Strafverfahren wegen Beihilfe zur Volksverhetzung gegen mehrere deutsche Facebook-Manager im Februar vergangenen Jahres ein. Eine zweite Strafanzeige, nun auch gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg persönlich, ist in München noch anhängig. Das Würzburger Verfahren ist nun der erste Zivilprozess.
[Bastian Benrath/kw]
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